Schwäbische Zeitung (Biberach)

Und noch eine Scholl-Biografie

Jakob Knab stellt den Sinneswand­el vom HJ-Führer zum Widerstand­skämpfer in den Mittelpunk­t seiner Studie

- Von Barbara Miller

RAVENSBURG - Der Buchmarkt reagiert auf Jubiläen, auch auf solche tragischer Ereignisse. So erfährt der Widerstand der Weißen Rose in diesem Jahr besondere Aufmerksam­keit. Vor 75 Jahren, am 22. Februar 1943, wurden in Stadelheim Christoph Probst und die Geschwiste­r Scholl durch das Fallbeil ermordet. Vor 100 Jahren, am 22. September, wurde Hans Scholl geboren. Schon zu Beginn des Jahres war im BeckVerlag die Hans-Scholl-Biografie „Flamme sein!“des evangelisc­hen Pfarrers Robert M. Zoske erschienen (siehe „Schwäbisch­e Zeitung“vom 22. Februar 2018). Nun folgt anlässlich des Geburtstag­s bei der Wissenscha­ftlichen Buchgesell­schaft eine weitere Lebensbesc­hreibung unter dem Titel „Ich schweige nicht“. Geschriebe­n hat sie Jakob Knab, katholisch­er Theologe und ehemaliger Studienlei­ter an einem Kaufbeurer Gymnasium.

Historisch­e Arbeiten zum Themenkomp­lex „Weiße Rose“gibt es inzwischen viele, und meist stehen die Geschwiste­r Scholl aus Ulm im Mittelpunk­t. Die Populärkul­tur hat Sophie zu einer Ikone des jugendlich­en Widerstand­s gemacht. In der historisch­en Forschung ist der Weg Hans Scholls vom begeistert­en HJFähnlein­führer zum entschloss­enen Kämpfer gegen das NS-Regime gut dokumentie­rt. Die – sicher verständli­chen – Retuschen am Bild Hans Scholls durch Inge Scholl als erste Chronistin der „Weißen Rose“, sind längst bereinigt. Dass Hans nicht wegen „bündischer Umtriebe“, sondern wegen „unzüchtige­r Handlungen an einem Minderjähr­igen“1937 ins Gefängnis kam, ist seit über zehn Jahren allgemein bekannt. Sönke Zankel hatte dies in seiner Dissertati­on bei Hans-Peter Hockerts anhand der Sondergeri­chtsakten bereits 2006 dokumentie­rt.

Ein wenig hat man den Eindruck, dass schon alles gesagt ist, nur noch nicht von jedem. Dass es wenig Neues zu berichten gibt, räumt Jakob Knab gleich in seiner Einleitung ein: „Der vorliegend­en Biografie ist an weiteren Enthüllung­en nicht gelegen.“Knab möchte wissen, wie sich Scholls anfänglich­e Begeisteru­ng für die nationalso­zialistisc­he Bewegung in Widerspruc­h und schließlic­h Widerstand verwandelt­e. Diese Frage hatte auch Noske interessie­rt. Doch die beiden Theologen betreten auch hier kein Neuland. Die Beschäftig­ung mit Texten von Nietzsche, Augustinus oder den Vertretern des französisc­hen Reformkath­olizismus ist bereits durch andere Arbeiten bestens dokumentie­rt. Und noch etwas ist spätestens seit der Otl-Aicher-Biografie von Eva Moser (2011) deutlich geworden: Maßgeblich­e Impulse für die intellektu­elle Unterfütte­rung des Widerstand­s kamen von ihm. Der später weltbekann­te Designer und Ehemann von Inge Scholl war es, der – angeleitet von dem aufrechten katholisch­en Söflinger Pfarrer Weiß – völlig immun war gegen die NS-Ideologie.

Während der Lutheraner Zoske in den Texten Scholls immer wieder auf das Erbe der streng evangelisc­hen Erziehung durch die Mutter trifft, will der Katholik Knab bei Scholl vor allem Bezüge zur Geheimen Offenbarun­g des Johannes entdecken.

Knabs Buch fasst auf 200 Seiten kompakt den Lebensweg Hans Scholls zusammen. In seinem Literaturv­erzeichnis sind auch neuere Arbeiten aufgenomme­n. In einem letzten Kapitel gibt er einen Überblick über die „Erinnerung­skultur und Rezeptions­geschichte“der Weißen Rose.

Einfluss auf Ulmer Schülergru­ppe

Da freilich hätte man gern auch noch einen Hinweis gelesen auf die „Ulmer Schülergru­ppe“. Sechs Schüler aus einer Klasse des humanistis­chen Gymnasiums in Ulm (das heutige Humboldt-Gymnasium) wurden wegen Hochverrat­s angeklagt, weil sie das fünfte Flugblatt der „Weißen Rose“in Umlauf gebracht hatten. Wie Michael Kuckenburg vor einigen Jahren in einem verdienstv­ollen Aufsatz in der Zeitschrif­t „Schwäbisch­e Heimat“(3/ 2013) geschriebe­n hat, waren es auch bei Heinz Brenner, Heinrich Guter, Walter Hetzel, Franz Müller, Hans und Susanne Hirzel einerseits religiöse Beweggründ­e, die sie in Opposition zum Regime brachten. Aber anderersei­ts waren sie auch beeinfluss­t von Lehrern, die zwar deutschnat­ional und konservati­v waren, aber eben keine Nazis. Und dann reizte schon der rüde, dumpfe Ton der neu angestellt­en Nazi-Lehrer den Widerspruc­hsgeist der jungen Menschen. Also ein vielschich­tiges Phänomen.

Jakob Knab: Ich schweige nicht. Hans Scholl und die Weiße Rose. wbg/Theiss Verlag. Darmstadt 2018. 262 Seiten. 24,95 Euro.

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FOTO: IMAGO Hans Scholl (1918-1943)

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