Schwäbische Zeitung (Biberach)
Was die Parität in der Krankenversicherung bedeutet
Milliardenentlastung für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, teure Extrarechnung für Arbeitgeber – die Große Koalition sorgt dafür, dass beide wieder zu gleichen Teilen die gesetzliche Krankenversicherung finanzieren. Die 2005 abgeschaffte Parität kommt im nächsten Jahr zurück. Dass dies der Bundestag gestern beschloss, erfreut die Gewerkschaften und alarmiert die Wirtschaft. Mehr Geld für die Beschäftigten: Teure Brillen und Zahnbehandlungen, saftige Rechnungen für viele Arztbehandlungen – und dann noch ein Aufschlag bei der Krankenversicherung. Für gesetzlich Versicherte wurde die Gesundheit in den vergangenen Jahren immer teurer. Nun will die Koalition gegensteuern. „Mit dem Gesetz entlasten wir Beitragszahler langfristig um acht Milliarden Euro“, sagte gestern Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Bei einem Bruttoeinkommen von 3000 Euro bringe dies 18 Euro mehr in die Haushaltskasse, über 200 Euro extra im Jahr. Für Achim Kessler von der Linksfraktion handelt es sich nur um „Stückwerk“, mit dem die Regierung die Ungerechtigkeiten im Gesundheitssystem nicht beseitige. „Die Große Koalition hält die Belastbarkeit der Wirtschaft für grenzenlos“, sagt dagegen FDP-Chef Christian Lindner im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. „Ich melde Zweifel an.“Frust in der Wirtschaft: Für die Arbeitgeber ist die Verabschiedung des Gesetzes ein weiterer Beleg dafür, dass ihre Anliegen bei dieser Regierung auf wenig Gehör stoßen. „Die Große Koalition winkt mit ihren Plänen die größte Zusatzbelastung durch Lohnzusatzkosten in der deutschen Sozialgeschichte durch“, sagt Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Die Unternehmen und ihre Verbände stellen auch die Behauptung infrage, dass sich die Finanzierung der Gesundheit in einer Schieflage befinde. Aus ihrer Sicht muss in die Kalkulation eingehen, dass Arbeitgeber die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall allein bezahlen. Dies gilt auch für die betriebliche Unfallversicherung. Daher könne bisher von einem Ungleichgewicht in der Finanzierung der Gesundheit keine Rede sein.
Umverteilung: Mit der Reform verteilt die Koalition kräftig um. Der Beitragssatz zur gesetzlichen Krankenversicherung beträgt momentan 14,6 Prozent. Den übernehmen Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu gleichen Teilen. Zudem erheben die Krankenkassen aber einen Zusatzbeitrag von durchschnittlich einem Prozent. Diesen Aufschlag bezahlen die Beschäftigten derzeit allein. Nun wird ihnen die Hälfte abgenommen. Zudem sollen die Krankenkassen laut Gesundheitsminister Spahn auch den Zusatzbeitrag leicht senken – nämlich um 0,1 Prozentpunkte. Die Koalition verweist auf einen anderen Effekt ihrer Reform: Da Gesundheit teurer werde, sei es wichtig, die Arbeitgeber stärker einzubinden. Sie sollen ihren Einfluss geltend machen, um eine Kostenexplosion für die medizinische Standardversorgung zu verhindern.
Zum Paket gehört eine Entlastung von Selbständigen mit kleinen Umsätzen und von Existenzgründern. Sie werden den übrigen freiwilligen Mitgliedern der gesetzlichen Krankenkassen gleichgestellt. Dadurch sinkt ihr Mindestbeitrag laut Bundesgesundheitsministerium von circa 360 Euro auf etwa 156 Euro.