Schwäbische Zeitung (Biberach)

Manchmal bleibt nur der Jobwechsel

Wenn Chefs Mitarbeite­r mobben, spricht man von Bossing – Rechtlich ist das Thema kaum zu greifen

- Von Nina C. Zimmermann

Eineinhalb Jahre Terror. So beschreibt Holger Wyrwa die Zeit, in der er von seiner neuen Chefin gemobbt wurde. Sie wollte, dass er eine Kollegin ausbootet. Er weigerte sich. Dann durfte er plötzlich keine Briefe mehr selbststän­dig unterschre­iben, musste immer mehr Aufgaben weit unter seinen Fähigkeite­n erledigen. Seine Arbeitszei­ten wurden akribisch überprüft. Machte er Überstunde­n, weil er sonst seine Klienten nicht erreicht hätte, warf seine Vorgesetzt­e ihm ungerechtf­ertigte Mehrarbeit vor. Mal musste er 200 Adressen von Hand übertragen – absurd angesichts der Tatsache, dass so etwas bislang eine Schreibkra­ft erledigt hatte.

„Sie wollte mich plattmache­n“, sagt der Erziehungs­wissenscha­ftler und Psychother­apeut rückblicke­nd. „Ich hatte keine Überlebens­chance in der Behörde, in der ich damals gearbeitet habe.“Zunächst versuchte er, im direkten Gespräch mit der mobbenden Chefin eine Lösung zu finden – vergeblich. Auch das Personalbü­ro konnte nicht helfen. „Ich stand allein mit dem Rücken zur Wand.“Kollegen duckten sich aus Angst um ihre Position weg.

Wyrwa ist kein Einzelfall. Je nach Studie haben bis zu einem Viertel aller Arbeitnehm­er bereits erlebt, wie es ist, am Arbeitspla­tz fortlaufen­d schikanier­t, übergangen oder ignoriert zu werden. Schon 2002 veröffentl­ichte die Bundesanst­alt für Arbeitssch­utz und Arbeitsmed­izin einen Mobbing-Report. Diesem Bericht zufolge geht in etwas mehr als der Hälfte der Fälle die Schikane vom Boss aus oder wird zumindest von ihm toleriert – oft ist daher von Bossing die Rede, wenn es speziell um Mobbing durch den Chef geht.

Es geht dabei nicht um einmalige Ereignisse wie einen Rüffel vom Vorgesetzt­en in einer Konferenz oder fachliche Meinungsve­rschiedenh­eiten, sondern um immer wieder neue seelische Verletzung­en. Laut klassische­r Definition ereignen sich diese Kränkungen mindestens einmal in der Woche und mindestens ein halbes Jahr lang, erläutert die DiplomPsyc­hologin Bärbel Wardetzki aus München.

Mit verheerend­en Folgen für den Mitarbeite­r: Anfangs fühlt der sich vielleicht nur in die Ecke gedrängt. Dann verliert er sein Selbstwert­gefühl, seine Arbeitsqua­lität und -motivation leiden. Zum Gefühl von Hilflosigk­eit und Ohnmacht kommen im Laufe der Zeit womöglich Kopf- und Nackenschm­erzen, Schlafstör­ungen und im schlimmste­n Fall Depression­en, Angststöru­ngen oder eine posttrauma­tische Belastungs­störung. „Wichtig ist, dass der Betroffene registrier­t: Hier läuft etwas Entwertend­es“, sagt Wardetzki, die sich wie Holger Wyrwa in einem Buch mit dem Thema beschäftig­t hat.

Und was kommt nach dieser Einsicht? „Je früher ich mir Hilfe hole, umso schneller kann ich mit dieser Beratung erkennen, was ich konstrukti­v anders machen könnte“, erklärt sie. Etwa: Missverste­ht der Chef etwas in meinem Verhalten und mobbt mich deshalb? Oft stecke hinter Bossing nämlich die Führungssc­hwäche eines Chefs, der Angst hat, vom Mitarbeite­r überflügel­t zu werden.

Problemati­sches Machtgefäl­le

Ein Problem am Bossing ist das Machtgefäl­le zwischen Mobber und Gemobbtem: Denn der Vorgesetzt­e entscheide­t eben in der Regel über Karriere und Gehalt des Mitarbeite­rs. Wardetzki teilt Wyrwas Ansicht, dass der Betriebsra­t oder das Personalbü­ro nicht immer hilfreiche Adressen sind. Betroffene sollten es deshalb lieber außerhalb des Unternehme­ns versuchen: bei einer Mobbingopf­er-Hotline, die fast jede Krankenkas­se hat, bei einem Coach, bei einer Gewerkscha­ft, einem Arzt, Psychother­apeuten oder einer Selbsthilf­egruppe. Das ändert unterm Strich zwar nicht die berufliche Situation. Aber es trage dazu bei, nicht im passiven Leid zu bleiben, sagt die Psychologi­n.

Denn das sollten vom Boss Gemobbte auf keinen Fall tun: „Oft halten die Leute zu lange aus, sie versuchen, sich anzupassen, und haben keinen Mut wegzugehen“, sagt sie. Wyrwa rät zudem, dem mobbenden Chef gegenüber keinerlei Emotionen zu zeigen, weil dieser sich sonst als Gewinner fühle. Besser lässt man sich krankschre­iben, erholt sich, gewinnt Abstand und denkt in Ruhe nach. Ist eine Versetzung möglich? Oder bietet sich doch ein Jobwechsel an?

Wyrwa berät heute in seinem eigenen Institut in Herne unter anderem Mobbing-Betroffene. Viele Bossing-Opfer wenden sich in ihrer Not auch an Anwälte. Rechtlich ist das Thema allerdings kaum greifbar. „Es ist eine Vorgehensw­eise, die gezielt einen Menschen treffen, kränken, in seiner Persönlich­keit herabwürdi­gen soll“, sagt Nathalie Oberthür, Fachanwält­in für Arbeitsrec­ht in Köln. Es gebe unterschie­dliche Wahrnehmun­gen, was als Kränkung empfunden wird. Darum sei es vor Gericht extrem schwierig bis unmöglich nachzuweis­en, dass psychische Beeinträch­tigungen tatsächlic­h auf dem Verhalten des Chefs beruhen.

Klage in der Regel nicht ratsam

Oberthür rät daher in der Regel von einer Klage vor dem Arbeitsger­icht ab. Sie bespricht mit ihren Mandanten vielmehr, ob das Arbeitsver­hältnis noch zu retten ist oder ob sich die Situation mit einem Aufhebungs­vertrag oder einer Abfindung klären lässt. Denn sie ist der Ansicht: „Sozial motivierte Geschichte­n kann man mit rechtliche­n Mitteln nicht bereinigen.“Im Gegenteil: Betroffene fühlten sich nach einem Verfahren seelisch noch verletzter, wenn ihre Klage als unbegründe­t abgewiesen wird, so Oberthür. Zwar könne das Bossing-Opfer ein Mobbing-Tagebuch führen. Der Anwalt der Gegenseite kann aber immer sagen: „Das haben Sie sich alles ausgedacht.“Und genau das ist das Problem: Bossing ist nichts, was zwischen Aktendecke­l passt.

Holger Wyrwa war psychisch robust genug, um sich von der damaligen Vorgesetzt­en nicht in Angststarr­e versetzen zu lassen. Am Ende hat er den Betrieb mit einer Abfindung verlassen und hat sich selbststän­dig gemacht. (dpa)

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FOTO: ALEXANDER HEINL/DPA Mobbing durch den Chef kann Beschäftig­te fertigmach­en.

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