Schwäbische Zeitung (Biberach)
Schuld und Sühne
Die USA wollen die Russland-Sanktionen am Mittwoch um neue Strafen erweitern
RAVENSBURG - Der diplomatische Streit zwischen den Vereinigten Staaten und Russland spitzt sich weiter zu. Wegen des Giftgasanschlags gegen den russischen Doppelagenten Sergej Skripal und seine Tochter Julia Skripal hatte das amerikanische Außenministerium vor knapp zwei Wochen neue Sanktionen gegen Moskau angekündigt – am Mittwoch treten sie wahrscheinlich in Kraft. Noch ist unklar, wie die Strafmaßnahmen genau aussehen, über die das Ministerium als erstes den USKongress informieren wird.
Moskau reagiert mit Unverständnis und weist den Vorwurf, dass russische Kräfte für den Anschlag verantwortlich sind, zurück. Skripal war im März im südenglischen Salisbury mit dem in Russland produzierten Wirkstoff der Nowitschok-Gruppe vergiftet worden. Großbritannien, die USA und die Europäische Union wiesen daraufhin mehr als 100 russische Diplomaten aus. Die Strafmaßnahmen der USA basieren auf dem US-Gesetz zur Kontrolle chemischer und biologischer Waffen von 1991. Die Forderung Washingtons: Russland müsse innerhalb der nächsten drei Monate auf den Einsatz chemischer Waffen verzichten und unabhängige Beobachter zur Untersuchung des Skripal-Vorfalls zulassen. Falls Moskau dies verweigert, haben die USA weitere Sanktionen in Aussicht gestellt. Die Strafen könnten auf einen kompletten Abbruch der diplomatischen Beziehungen und ein Importverbot von Waren in die USA hinauslaufen.
Moskau reagiert mit Embargo
Die neuen Sanktionen verschärfen die Beziehungen zwischen Moskau und dem Westen weiter – schließlich sind bereits seit 2014 Strafmaßnahmen gegen Russland in Kraft, nachdem das Land die ukrainische Halbinsel Krim völkerrechtswidrig annektierte. Damals antwortete Russland mit einem Lebensmittelembargo und verbot Unternehmen, Fleisch- und Milchprodukte, Obst und Gemüse aus der EU, den USA, Kanada, und Australien nach Russland zu importieren.
Die EU-Exporte nach Russland brachen nach Zahlen des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung daraufhin seit 2014 um jährlich 15,7 Prozent ein: Im Jahr 2013 lieferte die EU noch Waren im Wert von 120 Milliarden Euro nach Russland, drei Jahre später waren es nur noch 72 Milliarden Euro. Bis zu 40 Prozent dieses Rückgangs sind auf die Sanktionen zurückzuführen, der Rest auf die mit den Strafmaßnahmen einhergehende Rezession. Allein die Exporte der deutschen Wirtschaft nach Russland verringerten sich um mehr als 40 Prozent. Die Anzahl der Vertreter deutscher Unternehmen in Russland sank nach Angaben des Osteuropavereins der Deutschen Wirtschaft von 6000 auf 5300, darüberhinaus gingen rund 60 000 Arbeitsplätze verloren.
Der Rückgang im Bereich Hochtechnologie traf die russische Wirtschaft besonders hart: Vor allem die Technik für die Öl- und Gasförderung bezogen russische Unternehmen von Lieferanten aus der EU. Der Anteil von Maschinen in diesem Bereich, den Moskau aus dem Ausland bezieht, liegt bei rund 60 Prozent, wie Russlands Energieminister Alexander Nowak im März 2015 der russischen Tageszeitung Wedomosti sagte. Nach Informationen der Welthandels- und Entwicklungskonferenz liegt der Wert der aus der EU nach Russland importierten Maschinen und Transportmittel 39 Prozent unter dem Wert aus dem Jahr 2013, der Wert der sogenannten Fertigwaren sank um 35 Prozent und der der Elektroprodukte um 37 Prozent.
Russland wandte sich daraufhin vom Westen ab – und suchte im fernen Osten, insbesondere in China, nach neuen Handelspartnern. Nach Angaben der russischen Nachrichtenagentur Tass stieg der Handelsumsatz zwischen Russland und China im vergangenen Jahr um 20,8 Prozent auf 84,07 Milliarden Dollar. Zudem versuchte Moskau seit Inkrafttreten der Sanktionen einen Teil der Importe durch in Russland gefertigte Produkte zu ersetzen. Vor allem in den Brennstoff- und Energiesektoren habe man dabei positive Ergebnisse erzielt, wie Anatolij Zamrij, geschäftsführender Direktor des analytischen Zentrums der Union der Öl- und Gasindustriellen Russlands, der Zeitung „Wedomosti“sagte. Dass die einheimische Industrie das nicht alles auffangen kann, sei jedoch auch klar, wie der Rohstoffexperte Walerij Nesterow der russischen Sberbank CIB im Interview mit „Wedomosti“zugab. „Ein Teil der importierten westlichen Produkte, die unter Sanktionen fielen, begannen wir, durch Produkte aus dem Osten zu ersetzen“, sagte Nesterow.
Auch wenn Nesterow vom fernen Osten als Ganzes spricht: Klar ist, dass der Haupthandelspartner Russlands in Asien China ist. Eine Position, die die Volksrepublik im Handel mit Moskau auszunutzen weiß – und für Peking günstige Preise und Konditionen verlangt.