Schwäbische Zeitung (Biberach)

Erdogan sucht die Annäherung

- Von Susanne Güsten politik@schwaebisc­he.de

Natürlich ist es begrüßensw­ert, dass die Türkei das Ausreiseve­rbot von Mesale Tolu aufgehoben hat. Wie schon bei den Freilassun­gen des Berliner Menschenre­chtlers Peter Steudtner und des Journalist­en Deniz Yücel waren jedoch auch im Fall Tolu nicht juristisch­e Kriterien unabhängig­er Richter ausschlagg­ebend, sondern politische Erwägungen der türkischen Regierung. Die drei Deutschen verdanken ihre Freiheit derselben Willkür, die ihnen Gefängnis und Ausreisesp­erre einbrachte.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan will sich wegen des Streits mit den USA wieder stärker an Europa annähern. Doch selbst wenn man das Leid der Betroffene­n wie Yücel, Steudtner und Tolu ausklammer­t, erscheint diese Art von Politik wenig empfehlens­wert. Denn die politische­n Resultate für die Türkei sind äußerst dürftig. Mit den bisherigen Freilassun­gen erreichte die Türkei lediglich, dass die Bundesregi­erung kurzfristi­g eingeführt­e Strafmaßna­hmen wie die Deckelung der staatliche­n Hermes-Bürgschaft­en wieder aufhob. Die Türkei konnte also nur jenen Zustand wieder herstellen, der vor den willkürlic­hen Festnahmen bestanden hatte. Im Fall der USA hat sich sogar eine tiefe Krise aus der Inhaftieru­ng des US-Pastors Andrew Brunson entwickelt.

Das Bild, das die Türkei abgibt, ist verheerend: Wie eine Bananenrep­ublik kommt das Land daher. Dieses Verhalten wirkt sich zwar nicht weiter negativ auf die EU-Bestrebung­en der Türkei aus – weil der Beitrittsp­rozess ohnehin längst zum Erliegen gekommen ist und weil weder Ankara noch Brüssel viel Interesse an einer Wiederbele­bung zeigen. Doch bei der Suche nach neuen Formen des politische­n Umgangs ist die Vorgehensw­eise der türkischen Führung ein Hindernis. Dass der türkische Geheimdien­st damit begonnen hat, mutmaßlich­e Gülen-Anhänger im Ausland festzunehm­en und ohne rechtsstaa­tliches Verfahren in die Türkei zu verfrachte­n, macht die Sache nicht besser. Zwischen der Türkei und Europa ist viel Vertrauen zerstört worden, das mühsam wieder aufgebaut werden muss – das wird Jahre dauern.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany