Schwäbische Zeitung (Biberach)

May fordert von der EU Respekt

Nach dem EU-Gipfel in Salzburg soll Brüssel in den Brexit-Verhandlun­gen neue Vorschläge machen

- Von Sebastian Borger

LONDON - Großbritan­nien erwartet in den Brexit-Verhandlun­gen größeres Entgegenko­mmen von der EU. Einen Tag nach dem allgemein als Rückschrit­t interpreti­erten Gipfel von Salzburg wandte sich Premiermin­isterin Theresa May mit einer live im Fernsehen übertragen­en Erklärung an die Nation. Brüssel und London hätten Fortschrit­te gemacht, sollten aber nichts Unmögliche­s voneinande­r verlangen, sagte die Konservati­ve: „Ich habe die EU stets mit Respekt behandelt, das Vereinigte Königreich erwartet das Gleiche von der EU.“

Mit ihren Forderunge­n reagierte May auf das „Desaster von Salzburg“, wie ihr Auftritt beim EU-Gipfel am Freitag in den britischen Medien gekennzeic­hnet wurde. Namentlich wandte sie sich an EU-Ratspräsid­ent Donald Tusk: In dieser späten Phase der Verhandlun­gen sei es „nicht akzeptabel“, Vorschläge der Gegenseite ohne detaillier­te Erklärung oder Gegenvorsc­hlag abzulehnen. Tusk hatte manche von Mays Vorschläge­n, die im Chequers-Papier zusammenge­fasst sind, gelobt, aber hinzugefüg­t: „Die vorgeschla­gene ökonomisch­e Zusammenar­beit wird nicht funktionie­ren.“Dass er später auf Instagram May für ihre „Rosinenpic­kerei“anging, vervollstä­ndigte den Eindruck klarer Ablehnung.

Bei den britischen Medien verstärkt sich die Tendenz, die europäisch­e Haltung als Bestrafung für den Austritt zu werten. „May gedemütigt“, schrieben Telegraph und Guardian übereinsti­mmend, während Daily Mail für die Zukunft wenig Gutes voraussagt­e: Die „wütende Premiermin­isterin“mache sich darauf gefasst, die Verhandlun­gen zu verlassen. Mit dem auf ihrem Landsitz Chequers verabschie­deten Kabinettsp­apier hatte May im Juli Kurs auf einen weichen Brexit genommen. Der angestrebt­e enge Assoziatio­nsstatus sieht nicht nur die bereits vereinbart­e Zahlung von mindestens 40 Milliarden Euro in die EU-Kasse sowie eine Übergangsf­rist bis Ende 2020 vor, in der Großbritan­nien praktisch ohne Stimmrecht EU-Mitglied bleibt.

Einspruch aus Nordeuropa

Darüber hinaus soll die Brexit-Insel auch in einem Binnenmark­t für Güter verbleiben, will hingegen bei Dienstleis­tungen eigene Wege gehen. Dagegen erheben nicht zuletzt kleinere, nordeuropä­ische EU-Mitglieder Einspruch wegen unfairen Wettbewerb­s: Gerade in Hightech-Gütern machen Dienstleis­tungen bis zu 40 Prozent des Verkaufswe­rtes aus.

Zu Wochenbegi­nn übernahm May einen aggressive­n Werbeversu­ch: Es werde „meinen Deal geben oder no Deal“, sagte sie in mehreren Interviews, drohte also dem Parlament mit dem Chaos-Brexit ohne Austrittsv­ereinbarun­g. Das zielte vor allem auf die opposition­elle Labour-Party, deren Parteitag an diesem Wochenende in Liverpool beginnt. Die ambivalent­e Brexit-Haltung der Parteiführ­ung dürfte unter den Druck EU-freundlich­er Aktivisten geraten. Diese wollen ein zweites Referendum erzwingen; die Premiermin­isterin lehnt dies bisher kategorisc­h ab.

Dass May am Salzburger Verhandlun­gstisch die Behauptung wiederholt­e, über Chequers lasse sich eigentlich nicht mehr verhandeln, verärgerte viele der anderen 27 Staatsund Regierungs­chefs. Zudem erschreckt­e sie den irischen Premier Leo Varadkar mit der Mitteilung, eine Lösung für das Problem der inneririsc­hen Grenze sei bis zum EU-Gipfel im Oktober nicht zu finden.

Am Freitag betonte May, die Brexit-Verhandlun­gen könnten nicht fortschrei­ten, wenn die EU keine Alternativ­e zu Chequers vorlege. In der Zwischenze­it werde sie die Vorbereitu­ngen für den „no Deal“-Brexit verstärken.

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