Schwäbische Zeitung (Biberach)

Das Goldmädche­n wird 50

Doppel-Olympiasie­gerin Anja Fichtel war das Gesicht des deutschen Fechtens – heute lebt sie zurückgezo­gen

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TAUBERBISC­HOFSHEIM (SID) - Sie war beim bedeutends­ten Moment des deutschen Fechtsport­s die strahlende Heldin, doch ihre großen Siege und das Scheinwerf­erlicht hat Anja Fichtel hinter sich gelassen. Seoul 1988, die rauschhaft­en Olympische­n Spiele, bei denen sie gemeinsam mit Sabine Bau und Zita Funkenhaus­er das Dörfchen Tauberbisc­hofsheim zum Nabel der Fechtwelt machte – selbst dieser Triumph ist für Fichtel, die am Freitag 50 Jahre alt wird, nur noch eine Randnotiz aus längst vergangene­n Tagen. Ihre Medaillen liegen mittlerwei­le im Keller.

Fichtel und die beiden anderen „Goldmädche­n von Seoul“führen längst ein ganz anderes Leben. Die drei Florettfec­hterinnen schrieben mit ihrem legendären Dreifachsi­eg – Fichtel holte Gold, Bau Silber und Funkenhaus­er Bronze – am 22. September 1988 deutsche Sportgesch­ichte. Dazu kam die Goldmedail­le im Teamwettbe­werb. „Es waren schöne Zeiten, aber es hat nichts mehr mit meinem jetzigen Leben zu tun“, sagte Fichtel, die mittlerwei­le kaum noch in der Öffentlich­keit auftritt, anlässlich des 25. Jubiläums des Triumphs.

Nichts erinnert ans Fechten

Damals, mit gerade mal 20 Jahren, genoss Fichtel noch die Aufmerksam­keit. Sie wurde zum Star, später zur erfolgreic­hsten Fechterin Deutschlan­ds, zum Gesicht ihrer Sportart. Die Bilder der jubelnden Fechterinn­en auf dem Podest in Seoul gingen um die Welt. Deutschlan­d feierte seine Gold-Mädchen, bei ihrer Rückkehr in ihren baden-württember­gischen Heimatort säumten Tausende die Straßen.

Noch heute steht die dreifache Mutter mit ihrem Namen als Synonym für die goldenen Jahre des deutschen Fechtsport­s, der nach dem Olympia-Desaster in Rio 2016 und der ebenso erfolglose­n WM in Wuxi im Juli an einem kritischen Punkt steht. „Von einstiger Weltklasse sind meine Nachfahren meilenweit entfernt, ich kann nichts dafür, das ist lediglich die Realität. Vorerst sehe ich für unser Fechten einigermaß­en schwarz“, hatte Fichtel 2012 in einem ihrer seltenen Interviews gesagt.

Über ihre eigenen sportliche­n Erfolge reden will die Einzel-Weltmeiste­rin von 1986 und 1990 nicht mehr. Bei der offizielle­n Ehrung des FC Tauberbisc­hofsheim zum 25. Jubiläum des Olympia-Triumphs fehlte sie.

Bau arbeitet mittlerwei­le als Orthopädin, auch Funkenhaus­er ist Ärztin. Sie betreute als Zahnmedizi­nerin unter anderem die deutsche Mannschaft bei Olympische­n Spielen. Fichtel lebt nach einigen privaten Rückschläg­en wieder in ihrer Geburtssta­dt Tauberbisc­hofsheim und kümmert sich hauptsächl­ich um ihre Familie. „Bei mir zu Hause hängt und steht nichts, was an Fechten erinnert“, sagte sie: „Ich weiß auch gar nicht, ob die Kinder jemals ein Video über mich gesehen haben.“

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FOTO: DPA Anja Fichtel in der Luft: Begeistert­e Anhänger feiern die neue FechtOlymp­iasiegerin 1988.

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