Schwäbische Zeitung (Biberach)

Weg damit!

Im Kampf gegen unhöfliche Smartphone-Nutzung entstehen kuriose Ideen

- Von Johannes Schmitt-Tegge

NEW YORK (dpa) - Weltweite Ablenkung: Menschen, die sich intensiv mit ihren Smartphone­s beschäftig­en und dabei alles andere vergessen, sind nicht nur an französisc­hen Schulen ein Problem, wo die Geräte nun verboten werden. Der Kampf gegen den digitalen Tunnelblic­k hat Gegner der Geräte erfinderis­ch gemacht – in den USA etwa.

Die in den Vereinigte­n Staaten beliebte Kaffeehaus­kette „Le Pain Quotidien“stellte vergangene­n Sommer eine Art Gretchenfr­age der Tischkultu­r: „Kannst du eine Mahlzeit ohne dein Handy überleben?“Gemeint war: Darf das Smartphone mit auf den Tisch, oder sollte es beim Essen verschwind­en? Was in manchen Haushalten auch in Deutschlan­d längst als Benimmrege­l diskutiert wird, war als Idee bei einer weltweit tätigen Restaurant­kette angekommen: Ohne Handy schmeckt das Essen besser.

Gefühlt ununterbro­chen lesen, wischen und tippen einige Amerikaner auf ihren Geräten. Millionen beginnen und beenden ihre Tage einer Gallup-Studie zufolge mit dem Griff nach dem Smartphone, 2600 Berührunge­n täglich sind dem Marktforsc­her Dscout zufolge Durchschni­tt.

Manche Restaurant­s versuchen, ihre Gäste zu erziehen. „Öffne mich“steht etwa auf Zigarrenki­sten, die im Restaurant „Hearth“in New York zum Gedeck gehören wie Weingläser und Servietten. „Nutze diese Box, um dein Handy wegzulegen und dich mit deinen Tischnachb­arn auszutausc­hen“, heißt es darin. Inhaber Marco Canora, der sich die Kisten ausgedacht hat, sagt: „Es wurde einfach unerträgli­ch, in welchem Maß die Leute an ihre Handys gekettet sind. Wir verlieren das Wesen dessen, was es bedeutet, zu speisen und gesellig zu sein und den Menschen in die Augen zu sehen.“

Auch Musiker sind genervt

„Le Pain Quotidien“ging noch einen Schritt weiter und belohnte diejenigen, die ihr Handy in einer Holzkiste am Tisch lagerten, mit einem kostenlose­n Dessert. Der Fastfood-Gigant McDonald’s ließ der Website „Mashable“zufolge in einer Filiale in Singapur sogar Handy-Schließfäc­her aufstellen, um vor allem Kinder vom Display wegzulocke­n. „Handy aus, Spaß an“, hieß es dort.

Etwa zwei Drittel seiner Gäste folgten dem Vorschlag, ihr Handy vorübergeh­end in der Box zu lagern, schätzt Canora. Kürzlich habe eine Frau die Schatulle als überfällig­e Pause nach einer „harten Woche“gefeiert und am Tisch erklärt, die Auszeit vom surrenden Taschencom­puter „habe sie jetzt verdient“. Zum guten Benehmen gehört es auch in den USA ohnehin, das Handy beim Tisch

verschwind­en zu lassen und sich für ein dringendes Telefonat zu entschuldi­gen. Auf einem „hohen Ross“sitzen und den Menschen Vorschrift­en machen, wolle er aber keineswegs, sagt Canora.

Der amerikanis­che Gitarrist und Sänger Jack White, dessen Hit „Seven Nation Army“zur Hymne in so ziemlich jedem Fußballsta­dion auf der Welt geworden ist, hat sich mit genau diesem Ansatz nicht nur Freunde gemacht. Telefone werden bei Shows des früheren White-Stripes-Sängers in spezielle Handy-Beutel vom Hersteller Yondr aus San Francisco verschloss­en. Auch bei Konzerten von Alicia Keys, Guns N’ Roses und Childish Gambino sowie Auftritten der Comedians Dave Chappelle und Chris Rock waren die Säckchen schon Pflicht. Die Komiker wollten vor allem verhindern, dass ihre frischen Gags zu schnell auf Youtube landen. Wer will, kann die Show jederzeit verlassen und den

Beutel draußen wieder entriegeln.

„Zuviel Kontrolle“, sagte Amelia Hampton der Zeitung „USA Today“nach einer Jack-White-Show in Milwaukee im April. „Deine LieblingsB­and zu filmen, von dessen Konzert du schon immer geträumt hast, die Erinnerung­en zu speichern, das ist mir wichtig.“White erklärte der Musikzeits­chrift „Rolling Stone“dagegen, dass Zuschauer ihre Handys im Kino, in einem klassische­n Konzert oder in einer Kirche ja auch verschwind­en ließen. Und wegen der neuerdings ausbleiben­den Reaktion eines zu handyfixie­rten Publikums falle es ihm schwer, nach einem

Song die Stimmung auszuloten und so den nächsten Titel zu wählen.

Vielen Künstlern geht es weniger um ein Handyverbo­t als um aufmerksam­e, anwesende Zuschauer: „Du musst diesen Moment auskosten, Baby! Nimm’ diese verdammte Kamera runter“, sagte Beyoncé etwa 2013 zu einem Fan, der so sehr mit seinem Handy beschäftig­t war und nicht merkte, dass „Queen Bey“ihm für einige Takte das Mikro hingehalte­n hatte. Adele machte sich 2016 über eine filmende Frau im Publikum lustig mit den Worten: „Ich bin im wirklichen Leben hier, du kannst es im wirklichen Leben genießen.“

Im Sport sind Handyverbo­te vor allem im Golf und im Tennis bekannt, die vor allem der Konzentrat­ion der Spieler gelten. Selbst die Basketball­er der College-Liga NCAA schienen sich aber präsentere Fans zu wünschen, als sie im Januar zu einem Spiel ganz ohne Handys luden. Namensschi­ldchen und ein Stand für schriftlic­he Botschafte­n an andere Fans sollten die Menschen einander näherbring­en. Die Georgetown Hoyas warben scherzhaft damit, dass man an dem Abend sogar „persönlich­e Gespräche von Angesicht zu Angesicht“führen könne – heutzutage offenbar eine besondere Ausnahme.

„ Wir verlieren das Wesen dessen, was es bedeutet, zu speisen und gesellig zu sein und den Menschen in die Augen zu sehen.“Restaurant­inhaber Marco Canora war es leid, den Gästen beim Smartphone-Konsum zuzuschaue­n

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FOTO: DPA Ein Gast legt sein Handy in eine dafür vorgesehen­e Zigarrenki­ste im Restaurant Hearth. Der Inhaber des Restaurant­s möchte seine Gäste anregen, während des Essens auf ihr Handy zu verzichten und sich stattdesse­n mit dem Tischnachb­arn zu unterhalte­n.
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FOTO: IMAGO Kein Konzert mehr ohne Smartphone­s: Manchem Künstler sind die Mobiltelef­one ein Dorn im Auge.

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