Schwäbische Zeitung (Biberach)
In Isny liegt die Wohlfühltemperatur bei 62 Grad
Nachdem Uli Alexa über Jahre hinweg im Restaurant des Terrassenhotels Isny eine ebenso bodenständige wie feine und dabei immer noch nachvollziehbare Küche gepflegt hat, ist dort inzwischen Alexander Leonhardt der Chef. Das Restaurant trägt den Namen 62 Grad – der auch Programm ist. Denn die Temperatur gibt einen Hinweis auf die Garmethode, mit der hier mit Vorliebe gekocht wird. Sous Vide heißt das Zauberwort, mit dem auch Fleischstücke aus der zweiten Reihe vakuumiert bei niedrigen Temperaturen im Wasserbad ihrer Perfektion entgegensimmern. Und ein zweites Schlagwort bestimmt die kreative Karte: Naturküche.
Wie das in der Praxis aussieht? In Form eines dreistimmigen Grußes aus der Küche kombiniert der Chef einen exzellenten
Tiroler Schinken, eine der Sommerhitze bestens angepasste kalte Gemüsesuppe mit einer kleinen und hinterlistigen Schärfe jenseits des Gaumens und niedlichen Tranchen von der Schweinebacke – hübsch auf orientalisch anmutendem Kichererbsenpüree angerichtet. Der erste Eindruck: klug durchdacht – und dann auch noch intelligent umgesetzt. Dieser Eindruck setzt sich im Verlauf des Menüs fort, zum Beispiel in der Art, wie die Würfel vom butterzarten Schweinebauch ihren rustikalen Geschmack entfalten, ohne dabei derb zu werden. Aufgefangen von allerlei Soßenklecksen, deren vielfarbiges Aussehen sich auch in den Aromen spiegelt: mal scharf, mal süßlich – aber nie langweilig. Dagegen wirkt das Kraut samt Kümmel fast schon ein bisschen konventionell. Ein bisschen zu viel des kreativen Guten offenbart sich allerdings im Lachs, der mit einer merkwürdig-scharfen Schokoladensoße an den Tisch kommt. Von ganz anderem Kaliber sind da die Variationen vom Kalb: Ein Ragout vom Bein, auf den aromatischen Kern reduziert, das den Willen zur perfekten Würze dokumentiert. Den zartrosa Kontrast zum Geschmorten liefert dabei eine Scheibe von einem eigentlich zweit- bis drittrangigen Stück, das durch das Garen bei 62 Grad glatt mit Filet verwechselt werden könnte. Viel mehr als nur Beiwerk sind die ausgezeichneten Pfifferlinge sowie der wilde Brokkoli.
Übrigens: Dieses mehr als erfreuliche Menü wirkt auf der Terrasse vor der lieblichen Kulisse einer Allgäulandschaft wie auf der Postkarte. Zum Wohlgefühl trägt gewiss auch der Service bei, der immer bereitsteht, um etwa vom ausgezeichneten Grünen Veltliner Smaragd nachzuschenken. Die Flasche stammt aus einem Weinkeller, der mit einer überschaubaren, aber klugen Auswahl nicht nur den Bodensee repräsentiert, sondern auch internationale Gewächse zu fairen Preisen bietet.
Mit dem Dessert spielt die Küche einen ungewöhnlichen Schlussakkord: Sauerrahmeis, geriebener Ziegenkäse und Meersalzflocken. Was sich auf dem Papier wie eine Schnapsidee liest, nimmt der Gaumen als kontrastreiches Spektakel verschiedener Texturen, als Dialog aus süß und salzig wahr. Keine bloße Spielerei, sondern ein Wagnis mit Sinn. Gelungen, wie die meisten Ideen auf den Tellern des Abends. Wem das zu wenig bodenständig sein sollte: Neben der kreativen Naturküche pflegt das Restaurant auch die Tradition einer zünftigen Brotzeit.
Allgäuer Terrassenhotel Isny Restaurant 62 Grad Alpenblickweg 3 88316 Isny Telefon 07562-97100 www.terrassenhotel.de geöffnet täglich ab 7 Uhr, große Karte von 12 bis 14 Uhr und ab 18 Uhr. Hauptgerichte von 16 bis 28 Euro, Menü ab 31 Euro.
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