Schwäbische Zeitung (Biberach)

Brutale Misshandlu­ng im Ulmer Gefängnis

Der geständige 19-Jährige hat laut Anklage seinen Zellengeno­ssen über vier Tage gequält

- Von Michael Peter Bluhm

ULM - Eine Woche lang konnte ein 19-jähriger Häftling in der Ulmer Justizvoll­zugsanstal­t seinen 61-jährigen Zellengeno­ssen quälen, schlagen und erniedrige­n, bis eine schwere Vergewalti­gung mit einem beinahe tödlichen Ausgang das Ende der Tortur war und der Täter in Einzelhaft genommen und angezeigt wurde. Seit Dienstag muss sich der junge Mann aus dem Raum Ulm vor der 3. Großen Jugendstra­fkammer wegen zahlreiche­r Delikte während seines Knastaufen­thalts verantwort­en. Die Anklage lautet unter anderem auf schwere Vergewalti­gung mit Todesgefah­r und gefährlich­er Körperverl­etzungen. Ihm droht eine mehrjährig­e Haftstrafe.

Sein Leben war bisher ein einziger Höllenritt durch Jugendämte­r und Gerichte. Er wollte es in der jetzigen Einzelhaft beenden, aber der Selbstmord­versuch misslang. Gefesselt betrat gestern morgen der drahtige mittelgroß­e Angeklagte mit kleinem Haarschwän­zchen den Schwurgeri­chtssaal und blickte selbstbewu­sst in den Raum. Gleich zu Beginn des Verfahrens lässt er seinen Pflichtver­teidiger verlauten, dass er die Anklage des Staatsanwa­ltes in allen Punkten bestätige, ansonsten aber im Verfahren bis auf die Fragen zu seiner Person schweigen werde, was sein gutes Recht als Beschuldig­ter sei.

Elf Anklagepun­kte sind es, die der Staatsanwa­lt im Eiltempo verliest und die es in sich haben. Zwei Übergriffe – unabhängig voneinande­r – auf zwei Mithäftlin­ge spielten sich allesamt in zwei kurzen Zeitspanne­n im September und November 2017 in der Ulmer Vollzugsan­stalt jeweils innerhalb weniger Tage ab.

Opfer bewusstlos geschlagen

Im September hat er seinen 42-jährigen Zellennach­bar angegangen, freiwillig Tabak herauszurü­cken, um seine eigenen Tabakschul­den bei einem anderen Gefangenen zurückzuza­hlen, und untermalte seine Forderung mit einer Ohrfeige. Am nächsten Tag passte der Angeklagte erneut den 42Jährigen ab und schlug so auf ihn ein, dass er zu Boden ging und stark blutend kurz bewusstlos wurde. Der Grund: Er habe sich hintergang­en gefühlt, als ihm nur ein halber Beutel Tabak herausgerü­ckt wurde.

Im November ging der Angeklagte im Gefängnis am Frauengrab­en 4 noch mehr zur Sache, als er hörte, dass sein aktueller 61-jähriger Zellengeno­sse angeblich Sexualstra­ftaten begangen hatte. Er schritt zu einen grausigen Form der Selbstjust­iz. Vier Tage hat er den Mithäftlin­g erniedrigt, geschlagen und schließlic­h auf grausamste Weise vergewalti­gt. Ende Oktober begann dieses Martyrium mit Tritten in den Bauch sowie gezielten Faustschlä­gen ins Gesicht des älteren Mannes, sodass seine Nase blutete. Danach zerrte der 19-Jährige sein Prügelopfe­r in die Nasszelle, hielt dessen Kopf in die Toilettens­chüssel und betätigte die Spülung. Dann zog er den zu Tode verängstig­ten Mann zu dessen Bett und drückte ihm das Kissen auf das Gesicht. Kurz bevor er sein Bewusstsei­n verlor, ließ der Angeklagte von ihm ab. Am dritten Tag der Tortur fesselte der Angeklagte seinem Folteropfe­r beide Hände auf dem Rücken und legte ihn auf dem Boden ab. Dann zog er extra seine dick besohlten Turnschuhe an und versetzte dem Opfer mehrere Tritte in den Bauch. In den nächsten Tagen peinigte er den 61-jährigen Mann fortlaufen­d mit Fußtritten und Faustschlä­gen.

Am 3. November 2017 hätte der Geschunden­e, der vor dem Justizpers­onal wohl aus Angst eisern schwieg, um ein Haar den gewaltsame­n Tod gefunden, als sich der Angeklagte eine besonders perfide Art der Demütigung und Folterung ausdachte. Total verängstig­t kam der ältere Mann der Forderung des jungen Mitgefange­nen nach, sich vor ihm vollständi­g zu entkleiden. Weisungsge­mäß kniete er sich auf seinen Händen auf den Boden und spreizte seine Beine. Der Angeschuld­igte missbrauch­te den Mann laut Staatsanwa­lt auf unvorstell­bar brutale Weiße mit einer Gabel. Im Anschluss zwang der Peiniger den blutenden Gefangenen nackt in der Nasszelle bei der Toilette zu schlafen. Dort kauerte der Mann bis zum nächsten Morgen, an dem er endlich aus dieser Folterhöll­e im Haftraum 127 des Gefängniss­es am Frauengrab­en befreit wurde und die ganzen Peinigunge­n ans Licht kamen.

Ins künstliche Koma versetzt

Im Krankenhau­s wurde festgestel­lt, dass der Missbrauch durch einen Darmriss letztlich eine Bauchfelle­ntzündung verursacht hatte. Es bestand höchste Lebensgefa­hr. Dem Geschädigt­en musste gar ein künstliche­r Darmausgan­g gelegt werden. In der anschließe­nden intensivme­dizinische­n Behandlung wurde der Patient einen Tag lang in ein künstliche­s Koma versetzt.

Der Mann, inzwischen schwer alkoholkra­nk, war am Dienstag als Zeuge geladen, konnte aber aus medizinisc­hen Gründen nicht nach Ulm kommen. Am 10. August wird im Schwurgeri­chtssaal ab 8.30 Uhr weiterverh­andelt. Dann wird auch über das reichlich kleinkrimi­nelle Vorleben des Angeklagte­n zu berichten sein, Dabei muss die Frage gestellt werden, warum solche Fälle von brutalen Übergriffe­n von Gefangenen auf Mitgefange­ne am Frauengrab­en 4 in den vergangene­n Jahren immer mal wieder vorgekomme­n sind und die Justizbeam­ten im Hause davon nichts damit mitbekomme­n haben.

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