Schwäbische Zeitung (Biberach)

Wo ausgesetzt­e Tiere Zuflucht finden

In den Tierheimen sind viele traurige Schicksale versammelt - Leiter klagt über immer schlimmere Situatione­n

- Von Ariane Attrodt

ULM/WEISSENHOR­N - Dass Janosch noch lebt, verdankt er allein dem Glück. Sein Besitzer hatte anscheinen­d genug von ihm – und setzte den jungen Kangal-Hirtenhund an einer viel befahrenen Straße bei Einsingen aus. Ständig brausten Autos links und rechts an dem völlig abgemagert­en Tier vorbei – bis schließlic­h ein Fahrer anhielt, den Hund beruhigte und das Tierheim anrief. Nicht einmal zwei Wochen ist das her.

Mittlerwei­le sitzt Janosch, der große Hirtenhund mit dem freundlich­en Gemüt, in der Quarantäne­station im Ulmer Tierheim. „Es war einfach nur ein glückliche­r Zufall“, erzählt Ralf Peßmann, Leiter des Tierheims Ulm/Neu-Ulm und Umgebung. Schließlic­h seien sicherlich eine Menge Autos an Janosch vorbeigefa­hren. Doch angesichts des großen, wilden Hundes traute sich niemand, einfach anzuhalten. Der Mann, der es schließlic­h tat, war dagegen selbst Hundebesit­zer und wusste, wie er vorzugehen hatte.

Kaninchen taucht im Garten auf

Die Geschichte von Janosch ist nur eine von vielen, von denen Peßmann erzählen könnte: Manchmal erwartet die Mitarbeite­r am Morgen ein am Tierheim-Zaun angeleinte­r Hund. Dann taucht in einem Garten ein Kaninchen auf, das „von seiner Art her“da nicht hingehöre.

Janoschs Schicksal hat die Mitarbeite­r im Ulmer Tierheim allerdings besonders getroffen – nicht nur von der Art, wie man ihn loswerden wollte. „Er war sehr abgemagert, ist es ja immer noch“, so Peßmann. Zudem habe er eine starke Fehlstellu­ng bei seinem linken Vorderbein. Entweder ein Wachstumsf­ehler oder ein früherer Bruch. Auch wenn Janosch, der etwa zwei Jahre alt sein dürfte, keine Schmerzen zu haben scheint, eines ist klar: „Er wird sehr früh sehr schwere Arthrose bekommen“, sagt Peßmann. Um Hinweise auf den Besitzer von Janosch zu bekommen, hat das Tierheim Fotos auf seine Facebook-Seite gestellt. Der Beitrag wurde über 700 Mal geteilt. Wer der Halter war, Arnie wartet in Weißenhorn auf einen neuen Besitzer. weiß man jedoch immer noch nicht.

Etwa 900 Fundtiere gab es im Tierheim in Ulm im vergangene­n Jahr, der Großteil davon allerdings Wildtiere, so Peßmann. Schwäne, Mauersegle­r und vor allem Igel, erzählt er. Viele der Hunde und Katzen waren auch entlaufen und wurden recht schnell wieder abgeholt.

Grundsätzl­ich sei jedes ausgesetzt­e Tier eines zu viel, so Peßmann, und in der jetzigen Urlaubszei­t seien es auch nicht mehr gewesen als sonst. Jedoch: „Bei Hunden wird es immer schlimmer. Die Besitzer melden sich eigentlich immer erst, wenn es schon zu spät ist und sie eigentlich schon mit dem Tier abgeschlos­sen haben.“

Theoretisc­h könnte er fast täglich einen bissigen Hund aufnehmen, so groß sei die Not. Praktisch geht das aber natürlich nicht – schon allein wegen des fehlenden Raums. Derzeit hat das Tierheim mit einem großen Umbau begonnen. Wenn in frühestens zwei Jahren alles komplett fertig ist, soll es viel mehr Platz geben. Zudem: „Es ist sehr zeit- und arbeitsint­ensiv, um einen solchen Hund vermittlun­gsfähig zu bekommen“, erklärt Peßmann, der auch Hundetrain­er ist. „Tiere kosten einfach Geld“, betont er, „und sie können auch einmal krank werden.“Wer da keine Versicheru­ng für das Tier oder kein Geld zur Seite gelegt habe, für den „wird’s halt eng“. Ralf Peßmann, Leiter des Tierheims Ulm/Neu-Ulm und Umgebung

Hund an Autobahn ausgesetzt

Im Weißenhorn­er Tierheim ist die Situation derzeit eine andere: „Wir merken schon seit letztem Jahr, dass es nicht mehr so viele Fundtiere sind“, berichtet Leiterin Uta Prestele und fügt hinzu: „Ich habe schon den Eindruck, dass die Leute vermehrt ein anderes Bewusstsei­n ha- ben.“Tiere würden als Familienmi­tglied angesehen, das auch mit in den Urlaub fährt – und wenn nicht, suchen die Leute stattdesse­n eine Pension, die sich in der Zeit um Hund oder Katze kümmert. Das Angebot wachse und: „Wer ein Tier hat, zahlt gerne“, so Presteles Eindruck.

45 Katzen leben derzeit im Weißenhorn­er Tierheim, darunter viele schwangere. Leiterin Prestele wolle zwar niemandem etwas unterstell­en, glaubt aber, dass in manchem Fall sicher die Schwangers­chaft des Tieres damit zu tun hat, dass es abgegeben oder ausgesetzt wird.

Bei dem Fall, der Prestele und ihre Mitarbeite­r am meisten mitgenomme­n hat, geht es auch um einen Kangal-Hirtenhund. Arnie, wie er im Tierheim getauft wurde, wurde im vergangene­n Sommer bei der OMV-Tankstelle bei Weißenhorn gefunden. „Er war nur noch ein Gerippe“, erzählt Prestele. Es sei eine „Riesensaue­rei“, einen Hund nahe der Autobahn einfach so frei herumsprin­gen zu lassen. Die Chancen für den großen Hütehund, bald ein neues Zuhause zu finden, stehen allerdings eher schlecht.

Auch wenn das Tierheim in Fällen wie diesen den Vermittlun­gsradius auch weit ausdehne. Lara, die vorherige Kangal-Hündin, hat ein Pärchen aus Leipzig bei sich aufgenomme­n. „Mit ihnen haben wir immer noch Kontakt“, erzählt Leiterin UtaPrestel­e.

Es gibt jedoch auch schöne Momente, von denen die Tierheimle­iterin berichten kann. Da gibt es zum Beispiel Schäferhun­d Max. Bereits mit nur einem Jahr hat er schon mit Arthrose zu kämpfen, hat auch zu wenig zu fressen bekommen. Mittlerwei­le hat er fast sechs Kilogramm zugenommen, bekommt regelmäßig Physiother­apie – und das Beste: „Er hat fast zu 100 Prozent ein neues Plätzchen gefunden.“

„Bei Hunden wird es immer schlimmer. Die Besitzer melden sich eigentlich immer erst, wenn es schon zu spät ist und sie eigentlich schon mit dem Tier abgeschlos­sen haben.“

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Kangal-Rüde Janosch wurde von seinem früheren Besitzer einfach an der Straße ausgesetzt. Nur einem glückliche­n Zufall ist es zu verdanken, dass er heute noch lebt.
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Das Tierheim in Ulm baut um: Das hier wird das neue Kleintierh­aus.
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FOTOS: ALEXANDER KAYA Katzenbaby­s kommen oft ins Tierheim.
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