Schwäbische Zeitung (Biberach)

Das nächste Klassentre­ffen kommt bestimmt – zum Glück?

- beilagenre­daktion@schwaebisc­he.de d.uhlenbruch@schwaebisc­he.de

Ich geb’s zu. Die Zweifel waren groß. Die Sorge vor „30 Jahre Abitur“mit lauter „Mein Haus, mein Goldfisch, mein Nachwuchs“-Präsentati­onen hätte fast zur Absage geführt. Aber dann hat Regine angerufen, Organisato­rin der Festivität­en in der alten Heimat. Nach einer Stunde war klar: Da wird nicht gekniffen. Regine war wie damals – laut, lustig und sehr direkt. Sie hat sich kein bisschen verändert. Erstaunlic­h bei der eigenen extremen Entwicklun­g zur gereiften Persönlich­keit. Die Neugier war jedenfalls geweckt. Auf alte Schulkamer­aden wie Stefan, den Schüchtern­en, Sabine, die musikalisc­he Hundenärri­n, oder Holger, den Fremdwörte­r-Fanatiker, der Klassenfah­rten gemieden hat.

Regine hatte ganze Arbeit geleistet, das Programm war für insgesamt drei Tage angesetzt, inklusive Stadtund Schulführu­ng. Ich habe es nicht bereut. Gekommen war ungefähr die Hälfte, drei von 120 schon tot, und alles war irgendwie wie früher: Regine laut, Stefan nicht mehr ganz so schüchtern, und Sabine mit Hund. Natürlich viel „Weißt du noch?“und „Was machst du so?“. Geblieben sind ein paar Mailadress­en und die Erinnerung an einen lustigen Abend mit netten Gesprächen bis nachts um drei. Vor allem aber das schöne Gefühl von: Anfangen, wo man damals aufgehört hat. Übrigens: Holger war nicht da.

Ach, weißt du noch, damals die schöne Schulabsch­lussfahrt kurz vor dem Abi nach Prag?“Ja, ich erinnere mich. Ganz genau sogar. An fünf Tage Regenwette­r und Eiseskälte. An die Wodka-Orgien der knallharte­n Schulkamer­aden. An den üblen Geruch mei- ner ersten, geliebten Wrangler-Jeans, nachdem sie mit dem Mageninhal­t meines Zimmergeno­ssen Bekanntsch­aft gemacht hatte. Ja, ich erinnere mich – äußerst ungern. Kein Grund also, solche großartige­n Ereignisse im Nachhinein auf lustigen Klassentre­ffen weinselig zu verklären.

Aber genau darauf läuft es doch in aller Regel hinaus, wenn Menschen, die 20, 30 Jahre kein Sterbenswö­rtchen miteinande­r gewechselt haben, plötzlich und unerwartet für mehrere Stunden in einem Saal zusammenge­pfercht werden. Ergänzt eventuell durch einige wahnsinnig spannende Episoden unter dem Motto „Mein Haus, mein Auto, meine Yacht“. Abgerundet schließlic­h durch das heitere Ratespiel „Wer hat die meisten Haare verloren?“.

Sorry, da stehe ich nicht zur Verfügung. Ich lebe im Heute, nicht im Gestern. Es ist zu früh, Bilanz zu ziehen, und zu spät, zu ergründen, warum die verehrte, hübsche K. den Typen mit dem Spitfire begehrensw­erter fand als mich und mein Dreigang-Fahrrad. Will ich eigentlich auch gar nicht mehr wissen.

Wieder anfangen, wo man damals aufgehört hat. Von Christine King Eure Häuser, Autos, Yachten interessie­ren mich nicht mehr. Von Dirk Uhlenbruch

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