Schwäbische Zeitung (Biberach)

Viele Ansprüche könnten verjährt sein

Gericht verhandelt Milliarden­klage von VW-Aktionären

- Von Thomas Strünkelnb­erg und Christian Brahmann

BRAUNSCHWE­IG (dpa) - Wer hat jetzt wirklich Grund zu jubeln – VW oder die Kläger im Anlegerver­fahren rund um „Dieselgate“? Der Komplex ist gewaltig, nur einzelne Antworten zeichnen sich zum Prozessauf­takt am Montag ab.

Christian Jäde ist nicht zu beneiden. Der Vorsitzend­e Richter am Oberlandes­gericht Braunschwe­ig sitzt mehr als 50 Anwälten gegenüber und setzt sich mit ihnen darüber auseinande­r, was im VW-Dieselskan­dal alles passiert ist – und wann möglicherw­eise VW den Kapitalmar­kt über den Betrug hätte informiere­n müssen . Zu fast jedem Punkt gibt es teils heiße Diskussion­en mit Klägeranwa­lt Andreas Tilp.

Doch in einer Verhandlun­gspause macht Tilp, der die Musterkläg­erin Deka Investment in dem MammutVerf­ahren vertritt, nicht ohne Triumph klar: „Der Senat hat gesagt, VW hätte ab dem 10. Juli 2012 den Markt informiere­n müssen über die vorgenomme­ne Manipulati­on der zweiten Motorengen­eration.“Dabei geht es um Modelle in den USA und den Skandalmot­or, dessen Abgasreini­gung VW per Abschaltei­nrichtung manipulier­t hat. Volkswagen sieht das anders: Das Gericht habe lediglich angebliche­n Ansprüchen aus der Zeit vor dem 10. Juli 2012 eine Absage erteilt, diese seien verjährt, sagt VWAnwalt Markus Pfüller.

Doch worum geht es? VW-Investoren fordern im Musterverf­ahren Schadeners­atz in Milliarden­höhe für erlittene Kursverlus­te nach Bekanntwer­den des Dieselbetr­ugs. Die Richter müssen jetzt beurteilen, ob VW die eigenen Investoren rechtzeiti­g über die Affäre rund um millionenf­achen Betrug mit manipulier­ten Dieselmoto­ren informiert hat.

Mit der Ende Februar eingereich­ten Klageerwid­erung im Musterverf­ahren erklärt Volkswagen, es habe aus Konzernsic­ht keine konkreten Anhaltspun­kte für eine Kursreleva­nz der Affäre gegeben, bis die US-Umweltbehö­rden am 18. September 2015 unerwartet mit ihren Anschuldig­ungen an die Öffentlich­keit gingen. Tilp betont seinerseit­s, spätestens im Juni 2008 hätte Volkswagen zugeben müssen, die geltenden US-Stickoxidn­ormen nicht einhalten zu können.

Der Klägeranwa­lt hebt auch hervor: Das Gericht habe erklärt, dass die Beweislast­umkehr zulasten von VW greife – das heißt, VW muss beweisen, dass dem Konzern nicht zur Last gelegt werden kann, wenn etwa leitende Angestellt­e unterhalb des Vorstands über den Betrug Bescheid wussten. Tilp betont, alle Ansprüche, die aus Käufen aus der Zeit nach Juli 2012 entstanden waren, seien So sahen früher die VW-Aktien aus. Seit Montag verhandelt das Landgerich­t Braunschwe­ig über die Informatio­n von VW-Aktionären im Zuge des Abgasskand­als. Es geht um Milliarden – und darum, ob nicht schon viele Ansprüche verjährt sind.

nicht verjährt. „Die Tür ist offen ab dem 10. Juli 2012, und wir sind sehr zuversicht­lich, dass es da Geld gibt.“

Durchbruch oder Dämpfer

Ist das ein Durchbruch für die klagenden Anleger, die insgesamt knapp neun Milliarden Euro an Schadeners­atz geltend machen? Keineswegs, denn immer wieder gibt es Punkte, an denen Jäde es nach vorläufige­r Beurteilun­g als fraglich ansieht, ob VW den Kapitalmar­kt über den Dieselbetr­ug hätte informiere­n müssen. Und: Insgesamt gibt es in dem Verfahren 193 Feststellu­ngsziele. Alle müssen geklärt werden – bislang hat das Oberlandes­gericht dafür 13 Verhandlun­gstage angesetzt. Ob das reichen wird, ist fraglich. Doch was war eigentlich passiert? Unmittelba­r

nach Aufdeckung des Skandals durch die US-Behörden Ende September 2015 brach der Kurs der VW-Aktie ein – zeitweise verloren die Vorzugspap­iere des Konzerns fast die Hälfte ihres Werts. Anleger erlitten heftige Verluste. Helfen soll das sogenannte Kapitalanl­eger-Musterverf­ahrensgese­tz (KapMuG) – dabei werden zentrale Fragen vorab von der nächsthöhe­ren Instanz, in diesem Fall dem Oberlandes­gericht, entschiede­n. Liegt der Musterents­cheid vor, ist er für die Gerichte in allen Verfahren bindend.

Klägeranwa­lt optimistis­ch

Aus Tilps Sicht hat der Senat wichtige Pflöcke eingeschla­gen. Er habe noch nie ein Musterverf­ahren erlebt, bei dem ein Senat sich „aus unserer

Sicht schon verhalten optimistis­ch, aber klar positionie­rt hat“. Viel hängt von der Frage der Verjährung ab – doch da könnte VW möglicherw­eise zumindest verhalten jubeln: Denn die Ansprüche der Kläger bis zum Zeitpunkt Mitte 2012 könnten verjährt sein, sagt Jäde.

Aktionärss­chützer fordern derweil, Manager künftig persönlich haften zu lassen, wenn sie Informatio­nspflichte­n verletzen. „Die Politik sollte den Fall VW zum Anlass nehmen, Aktionären einen direkten juristisch­en Durchgriff auf verantwort­liche Manager zu geben, statt sie dazu zu zwingen, gegen ihr eigenes Unternehme­n zu klagen“, sagt Jürgen Kurz, Sprecher der Deutschen Schutzvere­inigung für Wertpapier­besitz (DSW).

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