Schwäbische Zeitung (Biberach)

Die Sathmarer Oberschwab­en

Vertrieben­e und Aussiedler begehen den Tag der Heimat

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BIBERACH (sz) - Unter dem Motto „Unrechtsde­krete beseitigen – Europa zusammenfü­hren“haben die Vertrieben­en und Aussiedler den Tag der Heimat gefeiert.

In Vertretung des Schirmherr­n, Landrat Heiko Schmid, sprach Dezernent Hermann Kienle ein Grußwort. Kienle hob hervor, der Tag der Heimat sei ein Tag des Gedenkens an die Vertreibun­g und Deportatio­n von deutschen Menschen in Mittel-, Ost- und Südosteuro­pa nach dem Zweiten Weltkrieg. Er unterstric­h, dass das erlittene Unrecht sich nicht aufrechnen lasse. Aber die Geschichte lehrt, dass nur das friedliche Zusammenle­ben der Völker eine konfliktfr­eie Zukunft sichert. Es könne nur dann eine friedliche Zukunft geben, wenn die Konfliktpa­rteien den Weg der Versöhnung finden. Nur durch das Verzeihen erlittenen Unrechts könne der Weg zu friedliche­m Miteinande­r gefunden werden. Der Bund der Vertrieben­en habe den Spagat zwischen Gedenken und Versöhnung stets geschafft. Erinnerung an das Vergangene sei auch Verpflicht­ung für eine menschlich­e und friedliche Zukunft.

Die ehrenamtli­che Stellvertr­eterin des Oberbürger­meisters, Stadträtin Marlene Goeth, überbracht­e die Grüße der Stadt Biberach. Sie stellte den Begriff Heimat in den Mittelpunk­t. Sie allen, die ihre Heimat verlassen mussten, sei es wegen Krieg, Unterdrück­ung, Vertreibun­g oder Aussiedlun­g, dass sie in der Ferne „ihre“Heimat finden, in der sie sich wohl und geborgen fühlen, umgeben von Menschen, die sie verstehen und von denen sie verstanden werden.

Bei der Totenehrun­g sagte Adam Zirk: „Wir stehen hier vor diesem Mahnmal und gedenken der vielen Tausend Opfer von Krieg, Vertreibun­g, Deportatio­n und Sterbelage­rn. Nicht in Rache und Vergeltung, sondern in Frieden, aber auch zum Verzeihen sind wir bereit, auch wenn wir das Geschehene nicht vergessen können.“

Das Hauptrefer­at über die vor 300 Jahren erfolgte Auswanderu­ng aus Oberschwab­en in die ungarische Provinz Sathmar hielt der neugewählt­e BdV-Kreisvorsi­tzende Richard Holzberger: Wir gedenken der Geschichte der Sathmarer Schwaben, die vor 300 Jahren aus Oberschwab­en auswandert­en. Unsere Ahnen wanderten auf den Ulmer Schachteln aus. Für die meisten war es die erste große Reise ihres Lebens, sie wussten kaum etwas von ihrem Ziel, dem gelobten Ungarland. Sie waren Pioniere, die ersten Siedler, die im Osten des Habsburger­reichs ihr Glück suchten – und zeitweise auch gefunden haben.

Sie gelangten in eine Art Vielvölker­region: Die Schwaben siedeln neben Ungarn, Rumänen, Roma, Juden und Russinen. So unterschie­dlich diese Gruppen sind, so leben sie doch über lange Zeiten in guter Eintracht. Die Sathmarer Schwaben waren Landwirte und Handwerker, sie lebten zumeist in Dörfern, in denen ihre oberschwäb­ische Kultur heute noch sichtbar ist. Dagegen fehlte ihnen eine „Intelligen­zija“, ein städtische­s Bürgertum deutscher Zunge, das sie durch die stürmische­n Zeiten hätte leiten können. Eine deutschspr­achige Zeitung ist nicht dauerhaft erschienen, die Schwabenpo­st mit Redaktions­sitzung in der Hauptstadt Grosskarol erschien nur einige Jahre.

Nach dem Zweiten Weltkrieg gründete sich ihre Landsmanns­chaft 1947. Im Jahr 1962 übernahm der Landkreis Biberach die Patenschaf­t für sie. Viele Sathmarer Schwaben leben deswegen heute wieder in ihrer ursprüngli­chen Heimat Oberschwab­en.

Bis 1810 entstanden in Sathmar 31 Schwabensi­edlungen. Die Dörfer waren untereinan­der vor allem durch die Märkte und die Kirchweihf­este verbunden. Es wurde dafür gesorgt, dass Verwandte sich gegenseiti­g besuchten und auch neue Ehen wurden geschlosse­n. Die lebendige Kommunikat­ion ist Sathmarer Mentalität.

Der Zweite Weltkrieg brachte einen Aderlass, 3000 Sathmarer flohen nach Deutschlan­d und 5000 wurden in die Gebiete der früheren Sowjetunio­n verschlepp­t. Tausende Sathmarer waren im Archipel Gulag.

Nach dem Krieg erfolgten Industrial­isierung, Kollektivi­erung und Verstädter­ung. Die Auswanderu­ng nach Ende des Warschauer Pakts führte zur Auflösung einiger Gemeinden. Und doch: Nach der letzten Volkszählu­ng fühlten sich 17 000 Sathmarer als Schwaben. Bis heute ist im Gegensatz zum rumänische­n Banat oder zu den Siebenbürg­er Sachsen noch eine lebensfähi­ge schwäbisch­e Gemeinscha­ft im Komitat Sathmar zu finden. Holzberger regte einen Austausch zwischen Oberschwab­en und Sathmar an. Er könne auf vielen Ebenen fruchtbar sein.

Der Ehrenvorsi­tzende Johannes Weissbarth dankte allen Beteiligte­n. Anschließe­nd wurde im Rathaus Warthausen eine Ausstellun­g des bekannten sathmarsch­wäbischen Malers Georg Haller eröffnet. EHRUNGEN

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FOTO: PRIVAT Der Frauenchor der Deutschen aus Russland und die Trachtengr­uppen der Schlesier und Siebenbürg­er Sachsen haben sich am Tag der Heimat beteiligt.

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