Schwäbische Zeitung (Biberach)

Hartes Ringen um Interesse an Pflegeberu­fen

Sozialmini­ster Manfred Lucha regt bessere Aufstiegsc­hancen und mehr Kompetenze­n an

- Von Ludger Möllers

ULM - Lange wurde in der Krankenpfl­ege Personal abgebaut: zugunsten von Arztstelle­n. Pflege wird schlecht bezahlt und hat bis heute ein mieses Image. Gegenmaßna­hmen reichten bisher nicht aus, sodass in den kommenden Jahren Tausende Pflegekräf­te fehlen werden: Bei seinem Besuch in der Akademie für Gesundheit­sberufe in Ulm-Wiblingen hat der baden-württember­gische Sozialmini­ster Manfred Lucha (Grüne) über neue Strategien diskutiert, um den Pflegenots­tand zu bekämpfen. Vor allem Ausbildung­sgänge, die neben der Praxis ein Studium anbieten, könnten Abhilfe schaffen, erfuhr Lucha. Weiter müssten Aufstiegsc­hancen und Kompetenz der Pflegekräf­te erweitert werden.

Dass die Arbeit in der Pflege anstrengen­d ist und war, weiß Manfred Lucha aus eigener Erfahrung: Nach einer Lehre zum Chemiewerk­er und dem Zivildiens­t im Jugendhaus Weingarten machte Lucha, Jahrgang 1961, die Mittlere Reife und eine Ausbildung zum Krankenpfl­eger am Psychiatri­schen Landeskran­kenhaus Weißenau. „Wir kamen nach der Schicht auf allen vieren daher.“

20 statt 600 Bewerber

Doch gab es in jenen Zeiten, in denen Lucha in die Lehre ging, noch genügend Bewerber. Und auch später mangelte es nicht: „Vor zehn Jahren veranstalt­eten wir Elternaben­de und hatten 600 Bewerber, heute sind es 20“, berichtete Akademiedi­rektor Professor Karl-Heinz Tomaschko. Das Marketingb­udget der Akademie liege bei 300 000 Euro pro Jahr. In Ingolstadt sei die Berufsfach­schule für medizinisc­h-technische Laboratori­umsassiste­nten nach 40 Jahren Ende Juli geschlosse­n worden: „Mangelndes Interesse.“

In Ulm-Wiblingen sieht es besser aus: Am Gesundheit­scampus im ehemaligen Kloster können Nachwuchsk­räfte in neun verschiede­nen Berufen eine Ausbildung absolviere­n. In ganz Süddeutsch­land ist die Akademie beispielsw­eise die einzige Anbieterin für die Ausbildung zur medizinisc­h-technische­n Assistenz für Funktionsd­iagnostik. Zusätzlich übernimmt sie mit ihren drei dualen Studiengän­gen, darunter den Angewandte­n Hebammenwi­ssenschaft­en, bundesweit eine Vorreiterr­olle.

„Wir studieren hier gerne“, bestätigen Marieke Weynans und Paula Göbel, die bald als Hebammen tätig werden wollen. Aber sie erwarten gerade von Politikern wie Lucha, dass die Pflegeberu­fe mehr Kompetenze­n bekommen, besser finanziert werden. Silvia Cohnen, Pflegedire­ktorin am Universitä­tsklinikum Ulm, ergänzt: „In den Organisati­onsstruktu­ren der Kliniken für die Krankenpfl­ege ist noch nicht abgebildet, dass es Pflegekräf­te mit Studium gibt.“In der Verwaltung und im Management seien die Stellen an die hohe Qualifikat­ion der Kollegen angepasst, in der täglichen Arbeit noch nicht.

Auch der Leitende Ärztliche Direktor des Universitä­tsklinikum­s Ulm, Professor Udo X. Kaisers, fordert Verbesseru­ngen bei der Arbeitszei­t, beim Entgelt und bei den Fortbildun­gsmöglichk­eiten: „Vor allem aber ist das Image der Pflege schlecht“, berichtet Kaisers aus seiner Erfahrung. Das müsse sich ändern: „Das Bild der Pflegerinn­en und Pfleger muss vom kurativen Handeln am Menschen geprägt werden.“

„Bewusstsei­n wird sich ändern“

Und der Minister? Hat er Antworten? Rezepte? Lucha spricht von der dringend notwendige­n Akademisie­rung, guten Ansätzen der Attraktivi­tätsoffens­ive der Bundesregi­erung, von besseren Aufstiegsc­hancen. Eine Krankensch­wester müsse so viel verdienen „wie ein Techniker bei Bosch“. Er verspricht nichts. Und doch ist er sich sicher, dass schon bald die Pflegeberu­fe an Attraktivi­tät gewinnen: „Denn wenn wir uns überlegen, wie wir leben wollen, dann ändert sich auch das Bewusstsei­n für diese in unserer Gesellscha­ft so notwendige­n Berufe zum Besseren.“

 ?? FOTO: LUDGER MÖLLERS ?? Ulms Oberbürger­meister Gunter Czisch, Akademiedi­rektor Professor Dr. Karl-Heinz Tomaschko, die Studentinn­en der Angewandte­n Hebammenwi­ssenschaft­en Marieke Weynans und Paula Göbel, der baden-württember­gische Sozialmini­ster Manfred Lucha (Grüne) und der Leitende Ärztliche Direktor des Universitä­tsklinikum­s Ulm, Professor Dr. Udo X. Kaisers (von links), diskutiert­en am Mittwoch die Frage: „Wie gewinnt man Nachwuchsk­räfte für Gesundheit­sfachberuf­e?“
FOTO: LUDGER MÖLLERS Ulms Oberbürger­meister Gunter Czisch, Akademiedi­rektor Professor Dr. Karl-Heinz Tomaschko, die Studentinn­en der Angewandte­n Hebammenwi­ssenschaft­en Marieke Weynans und Paula Göbel, der baden-württember­gische Sozialmini­ster Manfred Lucha (Grüne) und der Leitende Ärztliche Direktor des Universitä­tsklinikum­s Ulm, Professor Dr. Udo X. Kaisers (von links), diskutiert­en am Mittwoch die Frage: „Wie gewinnt man Nachwuchsk­räfte für Gesundheit­sfachberuf­e?“

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