Schwäbische Zeitung (Biberach)
In der Seilschaft über Gletscher und Spalten
Eberhardzeller Siegfried Reutter erklimmt den höchsten Gipfel Boliviens
EBERHARDZELL - Wenn der Aufstieg geschafft und der Berg bezwungen ist, kommen die Glücksgefühle. Nie ist Siegfried Reutter glücklicher, als in dem Moment, in dem er hoch oben auf dem Gipfel eines 6000ers steht. Hohe Berge sind die große Leidenschaft des Eberhardzellers. Seit er 2004 den Kilimandscharo bestiegen hat, hat er zahlreiche weitere Gipfel bezwungen. Im Sommer war er erneut auf Abenteuerreise. Dieses Mal ging es nach Bolivien, in die Region rund um La Paz.
Beim letzten Mal hatte Reutter einen Rückschlag hinnehmen müssen: Die Besteigung des 7246 Meter hohen Putha Hiunchuli scheiterte, weil sein Kollege auf der Reise erkrankte. Die Gruppe musste kurz vor dem Gipfel umkehren. Dieses Mal sollte dann alles glatt gehen. Drei Wochen war die fünfköpfige Gruppe insgesamt in Bolivien unterwegs. Somit blieb genug Zeit, um sich neben den Bergen auch kulturelle Sehenswürdigkeiten anzusehen. Reutter erinnert sich mit strahlenden Augen an einen Hexenmarkt in La Paz, auf dem es für jegliche Beschwerden esoterische Heilmittel zu kaufen gab. Außerdem sei die Geschichte der Inkas äußerst spannend. Für ihn sei es eine berührende Erfahrung gewesen, in ein so armes Land zu reisen.
Blut dünnflüssig halten
„Sich an die Höhe zu gewöhnen, ist beim Bergsteigen ungemein wichtig“, sagt Reutter. Akklimatisierung nennt sich dieser Prozess. Dafür waren bei dieser Reise optimale Bedingungen geschaffen, denn der Regierungssitz La Paz liegt in einer kesselartigen Hochebene auf 3500 Metern Höhe. „Manche Menschen werden schon ab 2500 Höhenmetern höhenkrank“, sagt er. Die ersten Anzeichen einer Höhenkrankheit seien Kopfund Magenbeschwerden. „Weiter oben ist die Luft einfach dünner, das merkt man schon. Deshalb ist es auch wichtig, viel zu trinken, um das Blut dünnflüssig zu halten“, erklärt der Bergsteiger.
Nach einer ersten Tour zum Aufwärmen auf den Pequeneo Alpamayo (5410 Meter) wollten die Bergsteiger den Huayana Potosi (6088 Meter), den Ilimani (6462 Meter) und den Nevado Sajama (6542 Meter) besteigen, um sich mit der Höhe sukzessiv voranzutasten. Jedoch machte das Wetter ihnen einen Strich durch die Rechnung. Aufgrund In La Paz hat sich die Gruppe in der Höhenluft akklimatisiert.
zu hoher Windgeschwindigkeiten und Schneefall auf dem Huayana Potosi beschloss die Gruppe, als zweiten Gipfel den Nevado Sajama anzupeilen.
Somit galt es, den höchsten Berg gleich am Anfang zu erklimmen. „Durch den Aufenthalt in La Paz waren wir aber ja schon gut akklimatisiert“, erklärt Reutter. Für den Aufstieg hatten sich die fünf Erwachsenen eigentlich Träger für Gepäck und Ausrüstung organisiert. „Nur sind die leider nicht aufgetaucht. Somit mussten wir pro Person rund 15 Kilo zusätzlich nach oben tragen“, schildert Reutter. Alles sei dann nur noch auf das Nötigste reduziert worden,
um möglichst viel Gewicht einzusparen. Für die Verpflegung unterwegs sorgte ein Koch, der mithilfe eines Gaskochers leichte Speisen wie Gemüsesuppe für die Abenteurer erhitzte. Außerdem wurde das Gerät zum Schmelzen von Eis benutzt, um das Wasser trinken zu können.
Aufbruch um Mitternacht
Vor dem Aufbruch zum Gipfel mussten sich die Bergsteiger warm anziehen. Denn in der Höhe herrschten bis zu minus 20 Grad. „Wir beginnen meistens um Mitternacht herum unseren Weg zu den Gipfeln. Dann ist der Schnee noch schön fest und die Gletscherkette stabiler.“Hat das Team dann den höchsten Teil des Bergs erreicht, werden Seilschaften von maximal drei Personen gebildet. Oben angekommen, habe Reutter stets Glücksgefühle. „Ich habe auch schon Leute vor Freude weinen sehen, als sie es geschafft haben“, berichtet er. Fast immer werde er für den harten Aufstieg mit einer sagenhaften Aussicht belohnt. Zusätzlich spornt den ehemaligen HandtmannMitarbeiter an, dass jeder Berg seine eigenen Herausforderungen und Ästhetik hat.
„Ein Bergsteiger muss aber auch leidensfähig sein“, gibt Reutter zu. Bei Wind und Wetter in einem Zelt zu übernachten, sei die eine Sache. Die andere, bei dünner Luft ständig nach Sauerstoff zu japsen. Aber was ist zu tun, wenn man plötzlich in einer Gletscherspalte feststeckt? Der 64-Jährige besucht präventiv Seminare, in denen dieses Szenario nachgespielt und geübt wird. „Wenn ich Glück hätte, käme ich also vielleicht wieder raus“, sagt er. „Aber das will ich lieber nicht testen.“
Die Reise nach Bolivien war für Siegfried Reutter ein Erfolg, denn er konnte mit seiner Gruppe alle vorgesehenen Berge besteigen, auch wenn die Reihenfolge geändert werden musste. Einen Berg konnten die Abenteurer aufgrund ihrer guten Akklimatisierung sogar im Schnelldurchlauf besteigen. „Als wir dann wieder auf deutschem Boden waren, habe ich mir erst mal eine Brezel gegönnt“, erzählt Reutter.