Schwäbische Zeitung (Biberach)
Zu wenig Parolen-Potenzial
Hurra, das Ein-Euro-Ticket ist endlich da! Okay, bis zum 1. Januar müssen wir uns noch gedulden, aber dann werden die Stadtbusse vermutlich aus allen Nähten platzen, weil so viele plötzlich Bus fahren wollen. Und ich bin mir sicher, dass bis dahin auch alle Senioren, denen manche das heute vielleicht noch nicht zutrauen, in der
Lage sind, das günstige Ticket per
Handy zu lösen. Irgendwie ist es ja schon kurios: Kaum diskutiert der Gemeinderat gefühlt zehn Jahre darüber, dass man den Busverkehr in der Stadt verbessern und die Tarife günstiger machen sollte, schon kriegen die Damen und Herren beides innerhalb eines Jahres auf die Kette. Wie flott Kommunalpolitik doch funktionieren kann, wenn sich alle in wichtigen Dingen weitestgehend einig sind.
Keine Lust auf Kommunalpolitik, zumindest nicht im Kreistag, hat die AfD, wie die Partei diese Woche verlauten ließ. Begründung: Man wolle ein bestehendes Wahlsystem nicht verfestigen, das aus Sicht der AfD zu einer Ballung von Bürgermeistern und Abgeordneten im Kreistag führe, die nirgends im Land so gewaltig sei wie in Biberach. Okay, liebe AfD, ich gebe euch in diesem Punkt sogar recht: Die Dominanz der Bürgermeister im Kreistag ist tatsächlich groß und wurde auch immer wieder kritisch betrachtet – und zwar schon zu Zeiten, als es noch keine AfD gab. Diese Bürgermeister sitzen aber nicht gottgegeben im Kreistag, sondern weil sie von Bürgern gewählt wurden. Ein einfacher Weg, dies zu ändern, wäre die Kandidatur möglichst vieler Menschen aus anderen Berufsgruppen, um dem Wähler eine möglichst breite Auswahl zu bieten. Daran hapert es aber bekanntlich. Die Parteien und Gruppierungen suchen aktuell händeringend nach Bewerbern. Die Argumentation der AfD, wegen dieser Bürgermeisterdominanz keine Kandidaten ins Rennen zu schicken, wird auch durch den Verweis auf juristische Spitzfindigkeiten nicht schlüssiger.
Ich hab’ ja ’ne andere Vermutung: Die finden einfach nicht genug, die’s machen wollen. Warum? Die Themen im Kreistag – von Berufsschulausbau über Abfallwirtschaft bis zur Kreisstraßensanierung – haben zu wenig Parolen-Potenzial und setzen den Willen zu kommunalpolitischer Kärrnerarbeit voraus. Im Übrigen ist es leichter, anonym in der Wahlkabine sein Protestkreuzchen bei der AfD zu machen, als mit Namen und Gesicht in der Kommunalpolitik für sie zu kandidieren, sodass es auch der Nachbar und der Chef mitbekommen. Aber wahrscheinlich ist das alles Quatsch, ich bin ja nur ein alter Esel. Schönes Wochenende! Euer Marktplatz-Esel