Schwäbische Zeitung (Biberach)
Als das Illertal in Aufruhr war
1968 drohte der Bau einer Großsenderanlage – wie dieser verhindert wurde, wird im Dettinger Dorfmuseum gezeigt
DETTINGEN (sz) - „Lasst uns in Ruhe“oder „Kommt der Sender her, gibt’s keinen Zuzug mehr“: Botschaften aus dem Jahr 1968, als das Illertal in Aufruhr war. Grund waren die Pläne der Bundespost, im Illertal eine große Senderanlage für die Deutsche Welle zu bauen. 1968 gipfelte der Widerstand in einer Demonstration. Das Dettinger Dorfmuseum widmet dem Großprojekt nun eine Sonderausstellung – „Das Drama mit der Deutschen Welle“.
DETTINGEN - „Lasst uns in Ruhe“, „Wir wollen keinen Großsender“, „Kommt der Sender her, gibt’s keinen Zuzug mehr“: Botschaften aus dem Jahr 1968, als das Illertal in Aufruhr war. Grund waren die Pläne der Bundespost, im Illertal eine große Senderanlage für die Deutsche Welle zu bauen. Aus der Bevölkerung gab es massiven Widerstand, der im März 1968 in einer Demonstration auf dem Dettinger Sportplatz gipfelte. Mehr als Tausend Illertaler waren gekommen, Hunderte Transparente sprachen eine klare Sprache. Mit Erfolg. Die Bundespost gab ein halbes Jahr später ihre Pläne im Illertal auf. Das Dettinger Dorfmuseum widmet dem vor 50 Jahren umstrittenen Großprojekt eine Sonderausstellung – „Das Drama mit der Deutschen Welle“.
Der Blick auf die bloßen Zahlen und Fakten verdeutlicht, weshalb die Menschen im Illertal die geplante Senderanlage vor einem halben Jahrhundert derart umtrieb. Die Bundespost plante zwei Sendekomplexe, die vier Kilometer auseinanderliegen und je 90 Hektar Gelände beanspruchen. Zu jedem Sendekomplex gehörten ein Betriebsgebäude sowie drei 1,5 Kilometer lange und 200 Meter breite Antennenstraßen, in denen jeweils 96 Gittertürme und Masten mit einer Höhe bis zu 125 Meter Höhe aufgebaut hätten werden sollen. Anlass dieser Überlegungen waren die erschöpften Kapazitäten der bisherigen Senderanlagen der Deutschen Welle in Jülich und Kigali (Hauptstadt Ruandas). Knapp 180 Millionen D-Mark wollte sich die Bundespost das Illertal-Projekt kosten lassen, um mit der Deutschen Welle täglich Nachrichten in 28 Sprachen für die ganze Welt zu verbreiten.
Einer, der die Aufregung Ende der 1960er-Jahre miterlebte, ist Franz Lang. Der Dettinger war als 18-Jähriger bei der Demonstration auf dem Sportplatz dabei und erinnert sich noch gut an den „gewaltigen Wirbel“, den die Senderanlage im Illertal ausgelöst hatte. „Für uns war das wirklich eine Bedrohung“, erzählt Lang, der heute das Dorfmuseum in Dettingen leitet. Verschärft wurde das Thema durch die A 7, die seinerzeit zwar noch nicht gebaut, aber bereits in Planung war. „Durch die Autobahn und den Zubringer bis Erolzheim hatten die Bauern schon viele Grundstücke verloren“, so Franz
Lang. Einige Landwirte fürchteten nun um ihre Existenz, sollten sie noch mehr Land hergeben müssen. Anderen Bürgern ging es schlicht um die Verunstaltung des Illertals. „Und natürlich war da auch eine gewisse Angst vor etwas derart Unbekanntem“, weiß Franz Lang. Die Gemeinden Kirchberg, Dettingen, Erolzheim, Kirchdorf, Oberopfingen und Berkheim gründeten die Schutzgemeinschaft Illertal, um gemeinsam stärker auftreten zu können.
„Aber nun ist es genug, jetzt ist Schluss.“Kirchbergs Bürgermeister Ferdinand Remlinger bei der Demonstration in Dettingen 1968.
Sendermodell in Flammen
Der Sprecher der Schutzgemeinschaft, Kirchbergs Bürgermeister Ferdinand Remlinger, brachte es bei der Protestaktion in Dettingen auf den Punkt: „Die Sorge um das Illertal, um unsere Heimat, hat uns heute zusammengeführt.“Die Illertaler hätten schon viel Land hergegeben und seien auch bereit, für die geplante Autobahn noch Land zu opfern. „Aber nun ist es genug, jetzt ist Schluss“, so Remlinger. Weitere Redner aus der Landes- und Bundespolitik folgten, den Schlusspunkt setzten aber die Illertaler Bauern. Sie zündeten ein selbstgebautes Sendermodell an.
Eindrucksvolle Bilder, die landesweit durch die Medien gingen. Nur: Zunächst sah es nicht so aus, als ob all die Anstrengungen auf fruchtbaren Boden fallen. Drei Wochen nach der Demo druckte die „Schwäbische Zeitung“eine Stellungnahme der Bundespost ab, in der nochmals die Vorzüge des Standorts im Illertal genannt wurden: ebenes Gelände, günstiger Grundwasserspiegel, keine anderen Funkstellen in der näheren Umgebung und die südliche Lage, um eine „wirkungsvolle Funkausbreitung der Kurzwelle nach Nordamerika“zu erreichen. Die Bundespost erklärte wörtlich: „Da aber in ganz Süddeutschland kein annähernd gleiches, ebenes Gelände vorhanden ist, bleibt für den Platz der Großsendeanlage nur das Illertal.“
Umso überraschender kam die Kehrtwende ein halbes Jahr später, im Oktober 1968. Die Deutsche Bundespost legte ihr Pläne im württembergischen Illertal tatsächlich auf Eis und bevorzugte stattdessen ein Gelände östlich der Gemeinde Ettringen an der Wertach im bayerischen Landkreis Mindelheim – ein Standort, der Monate zuvor noch als ungeeignet bezeichnet worden war. Der politische Gegenwind und die Ablehnung der Bevölkerung waren hier jedoch deutlich geringer. „Die Erleichterung war sehr groß“, blickt Franz Lang zurück. Ein Fest habe es zwar nicht gegeben, aber jeder sei
froh gewesen, dass der Widerstand doch noch Früchte trug. Lang glaubt, dass der Druck nach der SportplatzDemonstration derart groß geworden war, dass sich die Bundespost schlicht nicht mehr traute, das Projekt im Illertal zu realisieren.
Dass sich das Hin und Her in Sachen Großsenderanlage nun zum 50. Mal jährt, haben die Verantwortlichen des Dorfmuseums zum Anlass genommen, eine Sonderausstellung zu konzipieren. Mit Bildern, Zeitungsberichten und Spruchbändern von damals wird auf das im Illertal gescheiterte Großprojekt zurückgeblickt. Neben einer Dokumentation von Hermann Käufel, Bürgermeister in Dettingen von 1953 bis 1986, haben Franz Lang und die gut ein Dutzend Ehrenamtlichen des Dorfmuseums auch Unterlagen aus dem Wertachtal bekommen. „Die Bundespost hat alles gesammelt“, sagt Franz Lang. Auch anonyme Briefe, die 1968 aus dem Illertal kamen.
Die Kurzwellensendeanlage Wertachtal, so die offizielle Bezeichnung, ist in der Zwischenzeit übrigens Geschichte. Im April 2013 stellte die zuletzt zuständige Media Broadcast den Sendebetrieb ein. Ein Jahr später begann der Abriss der Anlage. Statt Sendetürmen prägt nun ein Solarpark die Landschaft.
Das Dettinger Dorfmuseum hat anlässlich des Heimatfests am Sonntag, 19. August, von 13 bis 18 Uhr geöffnet.