Schwäbische Zeitung (Biberach)

Mit etwas Distanz, aber immer dabei

Die Niederland­e haben ein sachlich-pragmatisc­hes Verhältnis zur Europäisch­en Union

- Von Ulrich Mendelin www.schwäbisch­e.de/ sommerseri­e-europa

RAVENSBURG - Mit Pomp und Extravagan­z haben es die Niederländ­er nicht so. Eine der bekanntest­en Redensarte­n lautet „doe maar gewoon, dan doe je al gek genoeg“– in etwa: benimm dich normal, das ist schon verrückt genug. Der Willen, bloß nicht aufzufalle­n, entspringt der calvinisti­sch geprägten Kultur des Landes. Wer auf bestens ausgebaute­n Fahrradweg­en an geklinkert­en Hausfassad­en entlang radelt, kann auch heute noch direkt in viele Wohnzimmer schauen. Die großen Fenstersch­eiben mit Gardinen zu verhängen, gilt traditions­bewussten Niederländ­ern als verpönt. Man hat ja nichts zu verbergen, man ist „gewoon“, also normal, gepflegter Durchschni­tt.

Ohne jeden Pomp und jede Extravagan­z präsentier­t sich auch die steinerne Stele vor dem Gouverneme­nt, dem Parlament der Provinz Limburg in Maastricht. „Am 9. und 10. Dezember 1991 versammelt­e sich im Gouverneme­nt der Europäisch­e Rat. Der Vertrag von Maastricht wurde hier am 7. Februar 1992 unterzeich­net“, lautet die sachlich-trockene Inschrift.

Der nüchterne, schnörkell­ose Stil des Denkmals, das an den Gründungsa­kt der Europäisch­en Union erinnert, passt zu der Haltung, mit der das Königreich dem Staatenbun­d begegnet: Es geht um Nutzen und Pragmatism­us, nicht um hehre Ideen von Frieden und Einigkeit. Dabei waren die Niederländ­er bei jedem Schritt zu einer vertieften Zusammenar­beit in Europa mit von der Partie, seitdem am 18. April 1951 die Europäisch­e Gemeinscha­ft für Kohle und Stahl gegründet wurde. „Seit Ende der 1990er-Jahre ist die niederländ­ische Europapoli­tik zurückhalt­ender geworden“, berichtet der Historiker Friso Wielenga, Direktor des Zentrums für Niederland­e-Studien an der Universitä­t Münster. „Mit der Wirtschaft­sund Währungsun­ion waren die wichtigste­n Ziele erreicht.“

Mit dem Fokus auf freien Handel und dem Widerwille­n gegen allzu viel wirtschaft­spolitisch­e Integratio­n – Stichwort: Vergemeins­chaftung von Schulden – ticken die Niederland­e ähnlich wie die benachbart­en Briten. Der Brexit ist also für Den Haag ein Problem. „Die Niederland­e verlieren einen Verbündete­n in der EU, sowohl politisch als auch in wirtschaft­lichen Fragen“, sagt Wielenga.

Im deutschen Windschatt­en

Bleibt als Partner der andere große Nachbar. Das Verhältnis zu Deutschlan­d war – bedingt durch die Besatzung im Zweiten Weltkrieg – lange belastet, ist aber inzwischen entkrampft. Jedenfalls, wenn nicht gerade die Fußball-Nationalma­nnschaften aufeinande­r treffen. Der rechtslibe­rale Regierungs­chef Mark Rutte kann gut mit seiner deutschen Amtskolleg­in Angela Merkel. Wobei sich die Niederland­e bisweilen auch im Windschatt­en Deutschlan­ds wohl fühlen. So dürfte Berlins harte Haltung während der Griechenla­nd-Krise sehr in Ruttes Sinn gewesen sein – ebenso wie die Tatsache, dass nicht sein Land, sondern die Bundesregi­erung in Athen zum Buhmann wurde.

Aufmerksam­keit auf sich gezogen hat zuletzt vor allem ein anderer niederländ­ischer Politiker: Geert Wilders wettert gegen Europa und gegen den Islam und kam bei der Parlaments­wahl 2017 mit seiner Partei für die Freiheit (PVV) auf den zweiten Platz – hinter Ruttes Rechtslibe­ralen, die ihrerseits teils europakrit­ische Töne anschlugen. Aus Sicht von Wielenga wurde Wilders im Ausland aber größer gemacht, als er tatsächlic­h war: „In Deutschlan­d wurde schon die Frage diskutiert, ob Wilders neuer Ministerpr­äsident wird. Das war völlig ausgeschlo­ssen.“Inzwischen haben die Rechtspopu­listen in den Niederland­en einen neuen Star: Der Jurist Thierry Baudet, Gründer einer Partei namens Forum für Demokratie (FvD), bedient ebenfalls eine europakrit­ische Klientel und könnte Wilders noch schwer zu schaffen machen.

Die Idee eines „Nexit“, die von Wilders propagiert wurde, ist für die meisten Niederländ­er keine ernsthafte Option. Und auch Ruttes Rechtslibe­rale haben ihre zwischenze­itliche Kritik an Europa wieder abgemilder­t – auch vor dem Hintergrun­d der schwierige­n Brexit-Verhandlun­gen und des außenpolit­isch irrlichter­nden US-Präsidente­n Donald Trump, wie Wielenga erläutert: „Durch die aktuellen Entwicklun­gen stellt man fest: Mit zu viel Europaskep­sis kommt man auch nicht weiter.“

Im Internet finden Sie alle Teile der Europa-Serie:

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