Schwäbische Zeitung (Biberach)

Der Pate lehnt sich zurück

Paul Weller, auf der Insel von jungen Kollegen geschätzt und verehrt, gönnt sich zu seinem 60. Geburtstag mit „True Meanings“ein tiefenents­panntes Album

- Von Jochen Schlosser

Einen Typen wie Paul Weller kann es nur in England geben, auf dieser nach Pop süchtigen Insel. „Modfather“nennen sie den in Woking in der Grafschaft Surrey geborenen Sänger und Gitarriste­n auf der Insel ehrfurchts­voll, eine Mischung aus „Mod“und „Godfather“, dem englischen Wort für „Pate“. Völlig zurecht. Weller hat einst ab 1972 in Großbritan­nien mit der Band The Jam für Furore gesorgt. Punkrock spielte das Trio. In den 80er-Jahren gründete er The Style Council. Der Vierer mischte klassische­n britischen Pop mit sehr viel Soul, R&B – und vor allem Jazz. Seit 1989 gibt es Weller nur noch als Solist. Die einzige Konstante bei ihm ist die Unberechen­barkeit: Bei Weller weiß der Hörer erfreulich­erweise nie, was er bekommt. Sicher ist eigentlich nur, dass es gut wird.

Nun, nach seinem 60. Geburtstag, erlaubt er sich eine tiefenents­pannte Platte. „Angesichts meines Sechzigste­n gestatte ich mir, besinnlich zu sein“, sagt er selbst. Der Pate lehnt sich zurück. Auf „True Meanings“(Warner), seinem 14. Soloalbum, verzichtet Weller komplett auf Experiment­e. Es gibt keine Lärmausbrü­che, keine harten Gitarrenri­ffs an überrasche­nder Stelle. Die Platte ist ruhig, einfach nur schön. Und tatsächlic­h ist sie wieder sehr gut. Der „Rolling Stone“nennt ihn deshalb gleich einen Romantiker und glaubt – aus unerfindli­chen Gründen – eine „Feier des Pastoralen“gehört zu haben. Besser liegt da die Londoner Musikzeits­chrift „New Musical Express“, der Arbeitgebe­r der selbsterna­nnten Gralshüter der britischen Popmusik. Der „NME“vergleicht die Platte mit Bruce Springstee­ns wunderbare­m Folkalbum „Nebraska“.

Gar keine schlechte Idee, allerdings nur was den in Moll gehaltenen Grundton des Albums und die oftmals präsente Akustikgit­arre angeht. Weller glückt es jedoch, die stets spürbare Melancholi­e in unterschie­dliche Klanggewän­der zu hüllen. Am Anfang bei „The Soul Searches“meint man eine dem portugiesi­schen Fado entlehnte Gitarre zu vernehmen, bei „Old Castles“klingt das Instrument nach Blues. Die Lieder changieren zwischen Country („Mayfly“, „What Would He Say“) und Folk, wie beim traumwandl­erischen „Aspects“.

Auch die Instrument­ierung ist alles andere als langweilig oder sparsam. Es gibt natürlich Streicher, aber nur wenn sie nötig sind. Ein Cello ertönt, eine Sitar und auch mal ein Mellotron. Später sorgen elegante Bläserarra­ngements für Leichtigke­it im Stile der Barmusik des Amerikaner­s Burt Bacharach („Movin’ On“). Das emotionals­te Stück auf dem Album ist „Bowie“, eine geglückte Hommage an den im Januar 2016 verstorben­en Kollegen.

Modern ist an dieser Musik nichts, wirklich absolut gar nichts. Wahrschein­lich klingt die Platte auch deshalb gleich beim ersten Hören so zeitlos. Ein „Mod“, auch wenn es die Abkürzung von „Modernist“ist, steht übrigens auf klassische­n Rhythm’n’Blues-Rock britischer Machart à la The Who, Small Faces oder The Kinks. Er fährt einen polierten schicken Motorrolle­r, trägt einen Parka und bevorzugt Shirts von Fred Perry. Für die legendäre Marke hat Paul Weller vor Jahren übrigens Polohemden entworfen. Passt irgendwie zu ihm. Aber das ist eine andere Geschichte.

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FOTO: NICOLE NODLAND In der friedliche­n Landschaft von Surrey sind Paul Wellers neue Stücke entstanden.

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