Schwäbische Zeitung (Biberach)
Dringend neue Hausärzte gesucht
Ein Drittel der Hausärzte ist über 60 Jahre alt – Zu welchen Bedingungen der Nachwuchs aufs Land zieht
Zu welchen Bedingungen der Nachwuchs in die Region Biberach zieht.
BIBERACH - Wer● ein körperliches oder seelisches Leiden hat, für den ist oftmals der Hausarzt erster Ansprechpartner. Noch sind die Wege für Patienten überwiegend kurz, aber Experten warnen: Im ländlichen Raum könnte ein Versorgungsengpass drohen. Auch, weil Mediziner nach dem Studium in den Großstädten hängen bleiben. Jetzt sind sechs Studenten in der Region Biberach unterwegs gewesen, um das Dasein als Landarzt einmal aus nächster Nähe zu betrachten.
Fast in jeder größeren Gemeinde gibt es noch mindestens eine Praxis, rund 130 zugelassene Hausärzte zählt der Landkreis Biberach. Die Daten der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg zeigen aber auch: Ein Drittel der Allgemeinmediziner ist über 60 Jahre alt. „Die geburtenstarken Jahrgänge werden älter – und brauchen dann selbst Hilfe“, sagt der Vorsitzende der Kreisärzteschaft Biberach, Arnulf Haas. „Die Arbeit wird den Hausärzten nicht ausgehen.“Für den Nachwuchs sind das eigentlich optimale Voraussetzungen, um sich in der Region niederzulassen.
Immer mehr Ärzte angestellt
Doch was bedeutet es, als Landarzt zu arbeiten? Vertreter der Techniker Krankenkasse (TK) waren mit sechs Medizinstudenten in Baden-Württemberg unterwegs, um auf diese Frage eine Antwort zu finden. Sie kamen dabei mit Hausärzten sowie Politikern ins Gespräch, erfuhren Wissenswertes über die Gründung einer Praxis sowie Fördermöglichkeiten und beschäftigen sich mit den Herausforderungen ihres Berufsstands.
Nach Einschätzung der TK wurde bereits einiges erreicht, um das Dasein als Hausarzt im ländlichen Raum attraktiver zu machen. „Der Landarzt als schlecht bezahlter Einzelkämpfer ohne Freizeit und mit geringem Ansehen in der medizinischen Fachwelt – dieses Bild stimmt längst nicht mehr“, so Andreas Vogt, Leiter der TK-Landesvertretung Baden-Württemberg. Als Beispiel nannte Vogt die Möglichkeit, sich auch im ambulanten ärztlichen Bereich anstellen zu lassen: „Die klassische Einzelpraxis wird es auch weiterhin geben. Doch den Kooperationen gehört die Zukunft.“So sind derzeit 15 Prozent der niedergelassenen Ärzte im Landkreis Biberach angestellt. Vor fünf Jahren waren es zwölf Prozent.
Für manche der mitgereisten Studenten ist es kein Horrorszenario mehr, eines Tages auf dem Land zu arbeiten. „Ich könnte mir das schon vorstellen“, sagt beispielsweise Sonja Klein, die an der Universität Heidelberg studiert. Voraussetzung für sie sei aber, dass der Partner ebenfalls einen Job findet und die Infrastruktur stimmt: „Ich würde in kein Dorf ohne Bäcker ziehen.“Ähnlich äußerten sich die anderen Studenten. Öffentlicher Nahverkehr, Freizeitaktivitäten, gute Schulen sowie Kinderbetreuungsangebote und eine größere Stadt in der Nähe – das sind Punkte, die dem Nachwuchs wichtig sind. Für manchen wäre auch eine Option, in einer größeren Stadt zu leben und dann zur Praxis auf dem Land zu pendeln.
„Der ländliche Raum hat wirklich aufgeholt“, betonte Haas. „Die Zeiten, in denen es mancherorts gar nichts gegeben hat, sind vorbei.“Apropos Vergangenheit: Wie Haas aus seiner Anfangszeit berichtete, habe es in den 1970er-Jahren zu viele Ärzte gegeben: „Wir sind dort hingegangen, wo die Arbeit war.“Bei allen Träumereien – dieses Mantra sollten angehende Ärzte auch heute noch beherzigen, so sein Appell. Denn eine Praxis sei ein Wirtschaftsbetrieb, der nach den Grundsätzen der Betriebswirtschaftslehre zu führen sei, sagte Haas. In Baden-Württemberg und Bayern gebe es die Möglichkeit, eine Praxis erfolgreich zu leiten: „Die Patienten sind da. Sie müssen eher schauen, wie Sie zu ihrer Freizeit kommen.“
Auf Nachfrage erläuterte Haas, dass ältere Kollegen auch bereit seien, den Nachwuchs dabei zu unterstützen und beispielsweise in der Urlaubszeit auszuhelfen. Auch nahm er den Studenten die Sorge vor drohenden Regressen: „Das war in den 1990er-Jahren ein radikaler Einschnitt, der die Ärzte tief verunsichert hat.“Wer nachweisen könne, dass ein Patient eine bestimmte Therapie brauche, habe nichts zu befürchten, so Haas. Trotz aller Wirtschaftlichkeit stehe nämlich die Würde eines Menschen über allem.