Schwäbische Zeitung (Biberach)
Ist kein Gott drin?
In einem Brief an ihre Enkelkinder schreibt die evangelische Theologin Dorothee Sölle: „Eins von euch … hat mal beim Besuch einer scheußlichen Kirche, in die wir euch bei Reisen schleppten, trocken gesagt: ,Ist kein Gott drin.‘ Genau das soll in eurem Leben nicht so sein, es soll ,Gott drin sein‘, am Meer und in den Wolken, in der Kerze, in der Musik und natürlich in der Liebe.“
Und ich möchte ergänzen: nicht nur am Meer, sondern überall, wo wir sind, nicht nur in der Musik, sondern in allem, was wir tun, nicht nur in der Liebe, sondern in allen Begegnungen und Beziehungen, nicht nur in besonderen Räumen und zu besonderen Zeiten, sondern im alltäglichen Leben und auch in schweren Erfahrungen.
Oft wird das anders erlebt. Viele Menschen spüren nichts von Gott in ihrem Leben und viele sind der Meinung, dass es Gott gar nicht gibt.
Ist also kein Gott drin – in dieser Welt, in diesem Leben? Was macht denn den Unterschied aus? Was hat das oben erwähnte Kind wohl dazu gebracht, den Kirchenraum so zu empfinden: „Ist kein Gott drin?“Und was braucht es in unseren Räumen und in unserem Leben, in unseren Begegnungen und Beziehungen, in unserer Arbeit und in unserer Freizeit, dass wir spüren oder zumindest ahnen können, „dass Gott drin ist?“Was braucht es an Liebe und Zuwendung, an Offenheit und Vertrauen, an Güte und Solidarität, an Halt und Zuversicht, an Freude und Glück, an Schönheit und Sinn? Was braucht es, damit wir mitten in dieser Welt, die uns oft auch schrecklich und sinnlos erscheint, etwas von Gott spüren können?
Die französische Sozialarbeiterin und Poetin Madeleine Delbrêl, die
sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aus dem Glauben heraus für Benachteiligte einsetzt und wegen ihrer Haltung und ihres Engagements auch als „Mystikerin der Straße“ bezeichnet wird, schreibt in einem Gebet: „Gib, dass wir unser Dasein leben nicht wie ein Schachspiel, bei dem alles berechnet ist, nicht wie einen Wettkampf, bei dem alles schwierig ist, nicht wie einen Lehrsatz, bei dem wir uns den Kopf zerbrechen, sondern wie ein Fest ohne Ende, bei dem man dir immer wieder begegnet, wie einen Ball, wie einen Tanz in den Armen deiner Gnade, zu der Musik allumfassender Liebe. Herr, komm und lade uns ein.“
Das schreibt eine Frau, die nicht naiv oder weltfremd ist, sondern tagtäglich konfrontiert mit Ungerechtigkeit und Elend und die in diesem Umfeld Gott wahrnimmt und sich von ihm führen lässt.
Dass wir etwas davon auch erfahren und leben können, wenigstens ansatzweise, nicht nur in Ferien- und Urlaubszeiten, sondern auch im alltäglichen Leben, das wünsche ich uns allen.