Schwäbische Zeitung (Biberach)
Hoffnung schlägt Tradition
Digitaler Zahlungsanbieter Wirecard ist an der Börse mehr wert als die Deutsche Bank
FRANKFURT - So unscheinbar die Dienste, so wertvoll das Unternehmen: Wirecard ist an der Börse erstmals mehr wert als die Deutsche Bank. Der Zahlungsdienstleister regelt Überweisungen, Online-Zahlungen und kontaktloses Bezahlen mit dem Smartphone. Ein deutscher Fintech, der auf bestem Weg ist, die Commerzbank aus dem Dax zu verdrängen.
Wer aus der Ecke Glücksspiel und Pornografie stammt wie die Gründer von Wirecard, muss einiges tun, um das Vertrauen von Anlegern an der Börse zu gewinnen. Damit hat Wirecard Erfahrung – und die ist positiv. Denn am Dienstag ist der Zahlungsdienstabwickler erstmals an der Deutschen Bank vorbeigezogen: Börsenwert: 21,3 Milliarden Euro – rund 300 Millionen mehr als die Deutsche Bank zu gleicher Stunde.
Idee aus der Porno-Szene
Die Idee für das Unternehmen wurde geboren in einer Zeit, in der quasi alles, was auch nur entfernt mit Internet zu tun hatte, reißenden Absatz an den Börsen fand. Der Hype um diese Tec-Blase zerplatzte im Jahr 2000 und machte viele Anleger ärmer. Wirecard gehört zu den Überbleibseln dieser Zeit. 1999 gegründet, ging das Unternehmen 2000 an die Börse. Die Idee: Zahlungen über das Internet abzuwickeln. Die Idee kam gut an bei Onlinkollegen, die virtuelle Casinos für Glücksspiele aufbauten oder Pornografie anboten. Nach rasantem Wachstum vor allem in den vergangenen Jahren hat sich das Unternehmen zu einem etablierten Zahlungsabwickler gemausert: Von Überweisungen, dem Bereitstellen ganzer Konten und deren Onlineservices, bis hin zu mobilem Bezahlen über Apps in Smartphones: Wirecard bietet moderne Technologie – und das haben auch Anleger gemerkt. Zwar regeln die Menschen weltweit nach wie vor rund 80 Prozent ihrer Einkäufe und Geschäfte mit Bargeld. Das dürfte sich aber ändern. In Asien ist es bereits jetzt für viele Menschen gängig, mit dem Smartphone zu bezahlen. In Deutschland wird das auch kommen. Diese Erwartung treibt den Kurs.
Seit Jahresbeginn ist der Kurs der Aktien von Wirecard um über 80 Prozent geklettert. In dieser Zeit hat der Dax ein paar Prozentpunkte verloren und die Deutsche Bank ein Drittel ihres Börsenwertes eingebüßt. Und das ist nur die jüngste Börsenrallye von Wirecard. In den vergangenen fünf Jahren hat sich der Aktienwert fast verachtfacht. Das liegt auch daran, dass der seit 2002 amtierende Unternehmenschef Markus Braun in manchen Dingen den richtigen Riecher bewies. 2007 gründete er eine Asien-Tochter, die heute die Hälfte des Konzerngeschäftes beisteuert. 2015 startete Wirecard die Smartphone Bezahllösung „Boon“. Und der Konzern kooperiert seit 2015 mit dem chinesischen Bezahlgiganten Alipay, seit 2017 auch mit dessen größten Konkurrenten WeChat.
Währenddessen beschäftigten sich die beiden klassischen großen deutschen Banken überwiegend mit ihrer Vergangenheit und der Bewältigung hausgemachter Probleme. Der jüngste Kursverfall bei den klassischen Bankaktien allerdings geht nicht aufs eigene Konto. Es ist der Kursverfall der Lira in der Türkei.
Durch den Verfall der Währung am Bosporus sorgten sich Anleger an den Börsen in den vergangenen Tagen, dass europäische Banken in den Sog des Strudels rund um den Verfall der Lira kommen könnten. Wirecard ist währenddessen in Sachen Börsenwert an der Deutschen Bank vorbeigeschlichen. Und der nächste Coup könnte schon bald folgen: Wenn nämlich die Deutsche Börse im September daran gehen wird, die Zusammensetzung ihrer Indices zu prüfen, dürfte Wirecard aus seiner Nische heraus ins Rampenlicht rücken: Ein Aufstieg in den Dax ist möglich. Dass Wirecard bislang vergleichsweise unbekannt ist, liegt daran, dass das Unternehmen seine Onlinebezahlungen im Hintergrund anbietet. Zu den Kunden zählen Unternehmen wie TUI oder O2. Anders, als der Name suggeriert, gibt es auch keine Wirecard, wie etwa die Visacard.
David gegen Goliath
Noch ist das Rennen zwischen den Platzhirschen der Bankenbranche und Wirecard nicht entschieden. Augenscheinlich handelt es sich um einen Kampf zwischen David und Goliath: Der Umsatz von Wirecard lag im vergangenen Jahr bei 1,5 Milliarden Euro, bei der Deutschen Bank bei 26 Milliarden Euro. Die Bilanzsumme des Aschheimer Konzerns ist ein Klacks gegenüber einer Deutschen Bank: Rund fünf gegen 1500 Milliarden. Und die Mitarbeiterzahl schafft auch den Eindruck glasklarer Verhältnisse: Knapp 000 gegenüber künftig rund 90 000 bei der Deutschen Bank.
An der Börse geht es aber neben diesen Zahlen auch um Erwartungen und Aussichten. Da liegt Wirecard in der Gunst von Anlegern offenbar vorn. Das wird möglicherweise bald für jeden sichtbar, sollte das Unternehmen wirklich in den Dax aufsteigen. Einer müsste dann den Platz dort räumen, ein Sinnbild: Es könnte die Commerzbank sein.