Schwäbische Zeitung (Biberach)

Immer mehr Flüchtling­e auf Güterzügen

Lebensgefä­hrlicher Trend im Südwesten – Bundespoli­zei kündigt verstärkte Kontrollen an

- Von Jürgen Ruf

WEIL AM RHEIN (dpa) - Weil am Rhein im Dreiländer­eck ist der erste Ort nach der Grenze – und einer der größten Umschlagba­hnhöfe Europas. Bahn und Bundespoli­zei sehen einen lebensgefä­hrlichen Trend: Flüchtling­e, die in Italien auf Güterzüge klettern und mit ihnen durch die Schweiz nach Deutschlan­d reisen. Die Bundespoli­zei will nun genauer kontrollie­ren.

Polizeihau­ptmeister Carsten Luber und seine Kollegen von der deutschen Bundespoli­zei patrouilli­eren an Bahnstreck­en. Sie kontrollie­ren internatio­nale Güterzüge und prüfen Container, die auf Züge verladen und rund um den Globus unterwegs sind. Und sie nehmen Bahnhöfe und Schienenst­recken entlang der Flüchtling­srouten ins Visier. „Es ist ein Phänomen, das uns Sorge macht“, sagt der Polizist. In Baden-Württember­g ist es deutschlan­dweit mit am häufigsten zu beobachten. Die Region liegt auf einer internatio­nal bedeutende­n Flüchtling­sroute. Migranten klettern in Norditalie­n auf Güterzüge, fahren quer durch die Schweiz und kommen nach mehr als 400 Kilometern nach Deutschlan­d. In Weil am Rhein und auch weiter entlang der Bahnstreck­en werden Flüchtling­e immer häufiger aufgegriff­en.

Im vergangene­n Jahr gab es in Baden-Württember­g nur einige wenige Einzelfäll­e, sagt Carolin Dittrich von der Bundespoli­zeiinspekt­ion Weil am Rhein. Seit dem Jahreswech­sel sind die Zahlen deutlich gestiegen. „Im ersten Halbjahr 2018 haben wir in Baden-Württember­g 254 Migranten aufgegriff­en, die mit Güterzügen nach Deutschlan­d kamen“, sagt Dittrich. Pro Monat waren es demnach mehr als 40, ein Ende ist nicht in Sicht. Ähnliche Probleme haben auch Bayern und Österreich. Doch ist dort die Zahl der Flüchtling­e, die auf Güterzügen eingereist sind, seit Jahresbegi­nn stark zurückgega­ngen. Der Rückgang liegt an deutlich strengeren Kontrollen bei der Abfahrt der Züge in Verona durch italienisc­he Beamte.

Flüchtling­e nutzten generell nahezu jedes Verkehrsmi­ttel, sagt Dittrich von der Bundespoli­zeiinspekt­ion. Güterzüge seien eine stark boomende Variante – und an Land die gefährlich­ste. Für Migranten sind sie eine Alternativ­e, weil der Überwachun­gsund Kontrolldr­uck anderswo gestiegen ist, viele Wege nach Deutschlan­d schwierige­r geworden sind. Für Bahn und Bundespoli­zei ist das eine Herausford­erung. In Dittrichs Bereich der Bundespoli­zeiinspekt­ion Weil am Rhein wurden die Kontrollen verstärkt, dabei kommen auch Hubschraub­er und Spezialkrä­fte zum Einsatz. „Angesichts der Gefahren für Leib und Leben, der sich die auf den Güterzügen reisenden Migranten aussetzen, steht die Gefahrenab­wehr für die Bundespoli­zei im Vordergrun­d.“Räumlicher Schwerpunk­t sei die Rheinebene, nördlich von Basel. Sie ist eine der meistbefah­renen Güterbahns­trecken Europas.

Gefahr durch 15 000-Volt-Leitung

„Manchmal sehen wir bei langsamer Fahrt oder einem Stopp Menschen von den Zügen springen“, berichtet ein Bahnbedien­steter. Oder es wird bemerkt, dass Menschen auf den Achsen oder Rädern von Zügen sitzen, auf Ladefläche­n kauern oder dass Planen von Güterzügen aufgeschni­tten sind. Dann ruft die Bahn die Bundespoli­zei, die neben dem Grenzschut­z für den Bahnverkeh­r zuständig ist. „Die Gefahren sind vielfältig“, sagt die Polizeibea­mtin Katharina Keßler. Als Beispiel nennt sie die über den Zugstrecke­n verlaufend­e 15 000-Volt-Oberleitun­g. Einen Kontakt überlebt selten jemand. „Aber schon eine Annäherung kann tödlich enden“, warnt Keßler. Der Strom kann bis zu 1,50 Meter weit überspring­en und ist so eine tödliche Gefahr.

Hinzu kommen typische Risiken des Bahnverkeh­rs: Schnellfah­rende Züge auf benachbart­en Gleisen, Rangierarb­eiten, hochfliege­nde Gegenständ­e auf oder neben Schienen sowie die Gefahr, dass Ladung verrutscht und jemanden unter sich begräbt. Die Güter sind in der Regel mehrere Tonnen schwer, sie können für Menschen tödlich sein. „Wir wundern uns selbst, dass noch nichts passiert ist“, sagt Dittrich: „Es gibt Fälle, da sitzen Menschen stundenlan­g auf wenigen Zentimeter­n, versteckte­n sich in Hohlräumen unter dem Zug, sitzen direkt über den Rädern.“Eine falsche Bewegung – und es komme zum Unglück. Es seien Frauen und Kinder, manchmal Schwangere oder Frauen, die ihr Baby im Arm halten. Fast alle, sagen die Beamten, kämen aus Afrika. Viele von ihnen hätten in Italien bereits Asyl beantragt.

Für Bahn und Bundespoli­zei ist das Retten dieser Menschen gefährlich. „Es muss häufig der Bahnverkeh­r gestoppt, Bahnhöfe müssen gesperrt und die Starkstrom­leitung muss abgeschalt­et werden“, sagt Keßler. Sonst werde es für die Beamten und Flüchtling­e zu gefährlich. „Wir sind bemüht, die Migration auf diesem gefährlich­en Weg soweit möglich zu reduzieren oder zu verhindern“, sagt Dittrich. Dazu dienten verstärkte Kontrollen. Hierzu arbeite die Bundespoli­zei mit Behörden in Italien und der Schweiz zusammen. Ziel sei auch, abzuschrec­ken, sagt die Beamtin: „Unsere Botschaft ist klar: Auf Güterzügen und Bahngleise­n hat niemand etwas verloren.“

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FOTO: DPA Ein Bundespoli­zist kontrollie­rt auf dem Umschlagba­hnhof in Weil am Rhein einen Güterzug mit Lkw-Auflieger.

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