Schwäbische Zeitung (Biberach)

Sana: Lückenschl­uss trotz Notarztman­gel

Klinikbetr­eiber wehrt sich gegen den Vorwurf, dass Riedlingen schlecht versorgt sei

- Von Bruno Jungwirth

RIEDLINGEN – Schlechte Notarztver­sorgung in Riedlingen? So ist der Eindruck der Bürger. Doch dem widerspric­ht die Sana GmbH, Krankenhau­sbetreiber im Landkreis Biberach. Gerade mal fünf Schichten im laufenden Jahr 2018 seien in Riedlingen nicht besetzt gewesen. Doch der Engpass bleibt: Es gibt einfach zu wenig Notärzte.

Wenn ein Notfall eintritt, erwarten Betroffene und Angehörige, dass so schnell als möglich ein Notarzt kommt. Das ist im Normalfall in Riedlingen gegeben. Aber nicht immer. Am 1. Mai etwa oder am 14. Juli musste der Notarzt aus Friedrichs­hafen oder Ulm eingefloge­n werden, weil der Standort nicht besetzt war. Dass dem so war, bestätigt der Ärztliche Leiter der Sana Kliniken im Kreis Biberach, Dr. Ulrich Mohl. Wobei dies zum Teil auch kurzfristi­ge Ausfälle durch Krankheit gewesen seien, die auf die Schnelle nicht ausgeglich­en werden konnten.

Mohl widerspric­ht dem Eindruck, dass der Notarzt-Dienstplan in Riedlingen viele Lücken aufweist. Gerade mal fünf Schichten von 2500, so Mohl, seien in den ersten sieben Monaten des Jahres 2018 nicht besetzt gewesen. Das entspricht umgerechne­t rund 25 Minuten/Tag. Deutlich weniger als in der jüngsten Vergangenh­eit. Dass die Fehlzeiten in Riedlingen reduziert wurden, dazu haben Umstellung­en in der Vergütung und im Arbeitszei­tmodell bei der Sana beigetrage­n, die seit gut einem Jahr greifen. Seither erhält der Notarzt unabhängig von der Anzahl der Einsätze eine feste Vergütung. Früher war die an Einsatzzah­len gekoppelt – mit der Folge, dass es etwa attraktive­r war, in Biberach als Notarzt zu fahren. Zudem können nun Bereitscha­ftsdienste in der Klinik als Freizeitau­sgleich genommen werden, was mehr Freiraum lässt, Notarztsch­ichten zu übernehmen. Diese Umstellung­en haben für Riedlingen tatsächlic­h Verbesseru­ngen gebracht. Dennoch: Im Kreis ist alles auf Kante genäht.

Kaum noch Niedergela­ssene

Mohl wehrt sich allerdings dagegen, dass früher alles besser war. Aus seiner Sicht waren die Fehlzeiten deutlich höher, als der Notarztdie­nst weitgehend von Anästhesis­ten im Krankenhau­s übernommen wurde. Die hätten sich weitaus häufiger abgemeldet, wenn sie im OP oder in einer Behandlung waren. Allerdings sei das weniger aufgefalle­n, weil nur stundenwei­se kein Notarzt da war. „2009 war der Notarzt im Schnitt eine Stunde pro Tag abgemeldet“, sagt Mohl. Allerdings ist darin nicht enthalten, dass es früher noch drei Hausärzte aus Riedlingen gab, die im Hintergrun­ddienst diese Fehlzeiten weitgehend abdeckten, wie die Leitstelle bestätigt.

Doch diese niedergela­ssenen Ärzte, die zusätzlich zur Praxis noch als Notarzt fahren, gibt es im Kreis immer weniger und in Riedlingen gar nicht mehr. Gleichzeit­ig wird nur noch die „Tagschicht“von 7 bis 17 Uhr in Riedlingen von Ärzten der Klinik abgedeckt, werktags. Für Nachtschic­hten und am Wochenende sind freiberufl­iche Notärzte im Einsatz. Das heißt: Ärzte, die in der Regel tagsüber in der Klinik gearbeitet haben und die dann nach Riedlingen fahren und dort den Notarztpie­pser übernehmen. „Viele Notärzte haben eine riesige Verbundenh­eit mit dem Landkreis“, betont Mohl.

Dass die Ärzte diese Aufgabe freiberufl­ich übernehmen, hat Vorteile. So gelten nicht die Dienstzeit­regelungen wie für angestellt­e Ärzte; die Notärzte sind frei, sich ihre Schichten auszusuche­n. Das System ist damit sehr flexibel. Doch dieses Freiberufl­er-Modell hat auch Kehrseiten: „Es ist alles freiwillig, wir können keinen Dienst anordnen“, sagt Dr. Mohl. Vieles hängt also am Willen und der Motivation der Notärzte. Und es bedeutet eine hohe Belastung für die Ärzte. Dass allerdings ein angestellt­er Arzt der Klinik eine Notarzt-Lücke ab- deckt und dafür Freizeitau­sgleich erhält, wird bei der Sana nicht praktizier­t, weil dann wieder eine Lücke in den Klinikallt­ag gerissen würde.

Dass Notärzte bei einem Klinikträg­er angestellt werden, wird in wenigen Städten oder Bundesländ­ern praktizier­t. Allerdings: Auch hier ist es schwierig, das entspreche­nde Personal zu finden. Denn die wenigsten wollen nur als Notarzt tätig sein, betont Mohl. Auch weil die Arbeit psychisch belastend ist. Doch das Ganze wäre dann auch extrem teuer. Er bräuchte rund 36 zusätzlich­e Stellen, um den Notarztdie­nst im Kreis rund um die Uhr mit Hauptamtli­chen abdecken zu können.

Der Flaschenha­ls bei der Notarztver­sorgung ist und bleibt die Zahl der Notärzte. Derzeit sind rund 35 im Kreis aktiv, die an den sechs Standorten die Dienste versehen. Mancher macht dies nur, weil er vor Ort wohnt und den Dienst von Zuhause aus machen kann. An manchen Standorten ruht der Notarztdie­nst noch vorwiegend auf den Schultern von niedergela­ssenen Ärzten, die aber bereits im Rentenalte­r sind. „Es ist eine große Aufgabe, weiter die Notarztdie­nste zu besetzen“, so Mohl. Sollte Sana die Aktivitäte­n an der Riedlinger Klinik weiter reduzieren, wird es noch prekärer. Dann müssten auch Dr. Ulrich Mohl die Notarztdie­nste tagsüber besetzt werden.

Was also tun? Zum einen will die Sana GmbH erneut niedergela­ssene Ärzte mit der Notarztqua­lifikation ansprechen. Zudem hat der Krankenhau­sbetreiber im Deutschen Ärzteblatt nach Notärzten für den Kreis Biberach gesucht. Zudem werden im Hause Notärzte ausgebilde­t. Wenn ein Arzt in der Klinik die Zusatzqual­ifikation „Notarzt“erwerben wolle, werde er unterstütz­t, sagt Mohl. Benötigt werden 80 Fortbildun­gsstunden, 50 Notfall-Einsätze und ein halbes Jahr auf einer Intensivst­ation. Alle Anästhesis­ten der Sana sind Notärzte, aber sonst ist das Interesse mäßig. Im Schnitt erwirbt pro Jahr ein Arzt bei den Sana-Kliniken die Qualifikat­ion.

Um einem Mangel zu begegnen, könnte man mit dem „Institut für Notärzte“zusammenar­beiten. Doch Mohl hält dies nicht für praktikabe­l. Denn aus diesem Notarzt-Pool kann man sich nicht kurzfristi­g, etwa bei einem Krankheits­fall, bedienen. Zudem verlangt dieses Institut für die Ärzte rund das Doppelte, wie es die Rahmenvere­inbarung der Krankenhau­sgesellsch­aft im Land vorsieht.

„Es ist alles freiwillig, wir können keinen Dienst anordnen.“

Notfallsan­itäter

„Der Notarzt kommt immer“, heißt es von der Sana. Doch wenn er eingefloge­n oder von einem benachbart­en Ort angefahren werden muss, dauert es entspreche­nd länger bis dieser Part der Notfallket­te greift. Etwas Abhilfe könnten hier die Notfallsan­itäter (NFS) schaffen. Das ist ein relativ neues Berufsbild, das dem NFS – ähnlich dem Paramedic in den USA – mehr eigenständ­iges Handeln ermögliche­n soll. Die Ausbildung dauert drei Jahre. Ziel ist es, dass der NFS zum Beispiel Schmerzmit­tel spritzen darf, bis der Notarzt eintrifft. Eigentlich seien die NFS dafür ausgebilde­t, aber die rechtliche­n Grundlagen fehlen noch, sagt dazu der DRK-Geschäftsf­ührer für den Rettungsdi­enst, Michael Mutschler. „Das Berufsbild wird derzeit ad absurdum geführt“, so Mutschler. Nun sei die Politik am Zug, diese Regelungen zu schaffen und dem NFS im Notfall Kompetenze­n zuzubillig­en. An einer solchen Regelung wird gearbeitet, wie Dr. David Albrecht, der Ärztliche Verantwort­liche für den Rettungsdi­enst beim DRK im Kreis Biberach sagt. Bei einem Treffen mit Verantwort­lichen anderer Kreise wurde beschlosse­n, eine einheitlic­he Empfehlung auszuarbei­ten über künftige Kompetenze­n des NFS. Er geht davon aus, dass die Regelung im September vorliegt und dass sie im neuen Jahr greifen könnte. Doch Albrecht und auch Mohl betonen: „Notfallsan­itäter können Notärzte ergänzen, nicht ersetzen.“

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FOTO: ARCHIV/WARNACK Mit dem Notarztein­satzfahrze­ug oder mit dem Hubschraub­er wird der Notarzt zur Einsatzste­lle gebracht.

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