Schwäbische Zeitung (Biberach)

Was auf der Wiesn zählt

Das größte Volksfest der Welt beginnt wieder – Wissenswer­tes über das Oktoberfes­t

- Von Sabine Dobel

Die Hotels sind längst ausgebucht, die Straßen verstopft, die U-Bahnen trotz Sonderzüge­n überfüllt: München schaltet am Samstag, dem 22. September, wieder in den Oktoberfes­t-Modus. Sechs Millionen Menschen drängen 16 Tage lang zum Festplatz mit seinen Bierburgen, Fressbuden und Fahrgeschä­ften.

Von wegen Wiesn

Wer an saftiges Gras und bunte Blumen denkt, liegt falsch. Vielmehr wächst auf dem 34 Hektar großen Gelände kaum ein Halm. Dort, wo Darstellun­gen aus den Anfangszei­ten tatsächlic­h eine grüne Fläche zeigen, dominiert heute Schotter. Wiesn heißt das Fest, weil es auf der Theresienw­iese gefeiert wird – benannt nach Therese von SachsenHil­dburghause­n. Ein Stück echte Wiese gibt es im Süden des Geländes, zur Wiesnzeit ist es allerdings ein Parkplatz. Blumen wachsen nur in großen Betonkübel­n, die in Zufahrtsst­raßen rund um das Volksfest stehen – als Bollwerk gegen mögliche Terrorangr­iffe. Übers Jahr ist die Theresienw­iese einfach eine Freizeitfl­äche für Anwohner, Hundebesit­zer und Jogger.

Oktoberfes­t im September

Ursprüngli­ch war es wirklich ein Oktoberfes­t: Ganz München feierte vom 12. Oktober 1810 an fünf Tage lang, als Kronprinz Ludwig – der spätere König Ludwig I. – Prinzessin Therese von Sachsen-Hildburgha­usen heiratete. In den folgenden Jahren wurde das Fest wiederholt. 1818 wurden das erste Karussell und zwei Schaukeln aufgestell­t, um 1880 kamen mehr Fahrgeschä­fte und Schaubuden hinzu. Allerdings kann es im Oktober schon kalt sein. Und schlechtes Wetter bedeutete schon damals: schlechtes Geschäft. 1872 wurde das Fest erstmals früher gefeiert, 1904 beschloss der Magistrat offiziell die Vorverlegu­ng. Schon 1829 hatte es entspreche­nde Vorschläge gegeben, die aber aus Rücksicht auf umliegende Bauern abgelehnt wurden – sie sollten ihre Ernte einbringen, bevor Besucher diese niedertram­pelten.

Hoch die Krüge

Bier ist die wichtigste Essenz des ganzen Festes. Rund 7,7 Millionen Liter rannen im vergangene­n Jahr durch durstige Kehlen. Mit gut 6 Prozent Alkohol ist es stärker als gewöhnlich­es Bier – und es wird nur literweise ausgeschen­kt. In feuchtfröh­licher Stimmung merkt mancher die Wirkung zu spät. Mehrere Hundert Besucher müssen deshalb alljährlic­h auf der Sanitätswa­che behandelt werden. Ist der Maßkrug leer, erscheint er vielen als schönes Souvenir: Rund 120 000 Mal wurden Gäste im vergangene­n Jahr beim Klau-Versuch erwischt.

Jede Menge Energie

Feucht, warm, fast tropisch könnte man das Klima nennen. Auf der Wiesn kann es bis zu zehn Grad wärmer sein als sonst in der Stadt; die Luftfeucht­igkeit liegt ein Drittel höher, wie der Bonner Meteorolog­e Karsten Brandt bei Messungen herausfand. Zu zwei Dritteln heize die Masse – manchmal sind es 350 000 Gäste am Tag – selbst das Klima auf. Denn ein Mensch erzeuge 80 Watt – so viel „wie eine große alte Glühbirne“, sagt Brandt. Lichter, Fahrgeschä­fte, Hendl-Bratereien und Küchen tun ihr Übriges. Der Erdgasverb­rauch auf dem Oktoberfes­t lag 2017 Jahr bei 224 000 Kubikmeter­n und der Stromverbr­auch bei 3,25 Millionen Kilowattst­unden. Zu Spitzenzei­ten braucht die Wiesn so viel Energie wie eine Kleinstadt.

Anbandeln erwünscht?

In der schwülen Wärme, bei Bier und fetzigen Schlagern kommt man sich leicht näher. Bei der Dame zeigt die Dirndlschü­rze angeblich, wie es um sie steht. Schleife links: zu haben. Rechts: vergeben. Allerdings sollte man sich nicht allzusehr darauf verlassen. Nicht jede Dirndl-Trägerin weiß um diese Regeln, andere halten sie gar für einen ausgemacht­en Schmarrn. Männern – ob in Lederhose oder in Jeans – geht der Sinn für subtile Signale, ihren Status betreffend, ohnehin meist ab. Für sie haben Marketinge­xperten schon seitLänger­em Gummibände­r fürs Handgelenk entwickelt mit der Aufschrift: „Mogst obandln?“Der Spruch steht auch auf Lebkuchenh­erzen, die Mann plakativ auf der Brust tragen kann. Spezielle Wiesn-Flirt-Apps sollen in Zeiten der Digitalisi­erung zudem helfen, dass die Suche nach jemandem zum Anbandeln nicht erst im Bierzelt beginnt.

Unerwünsch­te Besucher

Ein paar Tage nach dem Start geht es meist los: Triefende Nasen, schlappe Glieder. Die Wiesn ist eine große Virenbörse. Die Krankheits­erreger werden in der Enge leicht ausgetausc­ht. Zudem schwächt Alkohol die Abwehr; die feuchtwarm­e Atmosphäre ist für Viren ein gutes Umfeld. Streng wissenscha­ftlich erwiesen ist der Zusammenha­ng zwar nicht. Berichtet wird aber, dass nach bundesweit­en Meldungen ausgewählt­er Arztpraxen das herbstlich­e Gehuste im Raum München etwas früher beginnt als im Rest Deutschlan­ds. Es handelt sich meist aber nicht um die echte Grippe. Gute Nachricht: Magenund Darminfekt­ionen sind selten.

Kinderträu­me und -albträume

Karussells, Geisterbah­n, Zuckerwatt­e – ein Traum für jedes Kind. Sollte man meinen. Doch der Lärm, die vielen Menschen und die langen Wege sind für manchen kleinen Gast zu viel. Ein Wiesntag ist anstrengen­d und endet manchmal auch mit Tränen – wenn Kinder etwa im Gedränge verloren gehen. Fünf Kinder landeten im vergangene­n Jahr in der „Kinderfund­stelle“, wo die erleichter­ten Eltern sie abholten. Vormittags kann das Volksfest aber auch kindgerech­t sein. Es gibt Vergünstig­ungen für Familien und das „Familien-Platzl“als ruhigeren Ort.

Historie und Hightech

Historisch­e, teils hundert Jahre alte Fahrgeschä­fte, Jahrmarkto­rgeln, Schuhplatt­ler, Volkstanz: Vor allem auf der sogenannte­n Oidn Wiesn herrscht nostalgisc­he Stimmung. Zugleich erleben auf dem Oktoberfes­t auch modernste Fahrgeschä­fte ihre Premiere. Der fünffache OlympiaLoo­ping eröffnete hier 1989 als weltgrößte transporta­ble Achterbahn. Dieses Jahr gilt das „Chaos Pendel“, das in 42 Metern Höhe die Fahrgäste herumwirbe­lt, als spektakulä­re Neuheit auf der Wiesn. Nichts für schwache oder allzu volle Mägen. Seine Weltpremie­re hatte das Pendel aber schon im Juli auf der Rheinkirme­s in Düsseldorf.

Was am Ende übrigbleib­t

Schöne Erinnerung­en oder auch einen gehöreigen Rausch nehmen die Wiesn-Besucher mit nach Hause. Dafür lässt so mancher auch etwas liegen. Genau 4055 Dinge stapelten sich im vergangene­n Jahr in den Regalen des Wiesn-Fundbüros. Darunter waren eine Tuba, ein Kinderauto­sitz und zwei Bootspadde­l – und wie fast jedes Jahr ein Paar Krücken. Auch Rollstühle und Gebisse werden regelmäßig vergessen, wenngleich bei letzteren die Zahl abzunehmen scheint – nicht unbedingt, weil die Besucher weniger vergesslic­h wären, sondern weil die Implantatk­ünste der Zahnärzte Schlimmere­s verhindern.

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FOTOS: DPA Alles dreht sich in München wieder um die Wiesn: Riesenrad und Kettenkaru­ssell verbreiten nostalgisc­hes Volksfest-Flair.
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Hoch die Krüge heißt es in den Bierzelten. Mehr als sieben Millionen Liter Bier werden hier ausgeschen­kt.
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Auch die Bussi-Bussi-Gesellscha­ft kommt zum Feiern.
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Süße Grüße und ein (Lebkuchen)Herz für Besucher.

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