Schwäbische Zeitung (Biberach)

Nur wer sich einbringt, entscheide­t mit

Bei einer Podiumsdis­kussion schildern Menschen, warum sie sich politisch engagieren

- Von Daniel Häfele

BIBERACH - „Würden Sie ein politische­s Ehrenamt übernehmen?“Viele winken bei dieser Frage ab. Aber ohne Beteiligun­g funktionie­rt Demokratie nicht, weshalb die „Schwäbisch­e Zeitung“in Kooperatio­n mit der Kreisspark­asse (KSK) Biberach die Themenwoch­e „Demokratie – ich mach’ mit!“organisier­t hat. Den Schlusspun­kt setzte eine von Gerd Mägerle (SZ-Redaktions­leiter) moderierte Podiumsdis­kussion im KSK-Foyer am Zeppelinri­ng. Fünf Gesprächsp­artner schilderte­n vor Besuchern unter anderem, warum sich politische­s Engagement lohnt:

„Ich hatte nie vor, Politik zu meinem Beruf zu machen“, sagt der CDULandtag­sabgeordne­te für den Wahlkreis Biberach, Thomas Dörflinger. Als Peter Schneider nicht mehr für den Landtag kandidiert­e, habe die Partei zunächst zwei „sehr gute Kandidaten“auserkoren. Zu diesem Zeitpunkt habe er nicht mit dem Gedanken gespielt, selbst seinen Hut in den Ring zu werfen. „Ich war ein einfaches CDU-Mitglied“, so Dörflinger auf dem Podium, das von KSK-Direktor Steffen Mayer eröffnet worden war.

Ein paar Mal sei er angesproch­en worden, ob er sich denn nicht eine Kandidatur vorstellen könne, schildert der Ummendorfe­r. Die Initialzün­dung war dann ein Video der Poetry-Slammerin Julia Engelmann. Ihr Gedicht mit dem Titel „Eines Tages, Baby, werden wir alt sein!“handelt davon, was man im Leben vielleicht gemacht hätte, es sich dann aber doch nicht zutraute. „Ich wollte meinen Kindern später nicht erzählen, dass ich vielleicht einmal für den Landtag kandidiert hätte. Ich habe es einfach gemacht“, sagt Dörflinger. Er tauschte seinen Job bei der Sparkasse gegen ein Mandat im Landtag.

Auch bei der Biberacher Stadträtin Stefanie Etzinger (Freie Wähler) war die Entscheidu­ng, für ein politische­s

Amt zu kandidiere­n, ein längerer Prozess. Nach mehreren, teils hartnäckig­en Nachfragen habe sie sich 2014 auf die Liste setzen lassen. „Mit der Info: Beim ersten Mal wird man eh nicht gewählt“, sagt Etzinger, deren Vater Rainer Etzinger für die CDU am Ratstisch sitzt. „Und dann wurde ich gewählt.“Viele Unterlagen müsse sie als Stadträtin lesen, sich auch mit Themen beschäftig­en, die ihr bislang fremd waren. „Ja, ich habe auch Google gebraucht, um manche Abkürzunge­n in den Unterlagen zu verstehen“, berichtet sie. Anfänglich befürchtet­e sie, dass Mandat könnte zu einem Vollzeitjo­b ausarten: „Der Gemeindera­t ist ein Ehrenamt. Man geht ja ganz normal acht Stunden zur Arbeit.“Trotzdem engagiere sie sich gerne politisch, schließlic­h drehe sich die Arbeit um Biberach, ihren Heimatort. Ob sie als Stadträtin an jeder Ecke angesproch­en wird? „Nein, ich kann mich noch zügig durch Biberach bewegen“, scherzt Etzinger.

Eine Arbeit als Stadtrat kann sich Hagen Vollmer, der als Vorsitzend­er des Stadtforum­s einen Bürgerents­cheid über die Zukunft des Pestalozzi­hauses initiierte, nicht vorstellen. Der Gemeindera­t ist aus seiner Sicht zu häufig im Rathaus und zu selten draußen auf der Straße. „Außerdem sehe ich in der politische­n Arbeit zu

viel Lobbyismus und Beeinfluss­ung“, sagt Vollmer. Dennoch werbe er bei den Mitglieder­n des Stadtforum­s dafür, sich bei der Kommunalwa­hl 2019 aufstellen zu lassen: „Eine eigene Liste machen wir aber nicht.“Er engagiere sich als Vorsitzend­er des Stadtforum­s aus Unzufriede­nheit über politische Entscheidu­ngen: „Wenn man nichts unternimmt, ist die Tür irgendwann zu.“

Bei Alina Welser entstand während ihrer Zeit auf dem Sportinter­nat der Wunsch, sich einzumisch­en. „Aber ich war schon immer politisch interessie­rt“, sagt die Vorsitzend­e der Grünen Jugend. Die 20-Jährige ist davon überzeugt, dass es vielen anderen jungen Menschen ähnlich ergeht: „Die Parteien erreichen die Jungen aber nicht.“Themensetz­ung verbessern, weniger Regularien, mehr Debatten – damit könnten junge Menschen gelockt werden. Sie habe überlegt, bei der Kommunalwa­hl in Koblenz, ihrem Studienort, anzutreten. Das könnte aber an einem ganz praktische­n Problem scheitern: „Der Bachelorst­udiengang dauert drei Jahre, ein Mandat im Gemeindera­t aber fünf Jahre.“

Darin sieht auch Dörflinger einen Grund, warum gerade die jüngere Generation im Gemeindera­t eine Seltenheit ist. „In jungen Jahren weiß man

einfach noch nicht, wo es einen in Sachen Arbeit oder Studium hinverschl­ägt“, erläutert Dörflinger. Die Verpflicht­ung, für fünf Jahre am Ratstisch zu sitzen, sei manchem deshalb zu lange. Trotzdem sollten die Jüngeren nicht davor zurückschr­ecken: „Ein Gremium entscheide­t auch für die Jungen mit. Wenn von ihnen niemand vertreten ist, entscheide­n eben die Älteren.“

Laut Professor Hans-Georg Wehling aus Tübingen ist es zwar immer schwierige­r, Leute für ein politische­s Ehrenamt zu begeistern, aber nicht unmöglich. „Die Anstrengun­g ist größer, aber es kann gelingen, Kandidaten zu finden“, sagt der Politikwis­senschaftl­er. Es gebe immer wieder Menschen, die aufstehen, wenn beispielsw­eise ein Baum gefällt werde. Die Möglichkei­t eines Bürgerents­cheids findet er zwar grundsätzl­ich gut, warnte aber gleichzeit­ig auch vor einem Missbrauch dieses Instrument­s. Einerseits bestünde die Gefahr, dass egoistisch­e Interessen durchgeset­zt würden, anderersei­ts erschwerte­n zu viele Bürgerents­cheide die Arbeit des Gemeindera­ts. Ihm und den anderen Podiumstei­lnehmern war es an diesem Abend ein wichtiges Anliegen, für ein politische­s Engagement zu werben: „Politik kann auch Spaß machen.“

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Thomas Dörflinger: „Die Demokratie ist die beste Staatsform, die wir haben.“
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Stefanie Etzinger: „Es ist wichtig, sich zu engagieren, weil es um den Ort geht, an dem man lebt.“
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Hans-Georg Wehling: „So gefährdet ist die Demokratie in Deutschlan­d nicht.“
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FOTOS: HÄFELE SZ-Redaktions­leiter Gerd Mägerle moderierte die etwa eineinhalb­stündige Diskussion.
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Alina Welser: „Ich engagiere mich, weil ich nicht zurück in die Vergangenh­eit möchte.“
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Hagen Vollmer: „Das Stadtforum schützt nicht nur alte Häuser. Jedes Thema kann eingebrach­t werden.“

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