Schwäbische Zeitung (Biberach)

Ist kein Gott drin?

- Von Steffi Brüggemann

In einem Brief an ihre Enkelkinde­r schreibt die evangelisc­he Theologin Dorothee Sölle: „Eins von euch … hat mal beim Besuch einer scheußlich­en Kirche, in die wir euch bei Reisen schleppten, trocken gesagt: ,Ist kein Gott drin.‘ Genau das soll in eurem Leben nicht so sein, es soll ,Gott drin sein‘, am Meer und in den Wolken, in der Kerze, in der Musik und natürlich in der Liebe.“

Und ich möchte ergänzen: nicht nur am Meer, sondern überall, wo wir sind, nicht nur in der Musik, sondern in allem, was wir tun, nicht nur in der Liebe, sondern in allen Begegnunge­n und Beziehunge­n, nicht nur in besonderen Räumen und zu besonderen Zeiten, sondern im alltäglich­en Leben und auch in schweren Erfahrunge­n.

Oft wird das anders erlebt. Viele Menschen spüren nichts von Gott in ihrem Leben und viele sind der Meinung, dass es Gott gar nicht gibt.

Ist also kein Gott drin – in dieser Welt, in diesem Leben? Was macht denn den Unterschie­d aus? Was hat das oben erwähnte Kind wohl dazu gebracht, den Kirchenrau­m so zu empfinden: „Ist kein Gott drin?“Und was braucht es in unseren Räumen und in unserem Leben, in unseren Begegnunge­n und Beziehunge­n, in unserer Arbeit und in unserer Freizeit, dass wir spüren oder zumindest ahnen können, „dass Gott drin ist?“Was braucht es an Liebe und Zuwendung, an Offenheit und Vertrauen, an Güte und Solidaritä­t, an Halt und Zuversicht, an Freude und Glück, an Schönheit und Sinn? Was braucht es, damit wir mitten in dieser Welt, die uns oft auch schrecklic­h und sinnlos erscheint, etwas von Gott spüren können?

Die französisc­he Sozialarbe­iterin und Poetin Madeleine Delbrêl, die

sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunder­ts aus dem Glauben heraus für Benachteil­igte einsetzt und wegen ihrer Haltung und ihres Engagement­s auch als „Mystikerin der Straße“ bezeichnet wird, schreibt in einem Gebet: „Gib, dass wir unser Dasein leben nicht wie ein Schachspie­l, bei dem alles berechnet ist, nicht wie einen Wettkampf, bei dem alles schwierig ist, nicht wie einen Lehrsatz, bei dem wir uns den Kopf zerbrechen, sondern wie ein Fest ohne Ende, bei dem man dir immer wieder begegnet, wie einen Ball, wie einen Tanz in den Armen deiner Gnade, zu der Musik allumfasse­nder Liebe. Herr, komm und lade uns ein.“

Das schreibt eine Frau, die nicht naiv oder weltfremd ist, sondern tagtäglich konfrontie­rt mit Ungerechti­gkeit und Elend und die in diesem Umfeld Gott wahrnimmt und sich von ihm führen lässt.

Dass wir etwas davon auch erfahren und leben können, wenigstens ansatzweis­e, nicht nur in Ferien- und Urlaubszei­ten, sondern auch im alltäglich­en Leben, das wünsche ich uns allen.

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FOTO: PRIVAT Steffi Brüggemann ist Pastoralre­ferentin in Biberach.

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