Schwäbische Zeitung (Biberach)
Nachgefragt „Wir brauchen Serbien für die Stabilität auf dem Balkan“
FREIBURG (dpa) - Robert Zollitsch war sechs Jahre lang Gesicht und Stimme der katholischen Kirche in Deutschland. Als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz musste der damalige Freiburger Erzbischof den Skandal um Kindesmissbrauch durch katholische Geistliche managen. Er holte den Papst nach Deutschland, öffnete die katholische Kirche für die Ökumene und initiierte einen Dialogprozess. Am Donnerstag (9. August) wird der als liberal geltende Kirchenmann 80 Jahre alt.
„Ich genieße es, nach arbeitsreichen Jahren etwas mehr Ruhe finden zu können“, sagt Zollitsch. Der im heutigen Serbien geborene Katholik war von Juni 2003 bis Mitte 2014 Erzbischof von Freiburg, er leitete eine der größten Diözesen Deutschlands. Von 2008 bis 2014 stand er zudem an der Spitze der Deutschen Bischofskonferenz, bis er in den Ruhestand ging.
Er ist Freiburg treu geblieben
Seinen Wohnsitz in Freiburg, direkt neben Münster und Ordinariat, hat der Geistliche behalten. Die badische Universitätsstadt ist ihm Heimat seit mehr als einem halben Jahrhundert. „Ich habe mir einen geregelten Tagesablauf beibehalten und nutze den Tag“, sagt Zollitsch. Er wirkt an Gottesdiensten mit und engagiert sich bei Firmungen. „Das Schöne ist, dass nach den Gottesdiensten nicht schon, wie früher, der nächste Termin ruft. Ich kann mir also die Zeit nehmen, zum gemeinsamen Essen und zu Gesprächen zu bleiben.“So sei er nun näher bei den Menschen: „Dies erlebe ich mit großer Freude.“
Der Erzbischof war im Februar 2008 der Überraschungsnachfolger, als Kardinal Karl Lehmann nach 21 Jahren als Chef der deutschen Bischöfe abtrat. Zollitsch bezeichnete sich als Brückenbauer, er suchte Konsens statt Konfrontation. In Predigten und Interviews meldete er sich gerne zu gesellschaftlichen Themen zu Wort, vermied jedoch ideologisch überhöhte Debatten.
Bewähren musste er sich als Krisenmanager. Der Missbrauchsskandal erschütterte die Kirche und forderte den Chef der Bischöfe heraus. „Die schwierigste Phase meiner Amtszeit“, erinnert er sich.
Zollitsch blieb zunächst sprachlos. Er brauchte Zeit, um Worte zu Erzbischof im Ruhestand und ehemaliger Chef der katholischen Bischöfe in Deutschland: Robert Zollitsch wird 80 Jahre alt.
finden. Dann jedoch traf er den richtigen Ton, wie später selbst seine Kritiker einräumten: Er gab Fehler der Kirche zu, entschuldigte sich bei NOVI SAD - Robert Zollitsch wurde als Sohn einer donauschwäbischen Familie im heute nordserbischen Backi Gracac (Filipowa) geboren. Während des Zweiten Weltkriegs musste er, wie viele andere Donauschwaben, seine Heimat verlassen. Im Gespräch mit Philipp Richter plädiert er für den EU-Beitritt Serbiens – dies sei ein „Friedensdienst für Europa und die Welt“.
Herr Zollitsch, Sie waren in diesem Frühjahr in Serbien. Wie haben Sie das Land erlebt?
Ich war angetan, dass eigentlich all die Menschen, die wir getroffen haben, ihren Blick auf Europa richten. So wie es auch Präsident Aleksandar Vucic tut, schauen die Serben vor allem nach Deutschland. Als ich voriges Jahr bei der Bezirksregierung von Novi Sad war, wurde deutlich, dass der Weg Serbiens nach Europa über Deutschland
Missbrauchsopfern, kündigte Entschädigungen an und installierte mit dem Trierer Bischof Stephan Ackermann einen Missbrauchsbeauftragten. führt. Weder Kroatien noch Ungarn wird sich für Serbien stark machen. In der Politik richtet sich überall der Blick nach Europa. Manchmal wird noch angemerkt, dass man bei den Kroaten großzügiger bei den Aufnahmekriterien war, als man das bei Serbien ist. Eigentlich habe ich in Serbien damit gerechnet, dass der ein oder andere fragt: Will man uns überhaupt in der EU? Aber diese Frage kam Gott sei Dank nicht. Auch eine Angst, dass man durch den EUBeitritt die eigene Identität verliert, wie es heute etwa in Polen und Ungarn der Fall ist, habe ich nicht gespürt oder gehört.
Wie sehen Sie die Entwicklung Serbiens?
Nach Slobodan Milosevic ist viel geschehen. Er wollte mit Waffengewalt ein Großserbien schaffen. Jetzt spüre ich beim Staatspräsident
Zudem stieß er eine Verschärfung der kirchlichen Leitlinien an sowie eine Diskussion über die Sexualmoral der katholischen Kirche. Vucic und bei den Politikern, mit denen ich Kontakt habe, dass sie alle auf Europa setzen. Einerseits aus ganz nüchternen Gründen, weil sie schauen, wo ihre Zukunft ist und wer Arbeitsplätze schafft und andererseits, dass Serbien arm bleibt, wenn es alleine bleibt. Da ist viel geschehen über die Jahre. Meine Hoffnung ist deswegen, dass die EU-Beitrittsverhandlungen nicht zu lange gehen, weil eventuell eine Enttäuschung und eine EU-Müdigkeit kommen könnte.
Es gibt Stimmen, die gegen eine Ausweitung der EU sind und Skeptiker, die sich fragen: Brauchen wir Serbien überhaupt?
Ich sehe nicht, dass wir Serbien für uns brauchen, aber wir brauchen Serbien für die Stabilität auf dem Balkan. Wir müssen daran interessiert sein, dass die Völker des Balkans in einem friedlichen Europa vereint sind. Dass mit einem EULand Serbien auch der Friede Europas gesichert wird, damit nicht irgendwo wieder ein Eiter- und Brandherd ist. Der Erste Weltkrieg kam, weil auf dem Balkan der Mord von Sarajevo geschah, weil der Nationalismus übermütig wurde, dort ist das Pulverfass explodiert. Es ist ein Stück Friedensdienst an Europa und der Welt, wenn wir schauen, dass der Balkan in ein friedliches Europa integriert wird. Zum Beispiel investieren die Türkei und Saudi-Arabien hier. Hier spielen auch Kräfte mit, die nicht dem Miteinander in Europa dienen wollen. unter:
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