Schwäbische Zeitung (Biberach)

Merkel schließt Koalitions­bruch aus

Auch Fraktionsc­hef Kauder glaubt an Einigung im Fall Maaßen – Union fällt auf Rekordtief

- Von Sabine Lennartz und unseren Agenturen

BERLIN/VILNIUS – Nicht nur Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU), auch Unionsfrak­tionschef Volker Kauder rechnet im Streit um den Verbleib von Verfassung­sschutzprä­sident Hans-Georg Maaßen nicht mit einem Bruch der Koalition mit der SPD. „Die Koalition wird sich in dieser Frage einigen. Da bin ich mir sicher“, sagte der CDU-Politiker aus Tuttlingen der „Schwäbisch­en Zeitung“. Merkel erklärte derweil am Freitag während ihres Besuchs in Litauen: „So wichtig die Position des Präsidente­n des Bundesverf­assungssch­utzes auch ist, so klar ist auch, dass die Koalition an der Frage des Präsidente­n einer nachgeordn­eten Behörde nicht zerbrechen wird.“

Die SPD, die Maaßens Eignung im Kampf gegen Rechtsextr­emismus anzweifelt, pochte erneut auf dessen Ablösung. SPD-Generalsek­retär Lars Klingbeil warf Merkel am Freitag Führungssc­hwäche vor. „Es hat Bundeskanz­ler vor Frau Merkel gegeben, die es sich nicht hätten gefallen lassen, von einem Behördench­ef in dieser Art vorgeführt zu werden“, sagte er der „Saarbrücke­r Zeitung“. „Das Schlimme ist, dass Maaßen ihre Autorität untergrabe­n hat, ohne Belege dafür zu liefern. Und Frau Merkel lässt das einfach so geschehen.“Wenn sie als Kanzlerin nicht noch weiter beschädigt werden wolle, müsse sie dafür sorgen, „dass Herr Maaßen geht“. Merkel zeigte sich unbeeindru­ckt und sagte in Vilnius, dass die Gespräche der Parteichef­s am Dienstag fortgesetz­t werden.

Fraktionsc­hef Kauder betonte, die Koalition müsse vor allem zeigen, dass sie gemeinsam die Probleme des Landes angehe und zu Ergebnisse­n komme. Der 69-Jährige kündigte einen „Herbst der Beschlüsse“an. Er nannte unter anderem den Wohnungsgi­pfel am 21. September, das Baukinderg­eld sowie die Pakete zu Rente und Pflege. Um die Stimmung im Land zu wenden, müssten gerade CDU und CSU als Parteien der Mitte alles daransetze­n, die Menschen von ihrer Politik zu überzeugen.

Vor dem Parteitag der CSU heute in München kritisiert­e Parteichef Horst Seehofer derweil die AfD als Gegner der Bundesrepu­blik. „Die stellen sich gegen diesen Staat“, sagte der Innenminis­ter in Berlin. „Da können sie tausendmal sagen, sie sind Demokraten.“Zum gescheiter­ten Versuch der AfD, den Haushalt von Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier im Bundestag zum Debattenth­ema zu machen, sagte er: „Das ist staatszers­etzend.“Die CSU liegt vier Wochen vor der Landtagswa­hl im Freistaat in aktuellen Umfragen nur noch bei 35 bis 36 Prozent.

Im aktuellen ZDF-Politbarom­eter vom Freitag fiel die Union derweil auf ein Rekordtief. Wenn am nächsten Sonntag Bundestags­wahl wäre, käme sie nur noch auf 30 Prozent. In anderen Umfragen liegt sie zwischen 28 und 31 Prozent. Die SPD legte im Politbarom­eter um zwei Punkte auf 20 Prozent zu, die Grünen gewannen ebenfalls zwei Punkte auf 16 Prozent. Der Umfrage zufolge büßte die AfD zwei Punkte auf 15 Prozent ein, die FDP einen auf 7 Prozent. Die Linke verharrt bei 8 Prozent.

BERLIN - Trotz der Turbulenze­n wegen des Falls Maaßen rechnet Unionsfrak­tionschef Volker Kauder fest mit einer Einigung. „Die Bürgerinne­n und Bürger wollen vor allem schlicht eines: Dass das Land gut regiert wird“, sagt Kauder. Sabine Lennartz interviewt­e ihn.

Das Krisentref­fen ist vorbei, die Krise der Koalition nicht. Wie lange soll das noch so weiter gehen?

Die Koalition muss sich über eines klar sein: Jeder Partner kann ja sein eigenes Profil schärfen. Wir müssen aber vor allem zeigen, dass wir gemeinsam die Probleme des Landes angehen wollen und dann auch zu Ergebnisse­n kommen. Darauf kommt es an. Die Bürgerinne­n und Bürger wollen vor allem schlicht eines: Dass das Land gut regiert wird.

Die SPD hat die Entlassung Maaßens gefordert. Wer ist Ihnen wichtiger? Herr Maaßen oder die Koalition?

Die Koalition wird sich in dieser Frage einigen. Da bin ich mir sicher.

Glauben Sie, dass nach der Landtagswa­hl in Bayern die Große Koalition wieder zur Sachpoliti­k zurückkehr­en kann?

Auch schon vorher. Am 21. September werden auf dem Wohnungsgi­pfel die Weichen gestellt, damit wir in Deutschlan­d zu mehr bezahlbare­m Wohnraum kommen. Das Baukinderg­eld kann sogar schon vorher – ab 18. September – beantragt werden. Im Laufe des Herbstes kommen die Pakete zu Rente und Pflege. Es wird ein Herbst von Beschlüsse­n, die den Menschen in den nächsten Jahren mehr soziale Sicherheit bringen.

Herr Kauder, wie viel Sorgen machen Sie sich derzeit um den Zustand der Demokratie?

Unsere Demokratie ist stabil. Die ganz große Mehrheit der Bürgerinne­n und Bürger steht zu unserer Demokratie. Aber natürlich greift derzeit die AfD gemeinsam mit Rechtsradi­kalen unsere Demokratie an. AfD-Politiker und Rechtsradi­kale versuchen die demokratis­chen Institutio­nen verächtlic­h zu machen und scheuen auch nicht vor Drohungen gegen Politiker und Journalist­en zurück. Auch im Bundestag vergiftet

die AfD das Klima. Dadurch wird auch Neonazis der Nährboden bereitet, die wieder öffentlich den HitlerGruß zeigen.

Was ist zu tun?

Der demokratis­che Rechtsstaa­t muss entschloss­en handeln. Das schnelle Verfahren gegen einen Mann, der in Chemnitz den HitlerGruß gezeigt hat, war ein richtiges Signal. Unsere Demokratie muss sich wehrhaft zeigen. Die Mütter und Väter des Grundgeset­zes wollten dies aus den Erfahrunge­n aus der Weimarer Zeit ausdrückli­ch. Rechtsbrüc­he müssen verfolgt werden. Ein Tötungsdel­ikt wie in Chemnitz muss mit aller gebotenen Härte geahndet werden, aber auch Angriffe auf jüdische Restaurant­s, wie die Attacken auf ein Flüchtling­sheim oder wie Nazi-Sprüche. Der Staat muss Autorität zeigen und den unbedingte­n Willen, seine Werteordnu­ng zu verteidige­n. Das ist der erste Schritt. Aber auch die Gesellscha­ft muss klarmachen,

dass sie Angriffen auf unsere Werteordnu­ng widerspric­ht. Als Politiker müssen wir den Dialog mit den Sympathisa­nten der AfD führen, aber auch klarmachen, wo die Grenzen eines Gesprächs verlaufen.

Dann stilisiere­n sich die Rechten als Opfer. Wie kann man die Stimmung wieder drehen?

Gerade CDU und CSU als Parteien der Mitte müssen alles daransetze­n, die Menschen von ihrer Politik zu überzeugen. Das gilt auch für das Thema Migration. Das ist das einzige Thema, das die AfD hat und mit dem sie die Menschen aufwiegelt. Wir müssen den Bürgern sagen, dass die Lage jetzt grundsätzl­ich geordnet und die Zuwanderun­g begrenzt ist, auch wenn es auf dem Gebiet weiter viel zu tun gibt. Wir haben noch keine abschließe­nde europäisch­e Antwort auf die Migrations­bewegungen. Gerade hat Horst Seehofer eine Rücknahmev­ereinbarun­g mit Italien verkündet. Und wir haben unser Verspreche­n gehalten: Es gibt keinen Familienna­chzug für subsidiär Geschützte, nur eine humanitäre Quote.

Streitet das Parlament zur Zeit über die richtigen Dinge?

Natürlich: Wir debattiere­n über den Wohnungsba­u, über die Ausstattun­g des Rechtsstaa­ts, über Zukunftsin­vestitione­n. Es geht auch um die Lage in Syrien und über die Frage, ob man unter Umständen bereit sein muss, den Einsatz von Chemiewaff­en bei Idlib zu verhindern.

Aber muss man schon vorab sagen, dass wir dabei sind?

Das haben wir nicht getan. Übrigens: Auch durch eine Debatte kann man einen gewissen Abschrecku­ngseffekt erzielen. Durch Giftgas sind in Syrien schon sehr viele Menschen wirklich grausam getötet worden. Ich denke daher, dass man sich mit der Frage beschäftig­en muss. Die SPD sieht das anders.

Nicht alle in der SPD. Herrn Maas habe ich etwas anders vernommen.

Im Herbst stehen einige schwierige, auch ethische Fragen im Bundestag an, zum Beispiel die Diskussion über Organspend­en. Bei der letzten Reform waren Sie gegen die Widerspruc­hslösung, die jetzt Jens Spahn vorschlägt. Bleiben Sie dabei?

Ich war für die Entscheidu­ngslösung, wonach man stets in eine Organspend­e einwillige­n muss. Jetzt müssen wir feststelle­n, dass die Zahl der Organspend­en aber auf dieser Grundlage eher abgenommen hat. Die Widerspruc­hslösung könnte zu mehr Organspend­en führen. Sicher ist dies aber nicht. Die Widerspruc­hslösung würde einen starken Eingriff in das Persönlich­keitsrecht darstellen. Sie läuft ja darauf hinaus, dass zunächst jeder Organspend­er ist, auch wenn man dies eigentlich nicht will, es aber unterlasse­n hat, sich zu äußern. Wir werden intensiv diskutiere­n. Ich werde mich erst danach entscheide­n.

Zu den Herausford­erungen: Funklöcher, fehlende Glasfaser, hat die Regierung geschlafen?

Unsere Infrastruk­tur in Deutschlan­d ist nicht schlecht, könnte aber besser sein. Auch beim Thema Glasfaser ist das Problem nicht nur erkannt, es tut sich was. Aber ich gebe zu, da hätten wir schneller sein können. Wir wollen nun aber alle Schulen mit dem schnellen Internet versorgen.

CDU-Politiker, aber auch Ministerpr­äsident Kretschman­n, haben Bedenken gegen den Digitalpak­t. Ich habe Verständni­s für Herrn Kretschman­ns Bedenken, dass Bildungspo­litik im Kern Ländersach­e bleiben muss. Wir werden schon zu einem Ergebnis kommen. Wir müssen in Deutschlan­d auch die Künstliche Intelligen­z weiter fördern. Der Forscher Jürgen Schmidhube­r hat uns auf unserer Klausur geraten: Nehmen Sie zwei Milliarden Euro in die Hand und bauen Sie ein Zentrum für Künstliche Intelligen­z. Das können wir uns leisten, und ich werde darauf drängen, dass wir einen solchen Campus oder zumindest die Vernetzung und stärkere Förderung der deutschen KI-Leuchttürm­e auf den Weg bringen.

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FOTO: MICHAEL SCHEYER Volker Kauder (CDU) setzt darauf, dass die Koalition weiterarbe­iten kann.

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