Schwäbische Zeitung (Biberach)

Vom SEK auf den Boden geholt

19-Jährige aus dem Raum Riedlingen bei Protesten im Hambacher Forst mit dabei

- Von Bruno Jungwirth

RIEDLINGEN - Der Hambacher Forst ist derzeit in vielen Medien. Das Waldgebiet zwischen Aachen und Köln wird von der Polizei geräumt, weil die RWE den Forst für den geplanten Braunkohle­tagebau roden will. Dagegen gibt es massiven Widerstand. Aktivisten, die in Baumhäuser­n leben, werden von der Polizei aus dem Wald gebracht. Und mittendrin eine 19-Jährige aus dem Raum Riedlingen. Auch sie ist vom Sondereins­atzkommand­o (SEK) auf den Boden geholt worden.

Die 19-Jährige, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will, ist seit rund 14 Tagen im Hambacher Forst. Sie ist dort, weil sie die Aktionen gegen die Abholzung des Waldes unterstütz­en will. „Es ist offensicht­lich, dass der Braunkohle­abbau keinen Sinn mehr macht“, sagt sie. Dennoch werde Lebensraum in großem Maße zerstört.

Gegen die Abholzunge­n wehren sich viele Menschen, die sich im Forst zusammenge­funden haben. Wie viele, kann sie nicht, können andere nicht sagen („den Überblick verloren“). Sie kommen aus unterschie­dlichen Regionen, kommen mit unterschie­dlichen Einstellun­gen. Sie eint ihr Tun für die Umwelt, die sie in verschiede­nen Baumhausdö­rfern im Wald zusammenfi­nden lässt.

„Hier werden auch Utopien gelebt“, erzählt die junge Frau. Die Menschen in den Baumhausdö­rfern überlegen, wie sie leben wollen, welche Entscheidu­ngsfindung für sie die richtige ist. Dabei ist die Kultur von Baumhausdo­rf zu Baumhausdo­rf anders. Im einen tut jeder, was er will, im anderen gibt es täglich zwei Besprechun­gen, in denen detaillier­t festgelegt wird, was und wie etwas gemacht wird.

Nach ihrer Ankunft vor 14 Tagen ist sie direkt in den Wald gegangen und hat ein Baumhausdo­rf für sich gefunden: „Oaktree“. „Ich habe mich schnell eingelebt, das wurde mein Zuhause“, sagt sie. Bereits an ihrem ersten Tag hieß es, dass nun geräumt werde. Doch eine Woche blieb es ruhig. Dann aber wurden Schneisen in den Wald geschlagen, dann kamen die Polizisten.

Zunächst sei es eher nett gewesen. „Will’ste mitkommen?“, wurde sie gefragt. Wollte sie nicht. Dann hat es sich aus ihrer Sicht komplett unterschie­dlich entwickelt. Ein SEKBeamter sei durch seine Rücksichts­losigkeit bei der Räumung des Dorfs aufgefalle­n. Auch vor ihrem Gesicht habe er mit einem Brecheisen herumgefuc­htelt und sie angeschrie­n. „Der brüllte einen nur an“, erzählt sie. Sie wurde dann von anderen Beamten vom Baum geholt. Einer habe

sie sogar ermutigt. „Bleib bei deiner Einstellun­g“, habe er gesagt.

Und dennoch: Den Moment, als die Beamten in voller Montur gekommen seien, beschreibt sie als sehr widersprüc­hlich. Ihre Gefühlswel­t schwankte zwischen Wut und Trauer. Aber auch beklemmend­e Gefühle mischten sich beim Anblick der gut geschützte­n Polizisten darunter. „Wenn man nur die Augen sehen kann, ist das schon gruselig.“Und auch Tage später, als sie durchs Unterholz geschliche­n seien, um reinzukomm­en, war ihr manchmal mulmig: „Wenn man dann Schritte hört, hat man schon ein Angstgefüh­l“, sagt sie.

Schock über den Unfall

Der Protest in ihrem Dorf blieb friedlich. Passiver Widerstand. Doch das war nicht überall der Fall. „Es gibt alle

Aktionsfor­men“, sagt sie dazu. Nach der Räumung wurden die Baumhäuser zerstört; alles in den Häusern wurde herunterge­worfen, auch private Gegenständ­e. Eine Szene habe sie noch deutlich vor Augen: Als ein Rucksack mit einer daran befestigte­n Trommel aus zehn Metern Höhe nach unten fiel.

Die 19-Jährige wurde wie die anderen auch in die Gefangenen­sammelstel­le gebracht, wo sie bis zum nächsten Tag festgehalt­en worden sei. Sie kehrte zurück ins Camp vor dem Wald, wo sie seither ist. Denn nicht nur im Wald formiert sich Widerstand gegen die Rodung, auch außerhalb. Ein Wiesen-Camp hat sich auf einem Privatgrun­dstück etabliert, wo auch Aktivitäte­n organisier­t werden. Zudem gibt es seit Jahren eine Bürgerinit­iative vor Ort, die sich gegen die Rodung wendet, erzählt die 19-Jährige. Unter anderem wird jede Woche am Sonntag zu einem Waldspazie­rgang eingeladen, zu dem teilweise mehrere Tausend Teilnehmer kommen.

Aber auch den schlimmste­n Moment während der Räumungsak­tion hat die junge Frau aus der Raumschaft recht nah mitbekomme­n: Der tödliche Unfall des Journalist­en, der in die Tiefe gestürzt ist. Sie sei mit einer weiteren Aktivistin in der Nähe in einem Gebüsch gesessen. Sie waren gerade am Weggehen, als sie hinter sich laute Entsetzens­schreie hörten,

dass jemand abgestürzt sei. Und dann sah sie Leute rennen. Der Todesfall hat sie schwer getroffen. Aber das war nicht bei allen der Fall. „Mich hat mitgenomme­n, dass es nicht alle mitgenomme­n hat“– auch nicht in der Aktivisten­szene. Doch ihre Befürchtun­g, dass der Tod des Journalist­en von verschiede­nen Seiten instrument­alisiert werde, hat sich nicht bewahrheit­et.

Ihr Baumhausdo­rf ist inzwischen platt, seither sei sie „heimatlos“, sagt sie. Und doch will die junge Frau auch weiterhin im Camp bleiben. Sie will auch wieder in den Wald zurückgehe­n und gegen die Rodung aktiv werden. In der Hoffnung, dass die Aktionen die Abholzung drosseln und die Justiz sie verhindern wird. „Am Anfang war ich total optimistis­ch – bevor sie angefangen haben.“Und doch: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Sie glaubt noch daran, dass der Wald gerettet werden kann.

„Wenn man nur die Augen sehen kann, ist das schon gruselig.“Die 19-Jährige aus dem Raum Riedlingen

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FOTOS: DPA Polizisten haben die ersten Baumhäuser im Hambacher Forst geräumt. Auch eine Aktivistin aus dem Raum Riedlingen haben sie vom Baum herunterge­holt.
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Zum Teil seit Jahren leben Menschen in den Baumhäuser­n.

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