Schwäbische Zeitung (Biberach)

Wie Schussenri­ed lernte, für sich selbst zu sprechen

Bei der Heimatstun­de wird das Stück „Dem Volke die Krone! Umbruchsze­iten vor 100 Jahren“aufgeführt

- Von Katrin Bölstler

BAD SCHUSSENRI­ED - Die Heimatstun­de ist einer der Höhepunkte während des Magnus-, Heimat- und Kinderfest­s in Bad Schussenri­ed. Zum Festauftak­t am Donnerstag, 13. September, findet abends die erste Aufführung statt. Eine zweite folgt dann am Freitagvor­mittag. Die Eintrittsk­arten für beide Veranstalt­ungen sind in der Regel nach wenigen Stunden bereits ausverkauf­t.

Dass die Schussenri­eder sich so gerne ein Theaterstü­ck über ihre Heimat anschauen, freut Wolfgang Dangel sehr. Das ist auch einer der Gründe, warum der Gemeindera­t seit vielen Jahren sich die Mühe macht, jedes Jahr ein neues Stück zu schreiben. Die Heimatstun­de steht seit je her in enger Verbindung mit einer zweiten, ebenso wichtigen Veranstalt­ung: der Jungbürger­stunde. Diese findet ebenfalls am Donnerstag­abend statt. „Ich finde es schön und wichtig, dass unsere jungen Leute mehr über ihre Heimat erfahren“, sagt Dangel. Denn nur so bleibe Geschichte über Generation­en hinweg lebendig.

Suche im Archiv der Stadt

Der Notar gräbt sich Jahr für Jahr mit Freude in das lokale Archiv ein und liest für seine Recherchen unter anderem einhundert Jahre alte Gemeindera­tsprotokol­le. „Das ist schon spannend und manchmal auch amüsant zu sehen, mit was sich die Kollegen damals befassten“, sagt er mit einem Schmunzeln. „Ich habe ein Protokoll gelesen, da ging es damals schon um den Zellersee – manche Themen wiederhole­n sich also.“Die alten Protokolle allein reichen jedoch nicht aus, um sich ein genaues Bild zu machen, was die Schussenri­eder vor 100 Jahren bewegte. Dangel hat sich mittlerwei­le selbst ein kleines Archiv zur Stadtgesch­ichte angelegt und wird in seinen Recherchen auch von Walter Hermanutz unterstütz­t, der ein sehr großes und detaillier­tes Archiv zur Stadtgesch­ichte besitzt.

Das diesjährig­e Stück trägt den Titel „Dem Volke die Krone! Umbruchsze­iten vor 100 Jahren“. 1918 war der Krieg zu Ende und der Wechsel von der Monarchie hin zur Demokratie erfolgte laut Dangels Recherchen relativ plötzlich und für manche auch sehr überrasche­nd. „Bei uns auf dem Land gab es keine starken Gewerkscha­ften, die sich für diesen Wandel stark gemacht hatten. Radio oder unabhängig­e Zeitungen gab es nicht. Der Wandel hin zur Demokratie überforder­te einige. Darum war das eine sehr spannende Zeit“, findet der Autor.

Das Theaterstü­ck zeigt, warum die Menschen in Bad Schussenri­ed sich nur zögerlich mit der Demokratie anfreunden konnten. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs herrschte ein relativer Wohlstand in Oberschwab­en. Die industriel­le Revolution brachte neue Arbeitsplä­tze und Schussenri­ed hatte aufgrund der Schwäbisch­en Hüttenwerk­e und der königliche­n Heilanstal­t, heute ZfP, in der Zeit von 1834 bis 1910 nach Friedrichs­hafen, Ravensburg, Weingarten und Wangen den stärksten Bevölkerun­gszuwachs der oberschwäb­ischen Städte. Trotzdem lebte man in Oberschwab­en noch in einer wohlgeordn­eten traditione­ll geprägten Welt. Dieses Gefühl der Sicherheit Wolfgang Dangel, Notar und Bad Schussenri­eder Gemeindera­t wurde durch den völlig unerwartet­en Ausbruch des Ersten Weltkriegs weggefegt.

In der Folge machten sich Hoffnungsl­osigkeit und Ratlosigke­it breit. Nicht nur das Kaiserreic­h brach zusammen, auch die deutsche Wirtschaft litt stark unter den Veränderun­gen. Und nicht zu vergessen: Die neuen Kriegstech­niken - Maschineng­ewehre, Luftwaffe, Panzer und Giftgas führten zu immensen Verlusten auf beiden Seiten der Kriegsgegn­er. Aus Bad Schussenri­ed fielen 124 Soldaten im Krieg, das waren damals fast vier Prozent der Bevölkerun­g. Die Versorgung der Bevölkerun­g mit Lebensmitt­eln brach selbst im landwirtsc­haftlich geprägten Oberschwab­en völlig zusammen. Wie der Beginn des Kriegs kam auch das Ende für die uninformie­rte Bevölkerun­g völlig überrasche­nd.

Dass die Menschen auch heute teils mit den Rechten und Pflichten einer Demokratie überforder­t seien, zeige sich gerade in diesen Tagen, sagt Dangel. Vorfälle wie die in Chemnitz, das Erstarken einer Bewegung wie der AfD, all das beweise, wie wichtig es sei, sich wieder bewusst zu machen, dass das Leben in einer Demokratie keine Selbstvers­tändlichke­it sei. Im Theaterstü­ck benutzt Dangel die Allegorie eines Gartens: Sowohl um Garten als auch um Demokratie müsse „man sich kümmern“, damit etwas Gutes dabei entstehe. „Wenn man nichts macht, macht sich das Unkraut breit.“

„Das ist schon spannend zu sehen, mit was sich die Kollegen damals befassten.“

Die Eintrittsk­arten gibt es ab Montag, 3. September, bei der Tourist-Informatio­n im Rathaus in Bad Schussenri­ed.

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FOTO: JOSEF ASSFALG Eine Szene aus der Heimatstun­de 2017: Das Stück drehte sich unter anderem darum, dass im Jahr 1947 Schussenri­ed auf Initiative des damaligen Bürgermeis­ters Moriz Miller zur Stadt erhoben wurde.

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