Schwäbische Zeitung (Biberach)

Von wegen federleich­t

- Von Amrei Kleih

In den Wüsten des Orients erzählt man sich unter vielen Geschichte­n die eines Kameltreib­ers, dessen Feder zum Sprichwort wurde. Der gute Mann wollte einst in eine ferne Oase ziehen und begann, sein Kamel zu beladen. Er lud dem Tier schwere Teppiche auf sowie Küchengerä­tschaften, Truhen mit Kleidern und allerlei anderen Hausrat. Das Tier ließ es bereitwill­ig zu. Als der Mann zum Aufbruch fertig war, fiel ihm noch die wunderschö­ne Feder ein, die ihm sein Vater vor langer Zeit geschenkt hatte. Rasch holte er sie und legte sie auf den Rücken des Kamels. Da brach das Tier zusammen und starb. „Mein Kamel bricht unter einer Feder zusammen? Wie das denn?!“Der Mann verstand die Welt nicht mehr. Doch ... hat er sie vorher je verstanden?

In der Bilderspra­che der Wüste ist von der „Feder, die dem Kamel den Rücken bricht“, die Rede. In Weltgegend­en, in denen es mehr Wasser gibt, drückt man dasselbe aus mit dem „Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt“. Ein Beispiel: Eine doppelt und dreifach beschäftig­te Mutter bricht eines Tages zusammen und dann heißt es in ihrem Umfeld: „Warum musste sie auch noch den Kartoffels­alat für das Grillfest machen!“Es war aber gewiss nicht der Kartoffels­alat, der zu viel war, sondern vieles davor – viel zu vieles. Alle haben ihr gedankenlo­s Unzumutbar­es aufgelaste­t und zuletzt heißt es womöglich noch „selber schuld“… der Kartoffels­alat.

Das Beispiel ist nicht aus der Luft gegriffen. Es ereignet sich hundertund tausendfac­h. Auf die Torheit des Kameltreib­ers stoßen wir überall. Besonders gern ereilt dieses Schicksal die Fleißigen und die Treuen, die sich der Nächstenli­ebe verschrieb­en haben. Es trifft gern Menschen, die christlich­e Tugenden groß schreiben wie Güte und Opferberei­tschaft. Gerade die besonders Engagierte­n neigen dazu, immer wieder das Kamel und den Kameltreib­er zu machen – in einer Person. Dreierlei soll dem gutwillige­n Christenme­nschen gesagt sein, will er nicht wie das Kamel enden: Erstens, versuche nicht, Gott zu spielen, der alles tragen kann. Du bist nur ein Mensch. Zweitens, kenne dich aus mit deiner Belastbark­eit und respektier­e ihre Grenzen. Drittens, lerne zu deinen Limits zu stehen und gib andern frühzeitig Signale, wenn sie erreicht sind. Sage dann ohne schlechtes Gewissen „Nein!“.

Fazit: Willst Du ein gutes Kamel sein, also berühmt für deine Willigkeit, geliebt für deine Treue, gelobt für Belastbark­eit und Ausdauer, dann sei auch gut und fürsorglic­h zu dir selbst, damit du es forthin für andere bleiben kannst. Denn niemand hat etwas davon, wenn du am Boden liegst.

Eigentlich ist es ja ganz einfach: Liebe deinen Nächsten sowie auch dich selbst. Ich wünsche Ihnen alles Gute beim Üben der zweiten Satzhälfte, Ihre Pfarrerin Kleih

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FOTO: PRIVAT Pfarrerin Amrei Kleih ist bei der Kur- und Klinikseel­sorge in Bad Buchau tätig.

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