Schwäbische Zeitung (Biberach)
Steinmeier verteidigt Erdogans Besuch
Bundespräsident hofft auf Neuanfang – Opposition fordert „deutliche Worte“
BERLIN (dpa/sz) - Höchste Sicherheitsstufe in Berlin, 4200 Beamte im Einsatz, mehrere Demonstrationen, Kritik im Bundestag und Erklärungen vom höchsten Mann im Staat: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan ist am Donnerstag zu seinem umstrittenen Staatsbesuch eingetroffen. Heute trifft er sich mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Am Samstag eröffnet Erdogan in Köln eine Moschee.
Steinmeier, der Erdogan mit militärischen Ehren in Empfang nehmen wird, verteidigte die Visite. „Dieser Besuch ist kein Ausdruck von Normalisierung. Davon sind wir weit entfernt, aber er könnte ein Anfang sein“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Notwendig seien sichtbare Schritte für mehr Rechtsstaatlichkeit in der Türkei. „Wir können und werden den Druck auf Medien, Justiz und Gewerkschaften nicht akzeptieren.“Nur bei einer Verbesserung könne sich die Türkei Hoffnung auf wieder engere Beziehungen zur EU machen.
Die Opposition forderte eine klare Positionierung. „Es ist nicht verkehrt, mit dem türkischen Präsidenten zu reden, aber es sind deutliche Worte angebracht“, erklärte Margarete Stumpp (Grüne), die medienpolitische Sprecherin der Fraktion. Die miserable Lage der Meinungsfreiheit müsse „unmissverständlich problematisiert werden“.
BERLIN - Die Maschine des türkischen Präsidenten ist noch nicht in Berlin-Tegel gelandet, da tobt am Donnerstag im Bundestag bereits ein heftiger Streit über den Gast aus Ankara und seinen Besuch.
„Lassen Sie die Menschen frei, lassen Sie freie Debatte in der Türkei wieder zu“, fordert FDP-Fraktionsvizechef Alexander Graf Lambsdorff. Und auch der frühere Grünen-Chef Cem Özdemir nimmt kein Blatt vor den Mund: „Es kommt ein Machthaber eines Landes, in dem es praktisch keine Pressefreiheit mehr gibt, in dem immer mehr Menschen Angst haben, ihre Meinung zu äußern“, erklärte er. „Als Regierung kann man sich seine Gäste nicht immer aussuchen“, sagte Cem Özdemir im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) müssten Tacheles mit Erdogan reden. Der Grünen-Politiker verteidigte seine Teilnahme am Staatsbankett am heutigen Freitagabend. „Erdogan muss das aushalten, dass dort jemand am Bankett teilnimmt, der seine Politik offen kritisiert“, sagte er.
Militärische Ehren
Auftakt eines äußerst heiklen Staatsbesuches, der offiziell erst am heutigen Freitag mit dem Empfang mit militärischen Ehren durch Bundespräsident Steinmeier in Schloss Bellevue beginnt. Anschließend trifft er Regierungschefin Angela Merkel zu einem Arbeitsessen im Kanzleramt. Mehr als 10 000 Demonstranten wollen dann gegen den Besuch des türkischen Präsidenten und seine Politik demonstrieren.
Erdogan pocht auf einen Neustart in den deutschtürkischen Beziehungen, sucht angesichts der dramatischen Wirtschaftskrise, in der sich sein Land befindet, die Annäherung und Hilfe Berlins, schlägt plötzlich moderatere Töne an. Doch für eine Normalisierung des Verhältnisses ist es, darüber ist man sich in Berlin einig, noch viel zu früh. Die Bundesregierung schraubt die Erwartungen herunter, macht keine Hoffnung auf eine rasche Rückkehr zu normalen Beziehungen.
Davon sei man derzeit noch weit entfernt. „Wir werden das nicht vergessen, was passiert ist“, erinnerte der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth, an die politische Situation in der Türkei und Erdogans „inakzeptable Beleidigungen“in Richtung Deutschland. „Was geschieht, ist Nazismus. Was geschieht, ist Faschismus“, hatte der türkische Präsident vor zwölf Monaten deutsche Politiker bis hin zur Kanzlerin wegen ihrer Kritik an Menschenrechtsverletzungen und Inhaftierungen in der Türkei attackiert.
Ein Jahr später roter Teppich für den umstrittenen Autokraten aus Ankara. Es hagelt Kritik nicht nur von der Opposition und von Koalitionspolitikern im Bundestag. Bereits nach seiner Landung wird der türkische Präsident von Demonstranten am Flughafen empfangen, die gegen Erdogan und seine Politik demonstrieren, die Freilassung von Inhaftierten fordern. Noch immer sind fünf deutsche Staatsbürger aus politischen Gründen in der Türkei
in der Haft. Doch immerhin: Seit der Freilassung des deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel hat es wieder Entspannungssignale auf beiden Seiten gegeben, ist man wieder bemüht die Gräben zu schließen. Weitere Deutsche kamen aus der Haft frei. Das Auswärtige Amt hob seine Reisewarnungen auf. Es gibt vorsichtige Schritte in Richtung Annäherung. Recep Tayyip Erdogan hofft auf deutsche Wirtschaftshilfe. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) und Bundesfinanzminister Olaf Scholz hatten im Vorfeld mit ihren türkischen Amtskollegen darüber beraten.
Sicherheitsstufe eins
Im Berliner Regierungsviertel gilt derzeit Sicherheitsstufe eins. Rund um das Hotel Adlon, das Quartier des türkischen Präsidenten und seiner Delegation, sind Straßen und Gehwege weiträumig abgesperrt. Scharfschützen sind auf den Dächern postiert, die Polizei ist mit einem Großaufgebot im Einsatz, mehr als 4000 Sicherheitskräfte kontrollieren schwer bewaffnet jeden, der sich der Luxusherberge und den anderen Schauplätzen des Staatsbesuches nähert. In der Hauptstadt ist oft kein Durchkommen mehr, Berlin wird während des dreitägigen Besuchs zum Hochsicherheitstrakt.