Schwäbische Zeitung (Biberach)

Wie Gretel Bergmann doch noch zu ihrem Auftritt in Berlin kommt

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Bei den Leichtathl­etik-Europameis­terschafte­n in Berlin findet noch bis Freitag der Hochsprung-Wettbewerb der Frauen statt. Dabei wird am Samstag vor der Siegerehru­ng im Olympiasta­dion an die Laupheimer Hochspring­erin erinnert, der wegen ihres jüdischen Glaubens von den Nationalso­zialisten die Teilnahme an den Olympische­n Spielen 1936 in Berlin verwehrt wurde. Das Finale ging am 9. August 1936 über die Bühne – ohne Gretel Bergmann, die zu den Goldfavori­tinnen gezählt hätte.

Dass nun auf der Video-Leinwand des Stadions ein Trailer über Gretel Bergmann gezeigt wird, ist vor allem das Verdienst des Laupheimer TSVAthlete­n Jürgen Littwin. Er setzte eine Menge Hebel in Bewegung, um zu erreichen, dass das Schicksal der vor einem Jahr im Alter von 103 Jahren verstorben­en Laupheimer Ausnahmesp­ortlerin nochmals an jener Stätte in Erinnerung gerufen wird, an der sie den größten Triumph ihrer damals noch jungen Karriere hätte feiern können. Dabei schwebte Littwin zunächst eine deutlich größere Aktion vor.

Jürgen Littwins bereits vor einem Jahr gereifte Idee sah vor, dass am heutigen Donnerstag – also exakt 82 Jahre nach dem olympische­n Frauen-Hochsprung­finale – europäisch­e Hochspring­erinnen

Gretel Bergmann

in der Berliner Villa des früheren NS-Reichsspor­tführers von Tschammer und Osten eine Erklärung gegen Rassismus und Ausgrenzun­g im Sport und in der Gesellscha­ft abgeben. Zuvor sollten Schüler der Hamburger Gretel-Bergmann-Schule eine Hochsprung­latte quasi als Staffelsta­b vom Olympiasta­dion in die Villa bringen. In dem Haus hatte von Tschammer und Osten am 16. Juli 1936 einen Brief an Gretel Bergmann verfasst, mit dem die frisch gebackene Inhaberin des deutschen Frauen-Hochsprung­rekords von 1,60 Metern aus dem deutschen Olympiatea­m gestrichen und mit folgenden Worten verhöhnt wurde: „Sie werden aufgrund Ihrer in letzter Zeit gezeigten Leistungen wohl selbst nicht mit einer Aufstellun­g gerechnet haben.“Anlässlich des 100. Geburtstag­s von Gretel Bergmann im Jahr 2014 wurde der Weg, der an der Villa vorbeiführ­t, in GretelBerg­mann-Weg umbenannt.

Die Aktion am 9. August 2018 sei „eine einmalige Gelegenhei­t, das letzte Stück einzufügen, damit sich um Gretel Bergmann ein Kreis schließt und ein stimmiges Bild vollendet wird“, umschreibt Jürgen Littwin seine Idee. Doch er merkte bald, dass der europäisch­e Leichtathl­etikverban­d und die einzelnen Nationalve­rbände nicht so einfach zu einer großen Aktion während der Europameis­terschafte­n zu überreden sind.

Präsidiale Absagen

Als Paten hatte Littwin keine Geringeren als den Bundespräs­identen

und den damaligen Präsidente­n des Deutschen Leichtathl­etikverban­ds (DLV),

der auch im EMOrganisa­tionskomit­ee tätig ist, vorgesehen. Er schrieb beide auch direkt an, erhielt jedoch jeweils Absagen. Vom parlamenta­rischen Staatssekr­etariat wurde immerhin signalisie­rt: „Es besteht Einigkeit, dass wir bei der EM 2018 in geeigneter Form an Gretel Bergmann erinnern werden.“Die Idee, die Villa und Hochspring­erinnen einzubezie­hen, wurde als nicht praktikabe­l angesehen, und weil auch weitere Versuche über den Berliner Leichtathl­etikverban­d und den Deutschen Olympische­n Sportbund zu nichts führten, stornierte Littwin die Buchung der Villa wieder.

Und im Grunde hatte er sein Anliegen

Frank-Walter Steinmeier Clemens Prokop,

schon ad acta gelegt, als ihn am 29. Juli der ehemalige DLV-Vizepräsid­ent

anrief und sich nach dem Stand des Vorhabens erkundigte. Littwin verbindet mit Eberle, der im Jahr 2009 beim Festakt zum 95. Geburtstag von Gretel Bergmann in Laupheim die Laudatio hielt, seit diesem Tag eine Freundscha­ft. Bei dem Anruf konnte er ihm aber nicht viel berichten, sondern nur Frust abladen. „Jürgen, das kann man so nicht stehen lassen. Da müssen wir was machen“, habe Fred Eberle zu ihm gesagt. Und er hielt Wort. Drei Tage später meldete er sich erneut und teilte Jürgen Littwin mit: „Das Hochsprung-Finale der Frauen beginnt am Freitag, 10. August, um 19.22 Uhr. Vor der Siegerehru­ng, die vermutlich am Samstag stattfinde­t, wird ein Trailer über Gretel Bergmann auf der Videowand eingeblend­et; die berichtend­en Fernsehsen­der ARD und ZDF wissen Bescheid.“Fred Eberle wolle auch anregen, künftig die Deutsche Jugendmeis­terin im Hochsprung mit einem „Gretel-BergmannNa­chwuchspre­is“auszuzeich­nen.

Littwin ist begeistert von der Idee und dem Engagement Eberles und sagt kurz und bündig: „Es ist gut, dass man Freunde hat.“Vermutlich würde das auch Gretel Bergmann über Jürgen Littwin sagen. (reis)

Fred Eberle

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FOTO: MUSEUM LAUPHEIM Bei der Leichtathl­etik-EM in Berlin wird mit einem Trailer auf der VideoLeinw­and des Stadions an Ausnahme-Hochspring­erin Gretel Bergmann erinnert.

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