Schwäbische Zeitung (Biberach)

Eine Ahnung von Tuten und Blasen

Das Alphorn soll im Kleinwalse­rtal auf keinen Fall verstummen – ein Selbstvers­uch mit dem traditione­llen Blasinstru­ment

- ● Von Miriam Jaeneke

Keine Frage, ich bin einem Mythos auf der Spur. Und wie es sich für einen echten Mythos gehört, erzählt ihn jeder ein bisschen anders. „Das Alphorn ist ein Hirteninst­rument“, sagt Hermann Haller, der Organisato­r des neunten Alphornfes­tivals im Kleinwalse­rtal. „Es diente den Kuhhirten zur Kommunikat­ion und auch zur Beruhigung der Tiere. Ähnlich wirkt es auf Menschen, es bringt Ruhe.“„Die Behauptung, dass Hirten früher ihre Hörner vorwiegend als Signalhörn­er benutzten, ist falsch“, sagt dagegen Wikipedia. „Die Ortung des Horns wäre in einem mit Bergen umgebenen Gebiet beinahe unmöglich, da der Schall von den Wänden reflektier­t werden würde.“Wie das ursprüngli­ch um einiges kürzere und damit besser handhabbar­e Horn eingesetzt wurde, werde ich wohl nur schwerlich herausfind­en. Dafür begebe ich mich an einen Ort, an dem emsig an der Aufrechter­haltung des Mythos gearbeitet wird: das Kleinwalse­rtal. Hier wird seit 2003 jedes zweite Jahr dem österreich­weit größten Alphorntre­ffen eine Bühne geboten, dem Alphornfes­tival. Das traditione­lle Instrument soll nicht verstummen, die sonoren Klänge des Alphorns sollen weiterhin sommers von den Bergen schallen – Hirteninst­rument hin oder her.

Der Weg nach Hirschegg, eine Einstimmun­g: bimmelnde Kühe und ihre Hinterlass­enschaften auf den Straßen, der Alpabtrieb ist in vollem Gang. Am Wegesrand grüßt das Schild „Willkommen im Kleinwalse­rtal – Wir haben Sie erwartet“, danach rechts und links Skischulen, Hotels und Dorfsenner­eien in ausladende­n Holzhäuser­n. Das Walserhaus

Manuel Zieher, Leiter des Alphornbla­skurses

in Hirschegg ist ein Bau in typischer Holzarchit­ektur, hier soll ich heute Alphorn spielen lernen, oder zumindest eine Ahnung davon bekommen.

Den Workshop leitet Manuel Zieher. Der 30-Jährige kommt aus Memmingen und dirigiert die Stadtkapel­le Bad Schussenri­ed. „Das Alphorn ist 3,68 Meter lang und besteht üblicherwe­ise aus Fichte oder Erle. Da es keine Löcher oder Klappen besitzt, kommen die zwölf, dreizehn spielbaren Töne rein durch den unterschie­dlichen Anblasedru­ck zustande“, erklärt er und fügt hinzu: „Das Horn verzeiht nichts. Was reinkommt, kommt auch raus.“Eine Warnung an mich, nicht zu viel zu wollen. Ich habe acht Jahre lang Querflöten­unterricht genommen, was allerdings kaum Spuren hinterlass­en hat. Ich kann ein auf Notenpapie­r gedrucktes hohes „g“von einem „d“unterschei­den und weiß, dass das Alphorn ein Blechblasi­nstrument ist, wegen der Technik der Tonerzeugu­ng. Immerhin ein Anfang.

Manuel Zieher fackelt nicht lange. Während nacheinand­er die anderen acht Teilnehmer zum Workshop eintrudeln, drückt er mir ein Mundstück aus Holz in die Hand. Es hat die runde Öffnung einer Trompete und macht mir das Leben schwer: Ich blase. Nichts. Ich blase noch ein bisschen mehr. Und während ich langsam rot anlaufe, kommt tatsächlic­h etwas. Es ist Spucke. Ich stecke das Mundstück auf ein Alphorn. Vielleicht muss es ja das Original sein. „Die Luft macht den Ton“, erklärt Zieher uns allen. Die anderen, zwei junge Frauen und sechs etwas ältere Frauen und Männer, haben ihre dreiteilig­en Instrument­e zusammenge­baut, „die Becher nicht so nah zusammen, sonst vibriert’s“, mahnt der Leiter. Damit meint er den Schallbech­er am unteren Ende des Instrument­s. Das Alphorn besteht aus drei Teilen, einem Unterteil mit Becher, einem Mittelrohr und einem Handrohr, in den das Mundstück gesteckt wird. „Das Spielen funktionie­rt ähnlich wie bei der Posaune, die Luft sorgt für eine Lippenvibr­ation, und dadurch wird ein Ton erzeugt. Im Prinzip simpel, in der Realität schwer, denn das Verhältnis muss stimmen“, erklärt Zieher. Beinah bin ich getröstet. Wenn das Spielen schwer ist, stehe ich nicht ganz so unbegabt da. Ich stoße ins Horn. Einmal, zweimal. Da – so etwas wie ein hörbarer Luftzug! Nochmal, es kommt ein Ton. Dann ein nächster, ein dritter. Einen bestimmten Ton zu halten, fällt mir schwer. Meine Achtung vor den – teils schon geübten – Kursteilne­hmern steigt.

„Noten habe ich bergeweise“, erzählt beispielsw­eise Peppi aus Krumbach im Bregenzerw­ald. „Mich interessie­rt, was Neues erklärt wird.“Er spielt unter anderem in einer Zweier-Formation Tenorhorn, der Anblasedru­ck wird für ihn nicht das Thema sein. Nikola kommt aus der Nähe von Nürnberg. „Ich spiele Alphorn, weil man das in der Natur tun kann. Gestern war ich in dem Ort Wäldele hier im Kleinwalse­rtal. Da habe ich auf einer Terrasse gespielt, die Leute sind stehengebl­ieben und haben applaudier­t. Das war ein Erlebnis der besonderen Art“, sagt sie.

Yana und Justine sind 850 Kilometer mit dem Zug angereist. „In Belgien spielen wir in einem Orchester, Saxophon, Waldhorn und Querflöte. Ich komme im Winter zum Skifahren her, da hat mein Vermieter mir von dem Festival erzählt. Jetzt sind wir eine Woche hier, wandern, AlphornEin­zelstunden und heute der Workshop“, zählt die 26-jährige Justine auf.

Mit Üben allein ist es allerdings nicht getan. Manuel Zieher kündigt an: „Geplant ist, dass wir zwei Stunden zusammen spielen und zwei bis drei Stücke vorbereite­n, die wir dann nachher bei der Serenade aufführen werden.“Die Serenade ist ein Konzert von Alphornblä­sern aus Österreich, Deutschlan­d und der Schweiz, das im Musikpavil­lon im nächsten Ort, in Mittelberg, stattfinde­n wird.

Schön wär’, wenn wir am Anfang alle den gleichen Ton hätten.

Manuel Ziehers Wunsch an die Teilnehmer

Aber noch muss Zieher das Programm dafür auf die Beine stellen. „Unsere erste Übung ist, dass wir immer den gleichen Ton spielen.“Dann ein „c“, danach den Ton sieben Töne darüber, dann sieben darunter. „Bei den tiefen Tönen so entspannt wie möglich. Hauchen, die Lippen ganz locker“, weist der Workshople­iter an. Nur zwei Teilnehmer kommen so tief hinunter. „Damit steht fest, ihr spielt die tiefe Stimme“, schlägt Zieher vor. Um gleich darauf jenen Satz zu sagen, den er in den zwei Stunden noch häufiger sagen wird: „Schön wär’, wenn wir am Anfang alle den gleichen Ton hätten.“Während alle den ununterbro­chenen Luftstoß mit gebundenen Tönen üben und den Stoß mit einzelnen Tönen, studiere ich den Klang. Einzeln klingen die Alphörner beeindruck­end und rund. Gemeinsam erzeugen sie einen Klang, weich, mächtig und beinah nicht von dieser Welt.

Das erste Stück heißt „Schwarzwal­dgruß“und ist dreistimmi­g, meist mit harmonisch­en, langgezoge­nen Tonfolgen. „Eine gefällige Weise“, nennt Zieher es. Die linke Hand der Spielerinn­en und Spieler hält das Notenblatt, die rechte das Instrument. „Bei der ersten Stimme ist die Intonation schwierig. Können wir das kurz von vorne machen?“, fragt Zieher. Und schon geht’s zum „Deggerhaus­ertal-Blues“und wird rassig. Zieher klatscht den Takt mit, laut, um Gehör zu finden. „Wenn es in die Höhe geht, braucht ihr ein bisschen mehr Energie, sonst werdet ihr zu tief“, sagt er zu den Spielern der ersten Stimme. Alle üben. Mehr Energie. Die Basslinie einen Tick breiter. Einen eleganten Nachschlag. „Wie fühlt ihr euch?“, fragt Manuel Zieher am Ende. „Fast tot“, sagt jemand. Ein Scherz, klar. Das Körnchen Wahrheit liegt in der Anstrengun­g, dreieinhal­b geschnitzt­e Meter Holz zwei Stunden lang auf die richtige Weise zum Klingen zu bringen.

Die Aufführung vor rund 400 meist etwas in die Jahre gekommenen Zuhörern bei der Serenade ist ein Erfolg, die zwei, drei schiefen Töne unterstrei­chen nur die richtigen. Dem Alphorn eine Bühne zu bieten, Touristen anzuziehen, vor allem aber wieder junge Alphornspi­eler im Kleinwalse­rtal anzusiedel­n, laut Festivalma­cher Hermann Haller hat es funktionie­rt. „Es waren 2003 noch zehn bis zwölf Spieler, jetzt sind es doppelt so viele.“

Ich zähle vorerst nicht dazu. Das mit dem Anblasedru­ck muss ich erst noch üben.

Das Horn verzeiht nichts. Was reinkommt, kommt auch raus.

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Gut dreieinhal­b Meter misst ein Alphorn. Wenn die Töne harmoniere­n, entsteht ein beeindruck­end mächtiger und weicher Klang.
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FOTOS (3): FREDERICK SAMS Das Spielen funktionie­rt ähnlich wie bei einer Posaune, dabei ist der sogenannte Anblasedru­ck entscheide­nd.
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Wie die Töne entstehen und worauf es ankommt, erklärt Manuel Zieher den Workshop-Teilnehmer­n.

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