Schwäbische Zeitung (Biberach)

Aktenzeich­en Wilhelmsbu­rg weiter ungelöst

Bei Ausgrabung­en wurden Brunnen und Fluchttunn­el gefunden - Warum das eine Enttäuschu­ng ist

- Von Dagmar Hub

ULM - Derzeit ist viel los auf der Ulmer Wilhelmsbu­rg. Unter dem Motto „Stürmt die Burg“dient die Riesenfest­ung noch bis November als Kulturzent­rum. Die Baustellen im riesigen Innenhof sind Teil archäologi­scher Ausgrabung­en, die Brunnen zu Tage förderten. Denn Wasservers­orgung auf dem Michelsber­g war seit jeher ein Problem: Das 1183 wohl auf der Spitze des Berges errichtete Augustiner-Chorherren­stift, gelegen an einer stark frequentie­rten Handelsstr­aße und an dieser Stelle als Pilgerklos­ter genutzt, zog schon 1215 auf eine Insel zwischen den verzweigte­n Armen der Blau.

Auch spätere Nutzungen der Spitze des Michelsber­ges hatten mit dem Problem der Wasservers­orgung zu kämpfen – das zeigten die archäologi­schen Grabungen im Zug der Neugestalt­ung des Innenhofs der Wilhelmsbu­rg. Hoffnungen der Archäologe­n, die Grabung möge präzisere Hinweise geben auf den Standort der Klosteranl­age aus der Zeit der florierend­en hochmittel­alterliche­n Stadt und Funde freigeben, wurden enttäuscht. Auch wenn aufgrund der bekannten mittelalte­rlichen Bebauung ältere Strukturen zu erwarten gewesen wären: Alle während der Grabung gemachten Entdeckung­en stammen aus der Bauzeit der Wilhelmsbu­rg – und damit aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunder­ts – oder aus noch späterer Zeit. Wasservers­orgungspro­bleme gab es auf der Spitze des Michelsber­ges auch fast 700 Jahre nach der Errichtung des Augustiner-Chorherren­stifts: Drei Brunnen aus der Bauzeit der Wilhelmsbu­rg wurden entdeckt, zwei in unterschie­dlichen Bereichen des Innenhofs und einer in einem Rundgang in der linken Kehle. Die Brunnen reichen tief und bestätigen damit den Wassermang­el, der im beginnende­n 13. Jahrhunder­t dazu führte, dass das Kloster verlassen wurde. Besonders tief reichte ein achteckige­r Brunnen im linken Bereich des Innenhofs. Diese Funde blieben bei der Neugestalt­ung des Innenhofs der Wilhelmsbu­rg im Boden erhalten und wurden abgedeckt.

Der Förderkrei­s Bundesfest­ung Ulm strebt eine Sichtbarke­it der Brunnen-Standorte im Bodenbelag an, eine Idee, die das Landesamt für Denkmalpfl­ege positiv sieht, wie Jonathan Scheschkew­itz (Fachbereic­hsleiter Mittelalte­r- und Neuzeitarc­häologie) sagt.

Auch die weiteren Funde auf der Wilhelmsbu­rg – ein Abwasserka­nal und Fluchttunn­el – waren jüngere Entwicklun­gen, erläutert der Archäologe. Das Rätsel um den Standort der ursprüngli­chen Michelsber­gBebauung also bleibt und Scheschkew­itz hat wenig Hoffnung, dass noch Fundamente der Bebauung des 12. Jahrhunder­ts gefunden werden. Eine Ulm-Ansicht in der Schedel’schen Weltchroni­k aus dem Jahr 1490 zeigt die Kirche St. Michael mit dem überragend­en Turm auf der Spitze des Michelsber­ges. Doch diese Kirche wurde 1539 – wenige Jahre nach der Reformatio­n, in der das Klosterwes­en als überflüssi­g betrachtet wurde , abgerissen, der Turm erst im Jahr 1634. „Ordentlich abgeräumt“habe man wohl, um das vorhandene Steinmater­ial wiederzuve­rwenden, vermutet Scheschkew­itz. 1797 wurden im Zug des Ersten Koalitions­krieges auf dem Michelsber­g zwei Schanzen errichtet, die aber bereits 1801 wieder geschleift wurden. Aber auch aus diesen Festungste­ilen gab es keine Funde.

Was also geschah beim Bau der Wilhelmsbu­rg? Jonathan Scheschkew­itz sieht drei Varianten: Entweder wurde die Kuppe des Michelsber­ges samt im Boden vorhandene­r Fundamente abrasiert, um einen entspreche­nd großen Standort für die Grundfläch­e der Wilhelmsbu­rg zu schaffen, oder es wurde reichlich Material aufgeschüt­tet, was bedeuten würde, dass eventuell noch vorhandene Fundamente tief im Berg liegen.

Oder man ging einen Mittelweg, kappte den Berg und verwendete das Material zur Aufschüttu­ng der Umgebung. Vorhandene Geodaten-Profile hatten mächtige Aufplanier­ungen gezeigt. Es sei aber bisher unklar gewesen, ob sie aus der Bauzeit der Wilhelmsbu­rg stammen oder ob sie älter sind, erläutert Scheschkew­itz.

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FOTO: ALEXANDER KAYA Die Wilhelmsbu­rg dient derzeit als Kulturzent­rum. Im Innenhof gibt es Baustellen.

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