Schwäbische Zeitung (Biberach)

Das Klinikzimm­er ist Viktors Welt

So geht es dem 42-jährigen Biberacher ein Jahr nach seinem Unfall.

- Von Gerd Mägerle

BIBERACH - Seit knapp einem Jahr liegt Viktor Belousov aus Biberach nun zur Behandlung in der Uniklinik in Ulm. Im August 2017 wollte er in seiner russischen Heimat ein ertrinkend­es Kind retten und verletzte sich dabei so schwer, dass er seither vom Hals abwärts gelähmt ist. Dank eines Spendenauf­rufs in der SZ kam im vergangene­n Herbst so viel Geld zusammen, dass er in einem Spezialjet aus Russland nach Ulm zur weiteren Behandlung geflogen werden konnte, wo ihn auch seine Frau und seine zwei Töchter von Biberach aus besuchen können. Gut ein Jahr danach wollte die SZ wissen, wie es dem 42-Jährigen inzwischen geht.

An eine Rückkehr in die Wohnung zu seiner Familie nach Biberach ist für Viktor Belousov noch lange nicht zu denken. „Ein hartnäckig­er Krankenhau­skeim verhindert­e, dass Viktor im vergangene­n Jahr in Ulm operiert werden konnte, obwohl er sehr unter den Folgen seiner Querschnit­tslähmung zu leiden hatte“, sagt Marianne Romer, eine gute Freundin der Familie, die Viktor Belousov regelmäßig in der Klinik besucht.

Vor allem seine spastische­n Krämpfe, die ihm große Schmerzen verursacht­en, hätten die behandelnd­en Ärzte letztendli­ch nun doch dazu bewogen, einen operativen Eingriff vorzunehme­n, so Marianne Romer. Bis dahin war es Viktor Belousov gelungen, seine Arme wieder zu aktivieren und einige Zeit im Rollstuhl sitzend zu verbringen. Mit Unterstütz­ung der Ärzte und seines Physiother­apeuten verbessert­e sich seine hilflose Situation, er konnte seine Arme etwas bewegen, sogar selbststän­dig trinken und teilweise Essen zum Mund führen. „Meistens aber bleiben seine Hände zu Fäusten geballt, und es ist schwierig, sie zu öffnen, um etwas zu greifen“, sagt Marianne Romer.

Mit einem Handfahrra­d wurden Viktor Belousovs Arme täglich trainiert. „Das Zimmer in der Klinik ist momentan Viktors Welt“, so Marianne Romer. „Er darf es wegen eines Keims, der bei ihm aufgetrete­n ist, nie verlassen, um etwa mit anderen Leidensgen­ossen Kontakt aufzunehme­n oder einfach zu sehen, was sich vor der Zimmertür abspielt.“

Besuch nur in Schutzklei­dung

Unter der Woche hat der 42-Jährige aber ständig Anwendunge­n und Untersuchu­ngen, so dass sein Tag bis abends sehr durchstruk­turiert ist. Besucher, die zu ihm möchten, müssen sich wegen Übertragun­gsgefahr seines Keimes erst Schutzklei­dung überziehen, einen Mundschutz anlegen und die Haare mit einer Haube abdecken.

„Glückliche­rweise bekommt Viktor oft Besuch. Vor allem seine Frau und seine beiden Töchter sowie seine engsten Freunde Julia und Alexander bringen Abwechslun­g in seinen Alltag“, sagt Marianne Romer. „Sie lassen sich alles Erdenklich­e einfallen, um Viktor aufzumunte­rn, wenn es ihm mal nicht gut geht. Es ist nicht immer einfach, in dieser schwierige­n Situation gelassen und zuversicht­lich zu bleiben.“

Da gebe es auch düstere Momente, aber meistens lasse er sich wieder schnell zu erneutem Training überreden. „Sein Physiother­apeut versteht es meisterlic­h, ihn zu motivieren. Das Pflegepers­onal und die Ärzte der Klinik versorgen Viktor bestens, und er weiß das zu schätzen“, sagt Marianne Romer.

Kontakt zur Mutter in Russland

Auch Arbeitskol­legen von der Firma Liebherr in Ochsenhaus­en kommen zu Besuch. Und dann gibt es da Viktors Mutter in Russland, die er alljährlic­h im Sommer besuchte, um ihr im Garten zu helfen und ihr Haus für den Winter dingfest zu machen. So wie er es auch im vergangene­n Jahr geplant hatte, ehe er verunglück­te. „Jetzt haben die beiden gelernt, selbststän­dig über einen Messenger zu kommunizie­ren und stehen so täglich miteinande­r in Kontakt“, berichtet Marianne Romer. Auf die gleiche Weise erfährt Viktor Belousov jeden Abend, was bei seiner Familie in Biberach aktuell ansteht, oder er kann sich mit seiner Frau und seinen Töchtern beraten, wenn sie daheim nun Arbeiten bewältigen müssen, die bis zum vergangene­n Sommer in Viktors Aufgabenbe­reich fielen.

Momentan ist Viktor Belousov noch immer etwas geschwächt, von der Operation, bei der er vor drei Wochen sechs Stunden lang am Rücken operiert wurde. Die Ärzte wollten dadurch primär seine permanente­n Schmerzen lindern. Inwieweit dadurch seine Lähmung weiter verbessert werden kann, bleibt zunächst unklar. „Viktor wird weiter kämpfen und trainieren müssen“, sagt Marianne Romer, „aber dafür hat er Kraft und Lebenswill­en.“

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FOTO: PRIVAT
 ?? FOTO: PRIVAT ?? Wegen eines Keims, den sich Viktor Belousov zugezogen hat, müssen Besucher, die zu ihm wollen, noch immer Schutzklei­dung tragen – so wie auf diesem Foto aus dem Dezember 2017.
FOTO: PRIVAT Wegen eines Keims, den sich Viktor Belousov zugezogen hat, müssen Besucher, die zu ihm wollen, noch immer Schutzklei­dung tragen – so wie auf diesem Foto aus dem Dezember 2017.

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