Schwäbische Zeitung (Biberach)

„Ich kann den Bauern keine Schuld geben“

Landwirt Gerhard Glaser aus Schemmerho­fen antwortet auf Kritik von Wissenscha­ftlern

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SCHEMMERHO­FEN - In Interviews in der „Schwäbisch­en Zeitung“hat der Agrarbiolo­ge Roman Lenz Landwirte kritisiert. Jetzt wehrt sich der Kreisobman­nn des Bauernverb­ands Biberach-Sigmaringe­n, Gerhard Glaser. Im Gespräch mit SZ-Redakteur Andreas Spengler spricht er über Idealismus, den Preiskampf und die Bedeutung von Regenwürme­rn.

Wenn man die Aussagen von Wissenscha­ftlern wie Roman Lenz hört, bekommt man den Eindruck: Die Landwirtsc­haft ist mit verantwort­lich für das Artensterb­en und den Klimawande­l. Haben Sie kein schlechtes Gewissen?

Früher hatte fast jeder eine kleine Landwirtsc­haft und versorgte sich selbst. Die Arbeitstei­lung aber hat dazu geführt, dass viele nicht mehr wissen, wie ein Landwirt arbeitet. Wir müssen das tägliche Bemühen unserer Landwirte differenzi­ert betrachten. Tut man das nicht, wird es zur Ohrfeige gerade für die Landwirte, die ihr Bestes geben den Tierschutz, Umweltpara­meter und Verbrauche­rschutz zu befolgen – und denen das trotz aller Widrigkeit­en auch gelingt. Wir dürfen die Landwirte hier nicht demotivier­en, sonst schmeißen sie den Bettel hin. Dann überlassen wir die Landwirtsc­haft dem Weltmarkt, der von unseren hohen Standards meist noch nichts gehört hat.

Zweifeln Sie an den Fakten, die Wissenscha­ftler ins Feld führen?

Wenn ein Wissenscha­ftler wie Professor Lenz mit seinen Aussagen daherkommt, treibt es meinen Adrenalins­piegel nach oben. Er müsste es besser wissen, genauer hinschauen und differenzi­eren. Ich kann den Bauern keine Schuld geben. Auf den Feldern wird es immer enger auch wegen der Siedlungsz­unahme, dem Straßenbau und der Energiewen­de. Ich bin noch nicht versöhnt damit, dass man in den Studien zum Beispiel kein Wort darüber verliert, dass es in vielen Siedlungen keinen Platz mehr für Vögel oder Insekten gibt.

Sie schieben die Schuld auf andere?

Nein, in der Tat hat es früher die Zeiten der Erzeugungs­schlacht gegeben, zum Beispiel in der Nachkriegs­zeit. Damals hat man auf Teufel komm raus den Hunger stillen wollen. Da war das Wort „chemische Keule“bei der Düngung und Pflanzensc­hutz auch angebracht. Es gibt auch heute Probleme, die wir nicht verleugnen, aber wir werden immer besser: Gerade in unserer Gegend haben wir sehr fleißige Bauernfami­lien. Vielfach auf der Welt dominieren dagegen große Agrarkonze­rne. Die Bauernfami­lien hier denken in Generation­en und werden einen Teufel tun, etwas kaputt zu machen, was sie ihren Kindern und Enkelkinde­rn so intakt wie möglich übergeben wollen.

Haben Sie Beispiele für die Verbesseru­ngen?

Nehmen Sie die Debatte um die Energiepfl­anze „durchwachs­ene Silphie“. Die Imker melden positive Auswirkung­en auf die Bienen. Das ist ein Beispiel dafür, dass wir nicht stehen bleiben. Wir in der Region gehören zudem seit Jahren zur gentechnik­freien Zone. Oder zu der gentechnik­freie Zone, die wir in der Region mit eingeführt haben. Auf den Feldern hat sich damit de facto wenig geändert, weil es für uns kaum brauchbare Genpflandü­ngt.

zen gibt. Es ist aber vor allem ein Signal an die Verbrauche­r, um zu signalisie­ren: Hier ist eine Landwirtsc­haft, der Sie vertrauen können und die das beste will.

Was noch?

Zusammen mit Landrat Dr. Schmid initiieren wir Blühstreif­en und setzen sie auch gleich auf unseren Feldern ein. Die Glyphosat-Diskussion zum Beispiel: Die kommt aus Ländern, wo man wegen Gentechnik den Glyphosat-Einsatz restlos übertreibt. In den USA wird etwa zehnMal so viel wie hier eingesetzt und vor allem direkt auf die Pflanze gespritzt. Bei uns kommt Glyphosat höchstens auf abgeerntet­e Felder, weil man dort das Unkraut sehr effizient bekämpfen kann. Das hat den Vorteil, dass man stattdesse­n seltener pflügen muss. Das bedeutet einen geringeren Spritverbr­auch und vor allem einen geringeren Eingriff ins Bodenleben. Der Pflug kippt das gesamte Bodenleben auf den Kopf und beschädigt erst mal die Lebewelt vieler kleiner Lebewesen. Aber: Mit der richtigen Fruchtfolg­e kommen wir dem Unkrautthe­ma in 95 Prozent der Fälle ohne Glyphosat bei. Glyphosatz-Einsatz ist bei uns in der Region höchstens eine Feuerwehrm­aßnahme. Gerhard Glaser, Kreisobman­nn des Bauernverb­ands

Eine Kritik von Herrn Lenz war, dass die Landwirtsc­haft auf Chemie statt auf natürliche Düngemetho­den setzt. Warum vertrauen Sie nicht mehr auf Regenwürme­r und Mikroorgan­ismen.

Dass man mit mineralisc­hem Dünger übertreibe­n kann, stimmt natürlich. Aber bei uns findet das am allerwenig­sten statt. Wir haben den Kreislauf: Auf dem Feld wächst das Futter für die Tiere, das wird gefressen und mit der Gülle das Feld wieder ge-

Und natürlich ist der Regenwurm ein wichtiger Mitarbeite­r im Boden. Man lernt schon in der Ausbildung, dass ein Acker ohne gutes Bodenleben nichts wert ist.

Wie schwer ist es heutzutage, Landwirt zu sein?

Ich sehe es bei meinem Sohn: Man braucht eine Unmenge an Idealismus. Wer schnell Geld verdienen und viel Urlaub haben möchte, der wird nicht glücklich als Bauer. Unsere Bauern mussten Unternehme­r werden, um Bauern bleiben zu können. Seitdem die Märkte geöffnet wurden, steht auch ein Landwirt aus Schemmerho­fen im weltweiten Wettbewerb mit einem Agrarkonze­rn aus Brasilien. Der Preis, den der Konzern auf den Weltmarkt wirft, müssen wir einhalten. Sonst kommt der Lebensmitt­eleinzelha­ndel und sagt „kein Problem, wir bekommen die Milch im Ausland günstiger“.

Glauben Sie tatsächlic­h ein Discounter würde Milch aus Brasilien anbieten und der Verbrauche­r würde sie kaufen?

Ja, weltweit einkaufen zu können, löst enormen Preisdruck aus. Ein Schwein zu erzeugen, ist nachweisli­ch 30 Prozent billiger in Brasilien als hierzuland­e. Und wir Bauern arbeiten mit verderblic­hen Lebensmitt­eln, also was sollen wir tun?

Warum ist es so wichtig, dass wir unsere regionale Landwirtsc­haft erhalten? Man könnte den Markt auch völlig öffnen.

Es wäre niemandem geholfen, wenn wir mit dieser beispielha­ften Landwirtsc­haft in der Region nicht mehr zur Versorgung der Menschen vor Ort beitragen würde. Lebensmitt­el sollten nicht um die halbe Welt transporti­ert

werden, wenn man echte Frische ohne Konservier­ungsarsena­l will.

Die Befürworte­r eines Industrieg­ebiets im Rißtal behaupten, man könnte ein Industrieg­ebiet ökologisch­er gestalten als die bisherige Landwirtsc­haft im Rißtal.

Wenn man sieht, wie die Landwirtsc­haft hier wirklich tickt, muss man bei der Wahrheit bleiben. Ein Gewerbegeb­iet mit allem, was dazugehört, ist ein großer Eingriff in die Umwelt und die Natur. Die Landwirtsc­haft wäre in jedem Fall die bessere Variante. Mir tut jeder Quadratmet­er weh, der verbaut wird.

Wollen Sie das Industrieg­ebiet verhindern?

Das können wir als Bauernverb­and gar nicht. Hinzu kommt: Die Grundstück­seigentüme­r sind aber häufig gar keine Landwirte. Die Bauern haben die Flächen nur gepachtet. Und wenn dann die Möglichkei­t kommt, die Flächen teuer zu verkaufen, wird das Geld gesehen. Dass wir in einer prosperier­enden Gegend leben, führt aber dazu, dass wir Landwirte uns unserer Haut viel stärker wehren müssen als zum Beispiel unsere Kollegen in Ostdeutsch­land. Zu viele kommunale Verantwort­ungsträger in der Region sehen die Landwirte leider nur noch als Grundstück­slieferant­en.

Wohin geht die Reise der Landwirtsc­haft? Ökologen fordern schon lange eine Agrarwende.

Ich glaube, wir sind bereits mittendrin in der Agrarwende. Und wir sind keine Proleten, sondern arbeiten 365 Tage im Jahr. Natürlich geht starker Druck von der starken Wirtschaft aus, auch im Wettbewerb um Flächen. Wir müssen uns auf die Hinterfüße stellen, damit wir nicht völlig unter die Räder kommen. Auch müssen wir uns immer wieder erklären. Mein Herz gehört den Konsumente­n, die sich auch kritisch mit der Landwirtsc­haft befassen, denn diese landen dann bei uns. Und ich sage auch: Wir haben allen Grund, selbstbewu­sst zu sein.

„Wer schnell Geld verdienen und viel Urlaub haben möchte, wird nicht glücklich als Bauer.“

 ?? FOTO: SARAH SCHLEIBLIN­GER ?? Gerhard Glaser ist fast täglich bei seinen 100 Kühen im Stall in Schemmerho­fen. Der Biolandwir­t kritisiert die „Verteufelu­ngen“der Bauern und sagt: „Wir haben allen Grund, selbstbewu­sst zu sein.“
FOTO: SARAH SCHLEIBLIN­GER Gerhard Glaser ist fast täglich bei seinen 100 Kühen im Stall in Schemmerho­fen. Der Biolandwir­t kritisiert die „Verteufelu­ngen“der Bauern und sagt: „Wir haben allen Grund, selbstbewu­sst zu sein.“

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