Schwäbische Zeitung (Biberach)
Wie Schussenried lernte, für sich selbst zu sprechen
Bei der Heimatstunde wird das Stück „Dem Volke die Krone! Umbruchszeiten vor 100 Jahren“aufgeführt
BAD SCHUSSENRIED - Die Heimatstunde ist einer der Höhepunkte während des Magnus-, Heimat- und Kinderfests in Bad Schussenried. Zum Festauftakt am Donnerstag, 13. September, findet abends die erste Aufführung statt. Eine zweite folgt dann am Freitagvormittag. Die Eintrittskarten für beide Veranstaltungen sind in der Regel nach wenigen Stunden bereits ausverkauft.
Dass die Schussenrieder sich so gerne ein Theaterstück über ihre Heimat anschauen, freut Wolfgang Dangel sehr. Das ist auch einer der Gründe, warum der Gemeinderat seit vielen Jahren sich die Mühe macht, jedes Jahr ein neues Stück zu schreiben. Die Heimatstunde steht seit je her in enger Verbindung mit einer zweiten, ebenso wichtigen Veranstaltung: der Jungbürgerstunde. Diese findet ebenfalls am Donnerstagabend statt. „Ich finde es schön und wichtig, dass unsere jungen Leute mehr über ihre Heimat erfahren“, sagt Dangel. Denn nur so bleibe Geschichte über Generationen hinweg lebendig.
Suche im Archiv der Stadt
Der Notar gräbt sich Jahr für Jahr mit Freude in das lokale Archiv ein und liest für seine Recherchen unter anderem einhundert Jahre alte Gemeinderatsprotokolle. „Das ist schon spannend und manchmal auch amüsant zu sehen, mit was sich die Kollegen damals befassten“, sagt er mit einem Schmunzeln. „Ich habe ein Protokoll gelesen, da ging es damals schon um den Zellersee – manche Themen wiederholen sich also.“Die alten Protokolle allein reichen jedoch nicht aus, um sich ein genaues Bild zu machen, was die Schussenrieder vor 100 Jahren bewegte. Dangel hat sich mittlerweile selbst ein kleines Archiv zur Stadtgeschichte angelegt und wird in seinen Recherchen auch von Walter Hermanutz unterstützt, der ein sehr großes und detailliertes Archiv zur Stadtgeschichte besitzt.
Das diesjährige Stück trägt den Titel „Dem Volke die Krone! Umbruchszeiten vor 100 Jahren“. 1918 war der Krieg zu Ende und der Wechsel von der Monarchie hin zur Demokratie erfolgte laut Dangels Recherchen relativ plötzlich und für manche auch sehr überraschend. „Bei uns auf dem Land gab es keine starken Gewerkschaften, die sich für diesen Wandel stark gemacht hatten. Radio oder unabhängige Zeitungen gab es nicht. Der Wandel hin zur Demokratie überforderte einige. Darum war das eine sehr spannende Zeit“, findet der Autor.
Das Theaterstück zeigt, warum die Menschen in Bad Schussenried sich nur zögerlich mit der Demokratie anfreunden konnten. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs herrschte ein relativer Wohlstand in Oberschwaben. Die industrielle Revolution brachte neue Arbeitsplätze und Schussenried hatte aufgrund der Schwäbischen Hüttenwerke und der königlichen Heilanstalt, heute ZfP, in der Zeit von 1834 bis 1910 nach Friedrichshafen, Ravensburg, Weingarten und Wangen den stärksten Bevölkerungszuwachs der oberschwäbischen Städte. Trotzdem lebte man in Oberschwaben noch in einer wohlgeordneten traditionell geprägten Welt. Dieses Gefühl der Sicherheit Wolfgang Dangel, Notar und Bad Schussenrieder Gemeinderat wurde durch den völlig unerwarteten Ausbruch des Ersten Weltkriegs weggefegt.
In der Folge machten sich Hoffnungslosigkeit und Ratlosigkeit breit. Nicht nur das Kaiserreich brach zusammen, auch die deutsche Wirtschaft litt stark unter den Veränderungen. Und nicht zu vergessen: Die neuen Kriegstechniken - Maschinengewehre, Luftwaffe, Panzer und Giftgas führten zu immensen Verlusten auf beiden Seiten der Kriegsgegner. Aus Bad Schussenried fielen 124 Soldaten im Krieg, das waren damals fast vier Prozent der Bevölkerung. Die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln brach selbst im landwirtschaftlich geprägten Oberschwaben völlig zusammen. Wie der Beginn des Kriegs kam auch das Ende für die uninformierte Bevölkerung völlig überraschend.
Dass die Menschen auch heute teils mit den Rechten und Pflichten einer Demokratie überfordert seien, zeige sich gerade in diesen Tagen, sagt Dangel. Vorfälle wie die in Chemnitz, das Erstarken einer Bewegung wie der AfD, all das beweise, wie wichtig es sei, sich wieder bewusst zu machen, dass das Leben in einer Demokratie keine Selbstverständlichkeit sei. Im Theaterstück benutzt Dangel die Allegorie eines Gartens: Sowohl um Garten als auch um Demokratie müsse „man sich kümmern“, damit etwas Gutes dabei entstehe. „Wenn man nichts macht, macht sich das Unkraut breit.“
„Das ist schon spannend zu sehen, mit was sich die Kollegen damals befassten.“
Die Eintrittskarten gibt es ab Montag, 3. September, bei der Tourist-Information im Rathaus in Bad Schussenried.