Schwäbische Zeitung (Biberach)
Der Persilschein ist fehl am Platz
Keine Frage, in Zeiten, in denen die Welt unruhiger und traditionelle Bündnisse brüchiger werden, helfen persönliche Kontakte zwischen Menschen verschiedener Nationen, Spannungen abzubauen und Vorurteile zu überwinden. Auf der anderen Seite ist auch klar: Jede Reise in ein Land stabilisiert das dort herrschende System – im Fall einer Reise an den Golf von Antalya oder die türkische Riviera die Präsidentschaft von Recep Tayyip Erdogan. Eine autokratische Herrschaft, in der der Machthaber die missliebige Opposition unterdrückt, die unabhängige Justiz abschafft und die freie Meinungsäußerung unterdrückt.
Vor diesem Hintergrund ist der Persilschein, den Thomas Bareiß, der Tourismusbeauftragte der Bundesregierung, Türkeiurlaubern ausgestellt hat, fehl am Platz. Für den Sigmaringer gibt es keinen Grund, nicht in die Türkei zu reisen und dort Urlaub zu machen. Der CDU-Politiker scheint vergessen zu haben, dass die Türkei seit dem Putschversuch 2016 Tausende von Menschen, darunter mehrere deutsche Staatsbürger, aus fragwürdigen Gründen verhaftete. Auch das Auswärtige Amt sieht die Situation in der Türkei nicht so entspannt wie Bareiß: Die Behörde rät Urlaubern, sich auf alle Fälle von größeren Menschenansammlungen fernzuhalten.
Richtig ist, dass es einige Gründe gibt, warum Urlauber überlegen könnten, in diesen Tagen vielleicht nicht in die Türkei zu fahren. Zumal der Tourismus für Erdogan ein wichtiger Wirtschaftsfaktor und in Zeiten einer abstürzenden Lira ein wichtiger Devisenbringer ist. Nach Jahren, in denen die Zahl der Besucher eher stagnierte oder sogar zurückging, will der türkische Tourismus in diesem Jahr 32 Milliarden Euro einnehmen – das wären 21 Prozent mehr als im Jahr 2017.
Natürlich lösen Touristen nicht die Probleme der Welt, indem sie bestimmte Regionen nicht besuchen. Dennoch sollte jeder verantwortungsbewusste Reisende genau schauen, in welche Länder und Nationen er aufbricht, und sich bewusst sein, dass er mit seinen Devisen nicht nur den Erdogan-kritischen Wirt in Antalya unterstützt, sondern auch das System Erdogan stabilisiert.