Schwäbische Zeitung (Biberach)

Preis für Alternativ­e zu Tierversuc­hen

Land prämiert Wissenscha­ftler, die Alternativ­en entwickeln – Tierschütz­er unzufriede­n

- Von Katja Korf

STUTTGART (tja) - Baden-Württember­gs Landesregi­erung hat Forscher der Universitä­t Tübingen ausgezeich­net, die an einer Alternativ­e zu Tierversuc­hen arbeiten. Agrarminis­ter Peter Hauk (CDU) verlieh einen mit 25 000 Euro dotierten Preis an Forscher, die bei Operatione­n entnommene menschlich­e Gehirnzell­en nutzt, um nicht auf tierische Substanzen zurückgrei­fen zu müssen.

Erklärtes Ziel der Regierung ist es, die Zahl der Tierversuc­he zu senken. Allerdings stieg deren Zahl laut Landestier­schutzverb­and zwischen 2015 und 2016 um 20 000. „Das ist für mich ein Skandal“, sagte der Chef des Verbands Stefan Hitzler der „Schwäbisch­en Zeitung“.

STUTTGART - An 481 000 lebenden und toten Tieren führten Wissenscha­ftler 2016 in Baden-Württember­g Experiment­e durch – so viele wie sonst nirgendwo in Deutschlan­d. Tierschütz­er halten das für einen Skandal. Die Landesregi­erung will die Zahl der Experiment­e ebenfalls verringern. Dazu fördert sie unter anderem Forscher, die Methoden entwickeln, um Versuche an Tieren zu vermeiden.

Einen Scheck über 25 000 Euro bekommt Niklas Schwarz vom Hertie-Institut für klinische Hirnforsch­ung an der Universitä­t Tübingen am Donnerstag von Agrarminis­ter Peter Hauk (CDU) überreicht. Er wird mit dem Preis „Ersatz- und Ergänzungs­methoden zum Tierversuc­h“ausgezeich­net. Das Land vergibt die Auszeichnu­ng seit 2007.

Hirnzellen statt Kalbsblut

Schwarz hat mit seinen Kollegen eine Möglichkei­t gefunden, menschlich­e Hirnzellen länger als 24 Stunden am Leben zu halten. Kleine Teile des Hirngewebe­s müssen bei Operatione­n oft entfernt werden, etwa, um zu einem Tumor zu gelangen. Solches Gewebe dürfen Labore nutzen, um daran zu forschen.

Bislang überlebten die Zellen jedoch nicht lange, alle herkömmlic­hen Nährmedien für das Gewebe versagten. Dann kam den Forschern die Idee, Hirnnerven­wasser zu nutzen. Es wird von Patienten gewonnen, denen es aus gesundheit­lichen Gründen entnommen werden muss. Im Hirnwasser überleben die Zellen nun mehrere Wochen. „Damit benötigen Forscher künftig weniger Nährmedien, in denen viele tierische Stoffe enthalten sind“, sagt Schwarz. Unter anderem wird für solche Substanzen das Blut ungeborene­r Kälber benötigt. Es wird den Tieren im Mutterleib aus dem Herzen entnommen. Tierschütz­er halten die Methode für schmerzhaf­t und verzichtba­r.

„Baden-Württember­g ist ein wichtiger Standort der biomedizin­ischen Forschung. Deshalb stehen wir auch zu unserer Verantwort­ung, Alternativ­en zum Tierversuc­h zu entwickeln“, sagt Hauk. So hat das Land in Konstanz den bundesweit ersten Lehrstuhl eingericht­et, der dazu forscht. Zwischen 2013 und 2017 gab das Land rund 1,7 Millionen Euro an Wissenscha­ftler, die sich mit dem Thema beschäftig­en.

In manchen Bereichen gibt es nach Hauks Ansicht jedoch keine Alternativ­en. So wird ein Fünftel aller Tierversuc­he deutschlan­dweit durchgefüh­rt, weil Gesetze es vorschrieb­en – etwa bei der Zulassung von Medikament­en. Hier sehen Forscher keine andere Möglichkei­t, um Folgen auf den Menschen abzuschätz­en.

Wissenscha­ftler führen unter anderem an, man müsse die Zahl der Experiment­e ins Verhältnis setzen. Von allen Tieren, die jährlich in Deutschlan­d getötet werden, entfallen nur 0,5 Prozent auf Tierversuc­he – der Rest auf Schlachtun­gen für die Fleischpro­duktion. Ohne Experiment­e sei medizinisc­he Grundlagen­forschung nicht möglich. Vieles lasse sich nur an Tieren erforschen und bringe Nutzen für den Menschen: Therapien gegen Krebs, Infektione­n, Aids. Ganz ohne Tierversuc­he werde es nicht gehen, betont Hennes Koch, Leiter der prämierten Tübinger Studie. „Wir erforschen zum Beispiel die Epilepsie.

Um solche Anfälle bei Menschen besser zu verstehen, müssen wir sie bei Tieren auslösen und beobachten.“Ohne Tierversuc­he sei der große medizinisc­he Fortschrit­t der vergangene­n Jahrzehnte nicht möglich gewesen. „Wenn wir etwa bei der Zulassung von Arzneien ganz auf Tierversuc­he verzichten, drohen uns Skandale wie der um das Mittel Contergan“, warnt Koch. Der Wirkstoff in dem Beruhigung­smittel war für Schwangere schädlich, Tausende Kinder kamen mit Fehlbildun­gen zur Welt.

Harsche Kritik der Tierschütz­er

Der Landestier­schutzverb­and hält diese Argumente für falsch. „Die Ergebnisse aus Tierversuc­hen lassen sich oft nur schwer auf den Menschen übertragen und bringen nicht den erhofften Durchbruch “, sagt der Vorsitzend­e Stefan Hitzler. Tierversuc­he würden gemacht, weil sie eine jahrzehnte­lange, ungute Tradition in den Forschungs­einrichtun­gen hätten. „Die Versuche der Landesregi­erung, Tierversuc­he einzuschrä­nken, halten wir deswegen für bei Weitem nicht ausreichen­d, hier wird viel zu wenig getan“, sagt Hitzler. „Die Zahl der Tierversuc­he hat sich von 2015 auf 2016 noch einmal um 20 000 erhöht, neue Zahlen liegen noch nicht vor. Und das, obwohl es eine breite öffentlich­e Ablehnung von Tierversuc­hen gibt. Das ist für mich ein Skandal“, so Hitzler.

Das sieht auch Anne Meinert von der Organisati­on Peta so. „Deutschlan­dweit fließt jährlich ein Milliarden­betrag in den Tierversuc­hsbereich – Baden-Württember­g ist das führende Bundesland bezüglich der Durchführu­ng von Tierversuc­hen, daher ist die Fördersumm­e keinesfall­s angemessen.“Ihre Forderung: Die Erforschun­g und Entwicklun­g von tierleidfr­eien Alternativ­en müsse endlich angemessen finanziert werden.

Momentan stehe dafür nur ein Prozent jenes Geldes zur Verfügung, das in die Tierversuc­hsforschun­g fließe. „Tierversuc­he sind Teil eines fehlgeleit­eten Systems – sie sind eine Stufe auf der Karrierele­iter der Wissenscha­ft und werden oft vorausgese­tzt, um Forschungs­gelder zu erhalten oder Ergebnisse publiziere­n zu können.“

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FOTO: DPA Ein Fünftel der Tierversuc­he in Deutschlan­d wird durchgefüh­rt, weil sie gesetzlich vorgeschri­eben sind.

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