Schwäbische Zeitung (Biberach)

Suff, Sonne – und der Sturz vom Balkon

Immer mehr Urlauber verunglück­en auf Mallorca beim „Balconing“– Schon sieben Tote in 2018

- Von Ralph Schulze

Das typische Opfer ist ein junger Mann, der mit ein paar Freunden nach Mallorca gekommen ist“, erzählt der spanische Unfallchir­urg Juan José Segura. „Sie haben Spaß, sie trinken, vielleicht ein bisschen zu viel, und sie machen riskante Sachen.“Zum Beispiel klettern sie von einem Hotelbalko­n zum anderen. Oder sie versuchen, vom Zimmerbalk­on in den oberen Stockwerke­n in den Pool zu springen.

Mit dramatisch­en Folgen. Seit Jahresanfa­ng starben schon sieben junge Mallorca-Urlauber bei diesem lebensgefä­hrlichen Spiel mit dem Tod – so viele wie noch nie.

Segura hatte in den letzten Monaten etliche Schwerverl­etzte auf seinem Operations­tisch im Universitä­tskrankenh­aus Son Espases in Palma. Durchweg Touristen, die sich bei Stürzen und Sprüngen vom Balkon kritische Wirbelsäul­en- oder Kopfverlet­zungen zuzogen.

Ministeriu­m klärt auf

Die meisten Balkonopfe­r sind Briten, die vorzugswei­se in der Partyhochb­urg Magaluf Urlaub machen, wo der Alkohol besonders reichlich fließt. Aber auch Deutsche, die am liebsten an der Playa de Palma feiern, sind nicht immun gegen das „Balconing“, wie diese Balkon-Klettereie­n genannt werden. Jedes sechste Balkon-Opfer kommt nach der Statistik aus Deutschlan­d.

Um weitere Balconing-Unfälle möglichst zu vermeiden, macht der mallorquin­ische Arzt Segura dieses Jahr bei einer Aufklärung­skampagne des britischen Außenminis­teriums mit. „Das Problem ist weniger, dass du auf diese Weise deinen Urlaub ruinierst“, appelliert der 32-jährige Chirurg in einem Video an die Vernunft der jungen Mallorca-Besucher. „Das Problem ist, dass du dein Leben ruinierst.“Das britische Außenminis­terium warnt die nach Mallorca reisenden Landsleute: „Gehe keine unnötigen Risiken auf Balkonen ein, besonders wenn du unter dem Einfluss von Drogen und Alkohol stehst.“Das Ministeriu­m weist darauf hin, dass die Reisekrank­enversiche­rung die Folgen derartiger SuffUnfäll­e möglicherw­eise nicht abdeckt. Die meisten stürzen in den Sommermona­ten übers Geländer. Fast durchweg seien Alkohol oder Drogen im Spiel, sagt Segura, der die Unglücksge­schichten zusammen mit seinen Kollegen seit Jahren analysiert. „In 95 Prozent der Fälle hatten die Patienten große Mengen Alkohol getrunken, und 30 Prozent hatten zusätzlich Drogen genommen.“

In der Regel seien es Unfälle, bei denen die Betreffend­en abstürzen, wenn sie über den Balkon zum Nachbarzim­mer der Freunde klettern. Oder wenn sie einfach volltrunke­n übers Geländer kippen. In etwa 15 Prozent der Fälle handele es sich jedoch um Mutproben, weil die jungen Leute versucht hätten, vom Zimmerbalk­on ins Schwimmbec­ken des Hotels zu springen.

Gerade erst fiel ein 25-jähriger Brite in Magaluf übers Geländer im sechsten Stock, als er vom Balkon aus in den Hotelhof urinierte. Er war das Opfer Nummer 15 in diesem Jahr und überlebte schwer verletzt. Nur wenige Tage zuvor stürzte im Vergnügung­sviertel an der Playa de Palma eine 25jährige Frau aus Ungarn aus dem dritten Stock auf ein Autodach, das ihr das Leben rettete. Ein 14-jähriger Brite, der in dem Ort Muro im Norden der Insel aus dem zweiten Stockwerk fiel, hatte weniger Glück und starb.

Hohe Strafen für Kletterer

Die spanischen Behörden versuchen nun, mit hohen Strafen die Balkonklet­terer abzuschrec­ken. Wer in Magaluf erwischt wird, kann mit 6001500 Euro Geldbuße belegt werden. Zudem droht der Hotelverwe­is. Manche Hoteliers haben inzwischen die Geländer erhöht, um Stürze zu vermeiden. Andere gingen dazu über, feierfreud­ige Cliquen junger Männer vorzugswei­se im Erdgeschos­s einzuquart­ieren.

„Ich hätte tot sein können“, berichtet Jake Evans. Dieser Brite kippte bereits vor einigen Jahren vom Balkon. Er fiel sieben Stockwerke tief. Sein Sturz wurde von einer Sonnenlieg­e gebremst. „Das rettete wahrschein­lich mein Leben.“Trotzdem erlitt er einen Schädelbru­ch. Auf einem Video des britischen Außenminis­teriums bekennt er: „Der Unfall veränderte mein Leben.“Und Jake warnt seine Altersgeno­ssen: „Seid vorsichtig.“

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FOTO: DPA Zumeist unter Drogeneinf­luss klettern immer wieder Urlauber auf Mallorca von Balkon zu Balkon, bisweilen mit dramatisch­en Folgen.

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