Schwäbische Zeitung (Biberach)

Mikroplast­ik entsteht bei jedem Schritt

Umfassende Studie zeigt vielfältig­e Quellen der problemati­schen Partikel

- Von Claus Haffert

OBERHAUSEN (dpa) - Wie kommt Mikroplast­ik in die Umwelt? Und welche Mengen sind es? Das Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheit­sund Energietec­hnik in Oberhausen hat sich im Rahmen einer Studie an das komplexe Thema gewagt. Das Fazit der Forscher: Es gibt mehr Quellen, als man denkt.

Mit jedem Schritt geben Fußgänger Mikroplast­ik in die Umwelt ab. Rund 100 Gramm Abrieb von den Schuhsohle­n sollen es pro Kopf und Jahr in Deutschlan­d sein, wie Forscher des Fraunhofer-Instituts errechnet haben. Damit liegt das Schuhwerk auf Platz sieben der Liste der größten Mikroplast­ik-Quellen, die sich in der Studie der Umweltwiss­enschaftle­r findet.

Bislang stehen vor allem Körperpfle­geprodukte und Kosmetika im Mittelpunk­t der öffentlich­en Debatte um Mikroparti­kel aus Plastik, die laut Definition maximal fünf Millimeter messen. Doch es gibt viel mehr Verursache­r: Für zunächst 51 Quellen von sogenannte­m primärem Mikroplast­ik haben die Autoren der Studie „Kunststoff­e in der Umwelt“die Emissionen ermittelt. Auftraggeb­er waren Chemiekonz­erne, Kosmetikhe­rsteller, Wasserverb­ände, Abfallents­orger und Hochschule­n.

330 000 Tonnen Mikroplast­ik kommen demnach pro Jahr in Deutschlan­d zusammen – gut vier Kilogramm pro Kopf. Mit 19 Gramm liegen Duschbäder und Co. nur auf Platz 17 der Negativlis­te. An der Spitze der Mikroplast­ik-Verursache­r steht der Abrieb von Autoreifen. Rund ein Drittel der Mikroplast­ikEmission­en entfallen laut Studie darauf. Und noch etwas an den Zahlen aus Oberhausen ist bemerkensw­ert. Makroplast­ik – also Plastiktüt­en und andere achtlos weggeworfe­ne Kunststoff-Produkte – sorgen in Deutschlan­d nur für ein gutes Viertel der gesamten 446 000 Tonnen Kunststoff­Emissionen pro Jahr. Mikroplast­ik stellt davon 74 Prozent. „Dem, was jedem offensicht­lich ist, steht also eine etwa dreifach größere Menge gegenüber, die zum Teil nur unter dem Mikroskop sichtbar wird“, heißt es in der Studie.

Beim Mikroplast­ik unterschei­den die Forscher zwei Kategorien: Zum einen Partikel, die einem Produkt bereits bei der Herstellun­g zugesetzt werden, etwa Reibekörpe­r in Kosmetik. Beim zweiten Typ entstehen die Mikroparti­kel erst bei der Nutzung, etwa beim Waschen freigesetz­te synthetisc­he Fasern. „Die Unterschei­dung ist für die Verantwort­ung zur Vermeidung von Mikroplast­ik wichtig“, sagt Studienaut­or Jürgen Bertling. Wie kommen die Forscher zu ihren Zahlen? Daten aus Experiment­en oder Messungen gibt es nur wenige. Am Beispiel Schuhsohle­nabrieb erläutert Co-Autorin Leandra Hamann das Verfahren: „Wir sind von der Gesamtzahl der pro Jahr in Deutschlan­d verkauften

Schuhe ausgegange­n.“Die durchschni­ttliche Schuhgröße, die Sohlenfläc­he und rund fünf ausgesonde­rte Paar Schuhe pro Kopf und Jahr gingen weiter in die Berechnung­en ein.

Die Zahlen der Wissenscha­ftler liegen, wie sie selbst einräumen, im Vergleich zu anderen Studien „eher im oberen Bereich“, da man mehr Quellen berücksich­tigt habe. Die Wissenscha­ftler haben frühere Studien ausgewerte­t und Produktion­sund Verbrauchs­daten auf die Emissionen von Mikroplast­ik herunterge­rechnet.

Dass Mikroplast­ik in Kosmetik mengenmäßi­g eine eher untergeord­nete Rolle spielt, überrascht das Umweltbund­esamt nicht. Die eigenen Fachleute seien zu der gleichen Erkenntnis gekommen, sagt Sprecher Felix Poetschke. „Es ist aber auch am einfachste­n zu vermeiden.“Auch die Reifenabri­ebmenge bewege sich im bisher berechnete­n Rahmen Daten zum gezielten Einsatz von Mikroparti­keln zu erhalten, ist für die Forschung ausgesproc­hen schwierig. In einer 2015 vom Umweltbund­esamt veröffentl­ichten Untersuchu­ng zu den Quellen für Mikroplast­ik heißt es etwa, aufseiten der Industrie habe es nur eine geringe Bereitscha­ft gegeben, konkrete Angaben zu den gezielt eingesetzt­en Mengen und Materialar­ten zur Verfügung zu stellen. Auch für diese Studie wurden die Zahlen anhand „plausibler Rechenwege abgeschätz­t“.

Das Wissen über Herkunft, Verbreitun­g und Folgen von Plastik in der Umwelt ist noch sehr lückenhaft. Deshalb hat das Bundesfors­chungsmini­sterium ein Forschungs­programm aufgelegt: 18 Projekte mit rund 100 Partnern aus Wissenscha­ft, Wirtschaft, Verbänden und Kommunen sollen ein Gesamtbild zeichnen, wie Kunststoff­e produziert, eingesetzt, gehandelt und entsorgt werden. Mit dem Reifenabri­eb befasst sich auch ein von der Technische­n Universitä­t Berlin koordinier­tes Projekt. Es soll den Eintrag von Mikroplast­ik aus Reifenabri­eb im Abflusswas­ser der Straßen ermitteln.

Einen Vorschlag, wie die Menge des Reifenabri­ebs verringert werden kann, hat Fraunhofer-Forscher Bertling bereits. Autofahrer sollten beim Reifenkauf auf Langlebigk­eit achten. „Deshalb müsste das EU-Reifenlabe­l ergänzt werden“, fordert er. Bisher gebe es nur Angaben zu Kraftstoff­verbrauch, Bremsweg auf nasser Straße und Rollgeräus­ch. Über Haltbarkei­t und Abrieb eines Reifens sage das Label nichts. Und Bertling warnt vor einem allgemeine­n Kunststoff-Bashing. Wer die sehr geringen Recyclingq­uoten erhöhen wolle, müsse das schlechte Image verbessern: „Nur wenn Kunststoff für Produzente­n und Verbrauche­r einen wirklichen Wert hat, wird die Wiederverw­ertung zunehmen.“

„Nur wenn Kunststoff für Produzente­n und Verbrauche­r einen wirklichen Wert hat, wird die Wiederverw­ertung zunehmen.“Jürgen Bertling warnt vor pauschaler Kunststoff-Kritik.

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