Schwäbische Zeitung (Biberach)
Ausland entscheidet über Unterricht
Kultusministerin will muttersprachliche Bildung nicht in eigene Verantwortung übernehmen
STUTTGART (kab) - Was im muttersprachlichen Unterricht im Südwesten gelehrt wird, entscheiden die Herkunftsländer. Diese bestimmen Inhalte und bezahlen die Lehrer, die hierfür nach Baden-Württemberg entsandt werden. An dieser Praxis will Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) nicht rütteln. Das erklärt sie in einer Antwort auf einen Antrag der SPD im Stuttgarter Landtag, die der „Schwäbischen Zeitung“vorliegt. Die SPD hatte Eisenmann aufgefordert, den Unterricht mit eigenen Lehrern und Inhalten anzubieten – in einem ersten Schritt per Modellversuch an bis zu 90 Schulen. Für diesen Modellversuch bekommt die SPD Rückendeckung von der Grünen-Fraktion, die damit auf Konfrontation zu ihrem Koalitionspartner CDU geht.
STUTTGART - Für den muttersprachlichen Unterricht in BadenWürttemberg sollen weiterhin die Herkunftsländer zuständig sein. Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) will an der Praxis des sogenannten Konsulatsunterrichts nicht rütteln. Das erklärt sie in ihrer Antwort auf einen Antrag der SPD im Landtag, die der „Schwäbischen Zeitung“vorliegt. Die SPD hatte einen Modellversuch gefordert, in dem der Staat den Unterricht selbst anbietet. Die Grünen im Landtag unterstützen die Idee und stellen sich damit gegen ihren Koalitionspartner.
Bislang erhalten Schüler im Südwesten herkunftssprachlichen Unterricht von Lehrern, die in Ankara, Rom, Budapest oder Warschau ausgebildet und von dort bezahlt werden. Laut Kultusministerium waren es zuletzt 38 500 Schüler, wovon mehr als die Hälfte an türkischem Unterricht teilgenommen haben. Das Land fördert den Unterricht. Im Schuljahr 2017/2018 waren es 1,13 Millionen Euro, wodurch ein Drittel der rund 3000 Kurse bezuschusst wurden. Andere Bundesländer wie Rheinland-Pfalz und NordrheinWestfalen bieten solchen Unterricht indes mit eigenen Lehrern an.
Die SPD fordert nun, im Südwesten einen wissenschaftlich begleiteten Modellversuch einzurichten. Ihr Konzept hatte sie im Juli vorgestellt. Ab dem Schuljahr 2019/2020 soll an bis zu 90 Schulen im Land muttersprachlicher Unterricht als freiwilliges Fach angeboten werden. Und zwar von Lehrern, die in Deutschland ausgebildet wurden. Mit Inhalten, die auf die hiesigen Bildungspläne abgestimmt sind. SPD-Fraktionschef Andreas Stoch argumentiert mit wissenschaftlichen Studien, wonach sich guter muttersprachlicher Unterricht positiv auf das Deutschlernen auswirkt. Rückendeckung erhält er dabei von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sowie von Havva Engin, Leiterin des Zentrums für Migrationsforschung und Transkulturelle Pädagogik an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg. Das diene auch der Integration der Kinder, so das Argument des Bündnisses.
Grüne für Modellversuch
Die Grünen-Fraktion im Landtag unterstützt den Vorstoß und stellt sich damit gegen den Koalitionspartner. „Mit Blick auf die wichtige integrationspolitische Bedeutung des muttersprachlichen Unterrichts halten wir es für sinnvoll, wenn wir als Land in einem Modellversuch prüfen, wie ein Unterrichtsformat mit in BadenWürttemberg ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrern aussehen könnte“, so Grünen-Bildungsexpertin Sandra Boser. Die Herkunftssprache spiele eine entscheidende Rolle für die Entwicklung von Identität, Denkstrukturen und Wissenserwerb – auch für Kinder in der zweiten, dritten und auch vierten Generation.
Eisenmann zweifelt das an, die Forschung liefere dazu kein eindeutiges Bild. In ihrer Antwort betont sie indes den Fokus auf das Deutschlernen. Vergleichende Bildungsstudien hatten Südwest-Schülern zuletzt schlechte Deutsch-Noten attestiert. „Gute deutsche Sprachkenntnisse sind für eine gelingende Bildungsbiografie besonders wichtig.“Dabei verweist sie auf Programme wie „Lesen macht stark“. Ihr Fazit: „Die Einrichtung eines solchen Modellversuchs ist derzeit nicht vorgesehen.“
SPD-Fraktionschef Stoch macht ihr dafür schwere Vorwürfe. „Kultusministerin Eisenmann hat schlichtweg keinen Plan, wie sie das badenwürttembergische Schulsystem für seine Realität als Einwanderungsland fit machen soll.“Herkunftssprachlicher Unterricht in Eigenregie wäre laut Stoch ein wichtige Baustein hierfür. Ähnlich kritisch äußert sich die GEW-Landesvorsitzende Doro Moritz. „Integration hat keinen hohen Stellenwert bei Kultusministerin Eisenmann und der Landesregierung“, moniert sie. „Es macht mich fassungslos, dass Baden-Württemberg als Land mit 44,3 Prozent Kindern mit Zuwanderungshintergrund in den 4. Klassen nicht das Mittel der Sprachförderung in der Herkunftssprache und in deutscher Sprache konsequent nutzt.“
Türkische Gemeinde für Reform
Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde, Gökay Sofuoglu, fordert schon lange, dass Türkisch als zweite Fremdsprache in den Schulen eingeführt und wie Englisch, Französisch oder Spanisch benotet wird. Daher gehe der Vorstoß der SPD-Landtagsfraktion in die richtige Richtung. „Wir brauchen aber eine Übergangslösung, da von heute auf morgen Türkisch nicht angeboten werden kann“, sagt Sofuoglu. „Hier sollte aber eine Kommission gegründet werden, in der Politiker und Experten sowie Bildungseinrichtungen und türkischstämmige Migrantenvertreter dabei sind.“Das Thema dürfe indes nicht für tagesaktuelle Integrationsdebatten instrumentalisiert werden, betont Sofuoglu.