Schwäbische Zeitung (Biberach)
Wenig Feuer in Grindels Leuchtturm
Für den DFB startet die Woche der Wahrheit um die EM 2024 – Proteste aus den Kurven
BERLIN (SID/dpa/fil) - Die Woche der Wahrheit für den Deutschen Fußball-Bund (DFB) beginnt in einem Konzertsaal. Am Montagabend werden DFB-Präsident Reinhard Grindel und Philipp Lahm, Ehrenspielführer der Nationalmannschaft und Botschafter der deutschen EMBewerbung 2024, der feierlichen Kür des Weltfußballers in der Londoner Royal Festival Hall beiwohnen. Die Zeit, noch einmal letzte Überzeugungsarbeit für die Vergabe der EM 2024 am Donnerstag zu leisten, drängt.
„Wir werden bis zur letzten Sekunde immer wieder über unsere Stärken sprechen, über das, was wir Europa und der UEFA bieten können“, sagte Lahm der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“: „Wir können organisieren, wir sind ein weltoffenes Land, wir haben auch die Stabilität, vor allem wirtschaftlich. Das sind Dinge, die wir in die Waagschale werfen können, das haben wir getan.“
Am 27. September in Nyon kommt es auf die Stimmen der 17 Funktionäre im Exekutivkomitee der Europäischen Fußball-Union (UEFA) an. Viele von ihnen werden am Montag ebenfalls in der britischen Hauptstadt sein. Der einzige Konkurrent des DFB ist der türkische Verband TFF, der – auch wegen der Menschenrechtssituation in der Türkei und einiger offenen wirtschaftlichen Fragen – auf dem Papier inzwischen als Außenseiter antritt.
Grindel im Fokus
Doch vor allem für DFB-Präsident Reinhard Grindel, der die EM-Berwerbung bei Amtsantritt als sein „Leuchtturmprojekt“bezeichnet hatte, geht es auch um seine persönliche Zukunft. „Sollte es schiefgehen mit der EM-Kür, darf sowieso viel Geld darauf verwettet werden, dass das DFB-Spitzenamt im Handstreich umbesetzt wird“, schrieb die für gewöhnlich gut informierte „Süddeutsche Zeitung“und munkelte, der Präsident habe „querbeet auf der nationalen Fußballbühne den Rückhalt verloren“.
Mitarbeiter der DFB-Zentrale sollen nach übereinstimmenden – und undementierten – Medienberichten sogar ein neues Wort in Zusammenhang mit dem offenbar zum Aufbrausen neigenden Präsidenten und ExBundestagsabgeordneten (CDU) erfunden haben: „Grindeln“. Damit ist das ansatzlose Zusammenstauchen von Mitarbeitern gemeint. Nicht hilfreich für das Image des Präsidenten, der in der Aufarbeitung der WM und der Causa Özil je eine maximal unglückliche Figur machte, war der vom „Spiegel“enthüllte Briefwechsel zwischen Grindel und seinem Vizepräsidenten Rainer Koch und Generalsekretär Friedrich Curtius, in dem Grindel das Länderspiel gegen Peru vor zwei Wochen von Frankfurt nach Sinsheim verlegen ließ – aus Angst vor den Frankfurter Ultras. „Man kann (...) die Befürchtung haben, dass die ja keineswegs dummen Ultras uns das Projekt EURO 2024 gerade kaputt machen wollen, indem sie dort ein Inferno veranstalten“, schrieb Grindel da.
Das „Inferno“wäre wohl auch in Frankfurt ausgeblieben, Ultragruppierungen interessieren sich gemeinhin eher weniger für Länderspiele. Um gegen den DFB und Grindel zu protestieren haben sich die Ultras zudem eine andere Form des Protests ausgesucht: sie wollen schweigen. Der Zusammenschluss der Fußball-Fanszenen hat für die kommende englische Woche einen „bundesweiten Aktionsspieltag“angekündigt, der sich von dem EMWerbeszenario des DFB grundlegend unterscheidet.
Lahm verweist auf 90 Prozent Zustimmung der Fußballfans
Die ersten 20 Minuten jeder Partie soll auf den Tribünen geschwiegen werden. Die Hoffnung der organisierten Anhänger ist „dass der Fußball wieder die Interessen der Fans in den Mittelpunkt rückt und nicht die Interessen von Investoren oder Stakeholdern“.
Schon mit der Werbeaktion am abgelaufenen Bundesligaspieltag – Spieler liefen mit schwarz-rot-goldene Ärmellogos mit dem DFB-Motto „United by Football – Vereint im Herzen Europas“auf – konnte der DFB keine großen Emotionen wecken. „Gute Miene zum nächsten gekauften Turnier? Grindel / Koch raus! Scheiss DFB“und „UNITED BY MONEY. Korrupt im Herzen Europas“, stand auf Plakaten beim Spiel des VfB Stuttgart gegen Düsseldorf am Freitag. Ähnliche Spruchbänder waren in Berlin in der Gladbacher Kurve zu lesen.
In Grindels Leuchtturm lodert noch kein richtungsweisendes Feuer für den deutschen Fußball. Philipp Lahm, im Falle des Zuschlags auch EM-Cheforganisator, verweist auf laut repräsentativer Umfrage ermittelte 90 Prozent EM-Zustimmung unter allen deutschen Fußballfans und setzt darauf, dass sich die Begeisterung wie einst vor der WM 2006 sukzessive entwickelt. „Ich bin der festen Überzeugung, dass das zum Turnier hin dann auch wieder etwas Besonderes werden kann, ein Fest wie 2006, weil sich unser Land immer wieder nach so einem Großereignis sehnt“, sagte der 34-Jährige.