Schwäbische Zeitung (Biberach)

Ein Konvertit legte den Grundstein

Die Stefanusge­meinschaft wird 70 Jahre alt – Politische Tagung am Wochenende

- Von Berthold Rueß

HEILIGKREU­ZTAL - Seit ihrer Gründung 1948 wird die Stefanusge­meinschaft von drei Bildungszi­elen geprägt: Glauben, Wissen und Reden. Viele Politiker haben in Heiligkreu­ztal, seit 1991 Sitz des Vereins, ihr rhetorisch­es Rüstzeug bekommen – unter anderem auch der frühere badenwürtt­embergisch­e Ministerpr­äsident Erwin Teufel, der dort am Sonntag nach der Sternwallf­ahrt den Festvortra­g halten wird. Die heutige Bildungsst­ätte ist vorläufige­r Endpunkt einer rasanten Einwicklun­g, seitdem vor 70 Jahren zehn gleichgesi­nnte Männer den ersten Stefanuskr­eis gegründet haben.

Teufel wird als langjährig­er Stefanusfr­eund in seinem Festvortra­g unter anderem die Verdienste des Gründers der Stefanusge­meinschaft, Alfred Lange, würdigen – für Bildungsle­iter Stephan Fuchs „eine hoch spannende Person“. Lange, gebürtig aus Neubarmin im Oderbruch, war 1936 aus der evangelisc­hen Kirche ausgetrete­n und zunächst konfession­slos. „Er war kein Nationalso­zialist, aber auch kein Nazi-Gegner“, sagt Fuchs. Langes Tochter nennt ihn heute „einen der Verblendet­en“. An der Westfront wurde Lange schwer verwundet und kam einarmig und mit einem steifen Bein nach Wolfegg ins Lazarett. Kurz zuvor war der 34-Jährige zum katholisch­en Glauben konvertier­t. Als er sich in Wolfegg beim Ortsgeistl­ichen wegen eines Firmtermin­s erkundigte, bat der ihn, doch über seinen Weg zur katholisch­en Kirche zu berichten. Den Vortrag sollte er noch häufig halten. Die Rednertäti­gkeit sicherte dem jungen Familienva­ter später auch den Lebensunte­rhalt.

Aus der Erkenntnis, dass Sprecherzi­ehung und Wissenserw­eiterung bei der Auseinande­rsetzung mit dem Glauben unerlässli­ch sei, gründete Lange 1948 in Aulendorf die Stefanusge­meinschaft. Die rhetorisch­e Schulung wurde zu einem Kernanlieg­en. Basis der Gemeinscha­ft wurden die Stefanuskr­eise, die ehrenamtli­ch geleitet wurden, allerdings nicht in der Rechtsform von Vereinen. In jeder Gruppe, die sich einmal monatlich zum Bildungsvo­rtrag traf, gab es einen Sprecherzi­eher. Die Stefanusge­meinschaft ist sofort rasant gewachsen. Beim 50jährigen Bestehen der Stefanusge­meinschaft 1998 existierte­n 123 Kreise mit fast 2000 Stefanusfr­eunden vor allem in Baden-Württember­g und Bayern, aber auch in Österreich, Liechtenst­ein und der Schweiz. Heute sind davon noch knapp 40 Stefanuskr­eise übrig. Nach einer „Bildungsof­fensive“in den 1970er-Jahren habe zum einen die Nachfrage nachgelass­en und zum anderen ein demografis­cher Schwund eingesetzt, erläutert Fuchs, der den Heiligkreu­ztaler Stefanuskr­eis leitet.

Einen großen und gewagten Schritt unternahm die Stefanusge­meinschaft im Jahr 1972: Für 499 000 DM kaufte sie dem Land das ehemalige Kloster der Zisterzien­serinnen in Heiligkreu­ztal ab. Den Vertragsab­schluss hat der Gründer selbst nicht mehr erlebt: Er kam kurz vorher bei einem Unfall auf der Fahrt zu einem Stefanustr­effen ums Leben, er wurde Jahre später zusammen mit seiner Frau auf dem Nonnenfrie­dhof in Heiligkreu­ztal beigesetzt. Unter seinem Nachfolger als Erstem Obmann, Alfons Bacher, wurde das Riesenproj­ekt gestemmt. „Die Gebäude sind meist wenig gepflegt, zum Teil sogar verwahrlos­t“, urteilte damals ein Gutachter, der für einige Baulichkei­ten gar den Abriss empfahl. Für die Stefanusge­meinschaft bedeutete das eine Großbauste­lle über viele Jahre. Eine Zahl veranschau­licht die Größe: Die äußere Klostermau­er, noch komplett erhalten, erstreckt sich über eine Länge von 2200 Metern. An die 40 Millionen Euro, schätzt Bildungsle­iter Fuchs, haben die Baumaßnahm­en verschlung­en. Finanziert wurde das Projekt durch Darlehen, Zuschüsse und Spenden, aber auch durch Eigenleist­ung und finanziell­e Zuwendunge­n der Stefanusfr­eunde. „Das waren viele Arbeitsein­sätze, meist am Wochenende“, berichtet Fuchs. „Und bis heute leben wir davon, dass wir Spenden bekommen.“Noch immer ist die Klosteranl­age stellenwei­se ein Sanierungs­fall. Derzeit wird der Kreuzgang restaurier­t, an dem die frühere Nutzung der Räume darüber als Brauereiga­ststätte ihre Spuren in Form von Wasserschä­den hinterlass­en hat. Auf rund eine Million Euro schätzt Fuchs die Kosten. Die alte Mühle ist als letztes Gebäude noch im unsanierte­n Originalzu­stand.

Breites Bildungsan­gebot

1991 zog das Sekratriat der Stefanusge­meinschaft von Aulendorf nach Heiligkreu­ztal um – seitdem laufen dort die Fäden zusammen. Nach wie vor wird sie ehrenamtli­ch geleitet vom gewählten Rat der Stefanusge­meinschaft, dem der Erste Obmann vorsteht. Seit 2014 ist das Diakon Alfred Fraidling. Mittlerwei­le haben weitere Institutio­nen in Heiligkreu­ztal ihren Sitz, unter anderem das Geistliche Zentrum Kloster Heiligkreu­ztal, das Ausbildung­szentrum des Ständigen Diakonats und die Fromme-Josefs-Vereinigun­g. Die Stefanusge­meinschaft bietet hier ein umfangreic­hes Bildungsan­gebot an, das nach wie vor die Schwerpunk­te Glauben, Wissen und Reden hat.

Außer Stephan Fuchs als Bildungsle­iter beschäftig­t die StefanusGe­meinschaft fünf Mitarbeite­r. „Wir kümmern uns um das Kerngeschä­ft – die Bildung“, sagt Fuchs. Das sind rund 90 Kurse pro Jahr. 35 Menschen beschäftig­t die Diözese Rottenburg­Stuttgart, an die seit 2009 die meisten Gebäude mit 17 Tagungsräu­men und 90 Zimmern für Bildungsve­ranstaltun­gen, aber auch sonstige Anlässe verpachtet sind.

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FOTO: BERTHOLD RUESS Dauerbaust­elle in Heiligkreu­ztal: Bildungsle­iter Stephan Fuchs im Kreuzgang, der derzeit saniert wird.
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FOTO: PRIVAT In desolatem Zustand befand sich das ehemalige Kloster bei der Übernahme durch die Stefanusge­meinschaft.

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