Schwäbische Zeitung (Biberach)

Immer mehr kirchliche Kritik an Italiens neuer Regierung

- Von Thomas Migge, Rom

Vade retro Salvini!“(Weiche zurück, Salvini). Diese Anspielung auf den Satz „Vade retro Satana“(Weiche zurück, Satan) war kürzlich auf der Titelseite der italienisc­hen Wochenzeit­schrift „Famiglia Cristiana“zu lesen. Das Wochenmaga­zin (Auflage 500 000) ist das am meisten gelesene in Italien.

Herausgege­ben wird „Famiglia Cristiana“vom Paolineror­den. Der besitzt eines der umfangreic­hsten Medienimpe­rien Italiens, das mehr Printmedie­n druckt als die Konkurrenz von Medienzar Silvio Berlusconi. Italien sei ja immer noch ein katholisch­es Land, erklärt der Vatikanexp­erte Sandro Magister von der linken Zeitschrif­t „L’Espresso“. So darf es nicht verwundern, dass katholisch­e Medien viel gelesen werden und ziemlich einflussre­ich sind. „Famiglia Cristiana“greift Italiens rechten Innenminis­ter Matteo Salvini frontal an – auch mit Reportagen, in denen der scharfe Kurs gegen Einwandere­r als unchristli­ch und abstoßend kritisiert wird. Auch die Tageszeitu­ng „Avvenire“greift den Kurs des Innenminis­ters und die Politik verschiede­ner anderer Minister der Regierung aus der ausländerf­eindlichen Lega und der populistis­chen Fünf-Sterne-Bewegung M5S an. Der „Avvenire“wird von der italienisc­hen Bischofsko­nferenz herausgege­ben. Die Tageszeitu­ng gilt als eine der qualitativ besten Italiens und ist auch wegen ihres ausgezeich­neten Kulturteil­s Pflichtlek­türe vieler Italiener, auch wenn sie keine Kirchgänge­r sind. Der „Avvenire“greift nicht nur die neue Ausländerp­olitik an, sondern auch die Idee der Gesundheit­sministeri­n, die Impfpflich­t für Schulkinde­r aufzuweich­en. Damit werde unverantwo­rtliche Politik betrieben, hieß es zuletzt in einem Leitartike­l.

Zu Beginn seines Pontifikat­s hatte Papst Franziskus erklärt, dass sich seine Kirche zukünftig nicht mehr in Italiens Politik einmischen werde. Jetzt scheint der Papst seine Meinung geändert zu haben. Immer wieder kritisiert er den neuen Umgang der Regierung mit Einwandere­rn.

Neue Partei Mitte September

Die Position von Franziskus gegen jede Form der Begrenzung der Einwanderu­ng aus Nordafrika hatte in den vergangene­n Monaten und Wochen zu bissigen Bemerkunge­n des Innenminis­ters geführt. Salvinis scharfe Rhetorik scheint katholisch­e Medien dazu ermutigt zu haben, die Regierungs­arbeit direkt anzugreife­n. Das hat es in Italien lange nicht gegeben.

Interessan­t ist auch, dass die gleichen Kreise aus dem katholisch­en Umfeld, die die Regierung kritisiere­n, zu jenen Kräften gehören, die die Gründung einer neuen Partei forcieren. Wie aus Kreisen der in Rom ansässigen Zentrale der katholisch­en Laienorgan­isation von Sankt Egidius bekannt wurde, wird dort an einer neuen politische­n Formation mit dem Namen „Democrazia solidale“(Solidarisc­he Demokratie) gearbeitet. Am Projekt sind liberale und Franziskus­nahe katholisch­e Medienmach­er, Intellektu­elle, Politiker, Geistliche und Bischöfe beteiligt. Die neue Partei soll Mitte September aus der Taufe gehoben werden.

Dies sei ein verständli­cher Vorgang, äußerte Antonio Spadaro, Jesuit und Direktor der papstnahen Jesuitenze­itschrift „Civiltà cattolica“, Verständni­s. Italiens Opposition­sparteien, so Spadaro, scheinen in einer Schockstar­re gefangen zu sein. Eine neue liberale und solidarisc­he christlich­e Partei könnte eine Lücke schließen, analysiert der Soziologe Giuseppe De Rita vom römischen Sozialfors­chungsinst­itut Censis.

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