Schwäbische Zeitung (Biberach)
Von Reiner Schick und Tobias Rehm
Nach 22 Spielen war Schluss. Marco F., der mit richtigem Namen nicht genannt werden möchte, hatte die Schnauze voll. Die Pöbeleien, die sich der 15Jährige aus dem Fußball-Bezirk Riß in vielen Spielen vom Spielfeldrand hatte anhören müssen, wollte er sich nicht länger antun. Dabei hatte er ein Jahr zuvor voller Freude das Amt des Schiedsrichters angetreten. „Anfangs machte es auch Spaß“, erzählt er. Bis zum ersten Mal ein Zuschauer „Du Pfeife!“rief – in einem EJugendspiel! „Das hat mich schon verletzt“, sagt Marco F. „Aber da dachte ich noch: Okay, jetzt ist es dir halt auch mal passiert, aber das wird schon wieder.“
Wurde es nicht. In mehreren seiner E- und D-Jugendspiele, die er pfiff, gab es Belehrungen von den Besserwissern – vor allem den Eltern draußen am Spielfeldrand. „Bei einem Spiel schimpfte auch mal der Trainer dauernd auf mich ein. Dabei sollte er doch eigentlich dafür sorgen, dass so etwas nicht passiert“, meint Marco F. „Und das Lustige war: Nach den Spielen, in denen die Heimmannschaft gewonnen hat, waren diese Leute plötzlich ganz nett zu mir.“Doch zum Lachen war es dem jungen Mann bald nicht mehr zumute: „Es gab ein Spiel, da musste ich mich hinterher zusammenreißen, dass ich nicht losheule.“Auch seine Mutter erinnert sich an diesen Tag: „Unser Sohn ist völlig aufgelöst heimgekommen.“Marco F. erzählt: „Man sitzt dann zu Hause und überlegt: Liegt es an dir, dass die so hässlich zu dir waren? Das kratzt schon an einem.“Er fasste letztlich den Entschluss: Nicht mit mir, das war’s.
Kein Einzelfall, wie Schiedsrichter-Obmann Jochen Oelmayer bestätigt (siehe Interview). Und auch Marc Richter, Vorsitzender des Sportgerichts im FußballBezirk Riß, sagt: „In vielen Fällen ist der Schiedsrichter keine Respektsperson mehr, die Hemmschwelle ist gesunken.“Richter weiß dies nicht nur von den Fällen, die beim Sportgericht auf dem Tisch landen, er ist seit 1995 auch selbst FußballSchiedsrichter. Seine Wahrnehmung in den vergangenen gut 20 Jahren: Die Einflüsse von außen sind extremer geworden. „Es kommen nicht mehr so viele Zuschauer, aber diejenigen, die da sind, sind umso lauter. Da bekommt man schon einiges zu hören.“
Was vor allem bei jungen Schiedsrichtern ein Problem ist, wie das Beispiel Marco F. zeigt. Denn erst im Laufe der Jahre entwickeln Schiedsrichter eine „Rechts-rein-links-raus-Mentalität“, weiß Marc Richter. „Man darf das in dem Moment nicht persönlich nehmen. Es ist zwar ärgerlich, wenn man beschimpft wird, aber letztlich ist das ein Spiegelbild unserer Gesellschaft.“Tätlichkeiten gegenüber Schiedsrichtern kämen im Fußball-Bezirk Riß glücklicherweise äußerst selten vor.
Das krasseste Beispiel, erzählt Richter, sei in jüngster Vergangenheit die Auseinandersetzung in Erolzheim zwischen dem Schiedsrichter und einem Spieler des SV Stafflangen gewesen. Letzterer hat dem Unparteiischen einen Kopfstoß verpasst und vom Sportgericht eine zwölfmonatige Sperre bekommen. Marc Richter betont aber, dass dies die absolute Ausnahme sei. Der Bezirk Riß sei der kleinste im Württembergischen Fußballverband (WFV). Dies lasse sich auch an allen Kennzahlen des Sportgerichts festmachen. Wenngleich es auf Bezirksebene keine genauen Zahlen zu Schiedsrichter-Vorfällen gibt, weil die Statistik nicht festhält, ob beispielsweise der Schiedsrichter, ein Zuschauer oder ein Gegenspieler beleidigt wurde. Aber Richter hatte bereits beim jüngsten Staffeltag angemahnt, dass es bei unsportlichem Verhalten und Tätlichkeiten zuletzt einen deutlichen Anstieg gegeben hat. „Das darf man nicht kleinreden“, so der Sportgerichtsvorsitzende. „Dieser Trend kann nicht so weitergehen.“
Das hofft auch Marco F. Denn der heute 17-Jährige will nicht ganz ausschließen, dass er eines Tages vielleicht doch noch mal zur Pfeife greift. „Aber so bald noch nicht“, sagt er. „Ich brauche noch einige Zeit, das Erlebte zu verdauen.“