Schwäbische Zeitung (Biberach)
Athen ist zurück am Markt
Griechenland verlässt Euro-Rettungsschirm
ATHEN (AFP) - Nach mehr als acht Jahren hat Griechenland den EuroRettungsschirm verlassen und muss sich nun wieder aus eigener Kraft finanzieren. Das dritte und bislang letzte Kreditprogramm lief am Montag aus. Offiziell steigt Griechenland damit aus dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) aus und kehrt an die Finanzmärkte zurück. „Erstmals seit Anfang 2010 steht Griechenland auf eigenen Beinen“, schrieb der Chef der Eurogruppe und Mitglied im ESM-Gouverneursrat, Mário Centeno. Allerdings bleibt das Land noch Jahre unter Beobachtung.
Nach Einschätzung der Industrie wird Griechenland an Attraktivität für Unternehmen gewinnen. „Das gute Ende der europäischen Hilfsprogramme ist ein positives Signal für Griechenland selbst und die EU insgesamt“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie, Joachim Lang, der „Rheinischen Post“.
ATHEN/BRÜSSEL (dpa) - Nach acht Krisenjahren verlässt Griechenland den Euro-Rettungsschirm – in Brüssel überwogen am Montag Freude und Stolz. „Ihr habt es geschafft“, twitterte EU-Ratspräsident Donald Tusk und gratulierte dem griechischen Volk. Vielen Griechen war indes nicht zum Feiern zumute, auch Ministerpräsident Alexis Tsipras hielt sich zunächst zurück. Rechte wie linke Kritiker sind ohnehin überzeugt: Gerettet ist das hoch verschuldete Euroland noch lange nicht.
Acht Jahre, drei Kreditprogramme mit insgesamt 289 Milliarden Euro (siehe Text im Kasten) und immer wieder neue Spar- und Reformprogramme auf Druck der EU-Partner und des Internationalen Währungsfonds: Der Abschluss der scheinbar endlosen Rettungsbemühungen markiert einen tiefen Einschnitt. EUKommissionspräsident Jean-Claude Juncker bemühte das Bild des „neuen Kapitels“, Finanzkommissar Pierre Moscovici sprach von einem „symbolischen Schlussstrich unter eine existenzielle Krise des Euro-Währungsgebiets“. Beide lobten die Anstrengungen der Griechen und versprachen Beistand und Freundschaft.
Weiter Kapitalverkehrskontrollen
Der Athener Buchhalter Nikos Wroussis sah die Sache nüchterner. „Für mich und meinen Kunden ändert sich nichts“, sagte der Prokurist, der kleinere Unternehmen in Arbeitervierteln im Westen Athens betreut. Er verweist zum Beispiel auf anhaltende Kapitalverkehrskontrollen. Die Griechen dürfen bei einer Ausreise höchstens 3000 Euro mitnehmen und auch nur begrenzt Gelder elektronisch ins Ausland überweisen. Auch die „Hyperbesteuerung“stört Wroussis: Für jede 100 Euro die ein Händler, ein Rechtsanwalt, ein Arzt kassiere, müssten 72 Euro als Steuern, Rentenbeiträge und an die Krankenkasse gezahlt werden.
Änderungen sind nicht absehbar – dafür bleibt der griechischen Regierung auch nach Ende des Hilfsprogramms kaum Spielraum. Für die billigen Kredite aus dem Euro-Rettungsschirm ESM und künftige Schuldenerleichterungen musste sie harte Auflagen akzeptieren. Der Staat muss so viel Geld sparen, dass er bis 2022 jährlich Primärüberschüsse von 3,5 Prozent erreicht – gemeint sind Haushaltsüberschüsse ohne Berücksichtigung von Zins und Tilgung für Kredite. Bis 2060 soll Jahr für Jahr 2,2 Prozent Primärüberschuss bleiben. Wroussis nennt dies eine „ökonomische Zwangsjacke“.
Die Gläubiger wollen mit strikten Kontrollen verhindern, dass Griechenland die während der Rettungsaktion erzwungene Reformpolitik aufgibt. Schon in der Woche ab dem 10. September sollen wieder Experten der Kreditgeber nach Athen reisen und dann regelmäßig im Rhythmus von drei Monaten. Zugesagt, aber noch nicht umgesetzt, sind zum Beispiel weitere Rentenkürzungen. EUKommissar Moscovici wurde am Montag gefragt, ob die denn zu umgehen wären. Das könne er nicht kommentieren, sagte der Franzose, machte dann aber doch eine klare Ansage: „Gemachte Zusagen müssen respektiert werden.“Immerhin würden nun keine neuen Vorgaben mehr gemacht. „Griechenland ist jetzt ein normales Land“, sagte Moscovici.
Alles andere als normal ist jedoch der gigantische Schuldenberg des Landes von rund 180 Prozent der Wirtschaftsleistung. Mit Spannung wird erwartet, ob und wie sich Griechenland nun wieder an den Finanzmärkten Geld leihen kann. Zeitdruck besteht nicht: Das Land verlässt den Rettungsschirm mit Rücklagen von rund 24 Milliarden Euro und könnte sich notfalls knapp zwei Jahre lang
selbst finanzieren. EurogruppenChef Mario Centeno gab sich zuversichtlich, dass Griechenland tatsächlich finanziell auf eigenen Beinen stehen kann. Der frühere griechische Finanzminister Gianis Varoufakis sagte, der Staat sei noch immer pleite, die privaten Leute seien ärmer geworden, Firmen gingen noch immer bankrott und das Bruttosozialprodukt sei um 25 Prozent gesunken. Die Arbeitslosigkeit liegt noch bei 19,7 Prozent. Viele Bürger haben seit 2010 rund ein Viertel ihres Einkommens verloren. Gut 400 000 Menschen sind ausgewandert, darunter Tausende Ärzte und Ingenieure.