Schwäbische Zeitung (Biberach)
Schleichs Weg zum Erfolg
Die Spielwaren des Unternehmens aus Schwäbisch Gmünd stehen plötzlich auf vielen Wunschzetteln
SCHWÄBISCH GMÜND - Trotz aller Achtsamkeit und Vorsicht, wo Kinder sind, tritt man irgendwann auf eines ihrer Spielzeuge, das herumliegt. Bei vier Kindern passiert das Dirk Engehausen auch nicht gerade selten. Meist sind es dabei Tierfiguren von Schleich, denn Engehausen ist der Chef des Spielwarenherstellers aus Schwäbisch Gmünd. Dabei traut sich der 53-jährige Ehemann und Vater durchaus zu, zu erkennen, ob sich gerade ein Dinosaurier oder ein Pferd in seine Fußsohle bohrt. Knifflig werde es erst, sagt er, wenn er einzelne Pferderassen unterscheiden müsse. Denn davon hat Schleich viele im Programm – an die 80 verschiedene sind es derzeit.
Doch detailgetreue und von Hand bemalte Dinosaurier, Pferde, Raubkatzen, Elfen und Drachen aus Kunststoff alleine reichen nicht aus, um den Erfolg des Unternehmens in den vergangenen Jahren zu erreichen. Seit 2015 wächst der Umsatz der Schleich Gruppe zweistellig – genauso wie es Engehausen im Januar 2015 angekündigt hat, als er die Führung übernommen hat.
Gleich im ersten Jahr steigerte er den Umsatz um 14 Prozent auf 132,5 Millionen Euro. Nach diesem Rekordjahr ging es für Schleich so weiter: 2016 wuchs der Umsatz um 16 Prozent auf 142,9 Millionen Euro, 2017 dann um 18 Prozent auf rund 156 Millionen Euro mit aktuell knapp 500 Mitarbeitern weltweit. Zum Gewinn macht Engehausen keine konkreten Angaben. Er bezeichnet die Profitabilität von Schleich als „weiterhin sehr gut“. Laut Bundesanzeiger lag das Ergebnis nach Steuern bei 16,4 Millionen Euro im ersten Jahr von Engehausen – im Jahr davor bei 19 Millionen Euro.
Geschichten erzählen
Möglich macht dieses rentable Millionengeschäft eine neue Strategie: Themenwelten und Spiele-Sets, wie Horse Club mit Reiterin und Pferd und Wild Life mit Dschungel Forschungsstation Croco, erzählen die Geschichten, die mit den Tierfiguren anfangen, weiter. Und das Wachstum soll in der Geschwindigkeit ebenfalls weitergehen: „Wir haben schon viel erreicht, sind aber erst am Anfang unseres Weges“, sagt Geschäftsführer Engehausen, „wir sehen noch einiges an Möglichkeiten, die exzellent zur Marke Schleich passen“.
Doch hinter diesem unbedingten Wachstumsstreben steht kein schwäbisches Familienunternehmen, sondern die französische Beteiligungsgesellschaft Ardian. Die wiederum übernahm Schleich im Jahr 2014 von dem britischen Fonds HG Capital – für den Preis von 220 Millionen Euro, wie das Handelsblatt schrieb. HG Capital soll demnach 2006 seinerseits selbst 165 Millionen Euro für Schleich gezahlt haben.
Mit Paul Kraut war ein Vertreter der damaligen Eigentümerfamilie Chef des Spielwarenherstellers. Dank des Kapitals konnte Kraut ausscheidende Gesellschafter auszahlen und das Unternehmen weiterführen – bis 2013, als Kraut überraschend und wohl nicht ganz freiwillig ausschied. Nach einer Wachstumsphase stagnierte das Geschäft von Schleich in den Jahren 2011 und 2012. Grund für die Private-Equity-Manager von HG Capital, die Unternehmensführung kurz vor dem Verkauf noch auszutauschen, wie der britische Fonds damals mitteilte.
Aktuell befindet sich das schwäbische Traditionsunternehmen also erneut in einer Wachstumsphase. Wann Ardian wieder verkaufen will, das weiß Engehausen nicht. „Das Verhältnis zum Investor Ardian ist ausgesprochen gut“, sagt Engehausen. Sowohl Ardian als auch er haben bei Schleich „sehr viel Potenzial gesehen und wir haben extrem viel Freude, diesen Wachstumskurs zu begleiten.“Die bewegte Geschichte von Schleich begann 1935, als Friedrich Schleich das Unternehmen gründete – als Lieferant für Kunststoffteile. Erst in den 1950er- und 1960er-Jahren produzierte man in Schwäbisch Gmünd Spielzeugfiguren. Erfolg und Bekanntheit kamen besonders durch die Schlümpfe, die bis heute im Sortiment sind. 1977 verkaufte der Gründer an einen Zulieferer. Nach einer Insolvenz wegen zu hoher Lagerbestände und einem Nachlassen des Schlumpf-Booms lag das Unternehmen ab 1986 in den Händen von vier Gesellschaftern, einer davon war Paul Kraut senior, dessen Sohn dann wiederum die Kapitalgesellschaft HG Capital ins Unternehmen holte und selbst ausschied.
Die Erben der Schlümpfe
„Die Schlümpfe sind für Schleich so etwas wie ein Erbstück. Als die Schlümpfe 1965 ins Portfolio kamen, hat das einen ganz wichtigen Auftrieb für die Marke Schleich gegeben. Für viele Eltern und Großeltern sind die Schlümpfe inzwischen ein Synoym für Schleich“, erklärt Engehausen. Auch heute noch gibt es Schlümpfe aus dem Hause
Schleich – und das nicht bloß aus nostalgischen Gründen: „Sowohl bei den Erwachsenen als auch bei den Kindern gibt es eine echte Fangemeinde, die sehr treu ist“, so Engehausen.
Am Beispiel der Schlümpfe lässt sich auch jenes Potenzial aufzeigen, das der französische Investor Ardian und Engehausen gesehen haben und nutzen wollen. Die Figuren befinden sich im unteren Preissegment der Spielwaren, dem sogenannten Impulsbereich – geeignet beispielsweise als Mitbringsel oder Belohnung. „Mit diesen Figuren begeistern wir auch immer wieder neue Kinder für unsere Marke,“erklärt Engehausen. Dann gibt es den mittleren Bereich von zehn bis 50 Euro – das sei die Preisklasse von Ostern und Geburtstagsgeschenken, sagt Engehausen, der unter anderem 19 Jahre lang bei Lego gearbeitet hat, zuletzt als Europachef. Schließlich gibt es das hochpreisige Segment von 50 bis 100 Euro – das ist die Liga von Weihnachten, das für jeden Spielwarenhersteller elementar wichtig ist.
„Das war die Herausforderung: wir waren nicht auf der Wunschliste der Kinder zu Weihnachten“, so Engehausen. „Wir sind in fast allen Haushalten mit unseren Tierfiguren, in wenigen Haushalten aber mit einem Stall oder mit einem Bauernhof.“Dieses Potenzial zu heben mit den Themenwelten und Spiele-Sets, ist also die Wachstumsstrategie. Im Herbst durchbricht der schwäbische Spielwarenhersteller, der aktuell laut den Marktforschern von NPD Eurotoys, wie die „Welt“zitiert, nach Lego, Playmobil, Hasbro, Matell, Simba-Dickie und Ravensburg in Deutschland an siebter Stelle liegt, dann auch erstmals die 100-Euro-Schwelle: Das neue Reit-Set soll 119 Euro kosten.
Ein weiterer positiver Effekt der Themenwelt-Strategie ist ein Film, der am 24. Oktober 2019 Premiere feiert und in Bayala, der Welt der Elfen und Meerjungfrauen, spielt – „ein Ritterschlag für Schleich“, so Engehausen. Auch aus Horse Club eine TV-Serie à la Bibi und Tina zu machen, „können wir uns vorstellen, aber wir wollen uns nicht verzetteln“, sagt Engehausen. Lieber wolle man einen Schritt nach dem anderen machen. Der nächste Fokus liege jetzt auf Wachstum im Ausland. Das Wachstum der vergangenen Jahre im deutschsprachigen Heimatmarkt – der Umsatzanteil von Deutschland beträgt rund 45 Prozent – , habe gezeigt, zu was die Marke Schleich in der Lage sei.
Geht diese Strategie weiter auf, werden außer Engehausen auch viele andere Eltern zu Hause nicht mehr bloß auf einzelne Tiere treten, sondern über Ställe, Bauernhöfe, Traktoren und Geländefahrzeuge aus dem Hause Schleich stolpern.
Wie eine Spielfigur von Schleich entsteht, vom Entwurf bis zur Bemalung, lesen Sie online unter: