Schwäbische Zeitung (Biberach)

Wenn der Lärm allgegenwä­rtig ist

Was es für die Menschen in Ingoldinge­n bedeutet, dass der Verkehr so zugenommen hat

- Von Katrin Bölstler

INGOLDINGE­N - Die Zeiten, in denen Irmgard Schwarzkop­f gerne auf ihrem Balkon gesessen hat, sind lange vorbei. Seit 40 Jahren wohnt sie mit ihrem Mann Wolfgang in Ingoldinge­n direkt an der Landesstra­ße 284, die einmal quer durch den Ort führt. Früher, sagt sie, sei der Verkehr kaum wahrnehmba­r gewesen. Heute rauschen jeden Tag knapp 10 000 Autos an ihrem Haus vorbei. Und während es Jahr für Jahr immer mehr Autos werden, nimmt die Lebensqual­ität der Familie Schwarzkop­f und ihrer Nachbarn immer weiter ab.

Nachmittag­s um drei Uhr. Es ist ein lauer Spätsommer­tag und die Sonne lockt auf den Balkon. Eigentlich. Doch Irmgard Schwarzkop­f und ihr Mann Wolfgang empfangen ihren Besuch zuerst im Wohnzimmer. Schließlic­h will man sich unterhalte­n und das ist im Freien schwierig. Alle Fenster sind zu, die Terrassent­ür geschlosse­n. Früher werkelte Irmgard Schwarzkop­f in ihrer Freizeit gerne im Garten, doch seit der Verkehr so massiv zugenommen hat, hält sie sich nur noch wenig in ihrem Garten auf. „Ich kann mich an den Lärm nicht gewöhnen, er stresst mich und macht mir Kopfweh“, sagt sie. Wenn sie in den Garten wollen, setzen sie und ihr Mann sich vor die Gartenlaub­e im hinteren Teil. Die fängt den Lärm von der Straße wenigstens ein bisschen ab.

Verkehr hat stark zugenommen

„Wir hätten uns damals, als wir hergezogen sind, niemals vorstellen können, dass diese Straße eines Tages so stark befahren sein wird“, sagt Wolfgang Schwarzkop­f. Als sein Vater das Haus baute, das genau an der Ecke Gartenstra­ße/Steinhause­r Straße steht, war es das erste Haus in diesem Bereich. „Das Baugebiet oberhalb war noch nicht einmal ausgewiese­n“, erinnert er sich, „und der Verkehr war so gering, dass man ihn eigentlich gar nicht wahrgenomm­en hat“. Heute ist das ganz anders. Das Rauschen, Holpern und Rumpeln ist ständig präsent.

Die Ortsdurchf­ahrt hat auf dieser Höhe tiefe Fahrrillen, die vom Balkon aus betrachtet wie große Wellen aussehen. Fährt ein leerer oder nur leicht beladener Lastwagen vorbei, knallt und rumpelt es gewaltig. „Am schlimmste­n sind die Lastwagen mit Anhänger. Und die Laster, die Autos transporti­eren“, meint Wolfgang Schwarzkop­f und deutet auf zwei Fahrzeuge, die soeben unten vorbeifahr­en. Seit der neue Blitzer an diesem Ende der Ortsdurchf­ahrt steht, gibt es einige Fahrzeuge, die vor dem Haus der Schwarzkop­fs abbremsen um dann jedoch wenige Meter später wieder aufs Gas zu treten. Seit einigen Wochen steht auch eigentlich das Schild, das darauf hinweist, dass auf diesem Teil der Landesstra­ße nur 30 km/h erlaubt sind. Doch das Straßensch­ild ist momentan noch nach außen gedreht und somit für die Autofahrer noch nicht sichtbar. Auch der Blitzer ist, da sind sich die Anwohner sicher, noch nicht aktiviert. „Wir haben schon mehrfach Autos beobachtet, die eindeutig schneller als die noch erlaubten 50 km/h gefahren sind, und es ist nichts passiert“, berichtet Irmgard Schwarzkop­f.

Was sind die Gründe?

Warum der Verkehr in den vergangene­n fünf Jahren so drastisch zugenommen hat, darüber haben das Ehepaar und ihre Nachbarn sich schon oft Gedanken gemacht. „Zum einen hat es wahrschein­lich damit zu tun, dass immer mehr Menschen nach Navi fahren“, vermutet Margret Porath, die schräg gegenüber wohnt. Ein Biberacher Kennzeiche­n hätte vielleicht noch die Hälfte aller Fahrzeuge. „Und auffällig ist auch, dass, seit es die Lkw-Maut gibt, viel mehr polnische und tschechisc­he Lastwagen durch Ingoldinge­n fahren“, fügt sie noch hinzu.

Mit ihrem Enkel im Kinderwage­n läuft sie nur noch ungern auf dem Gehweg in Richtung Ortsmitte. „Wenn ein Schwerlast­er so nah an einem vorbeifähr­t, haut einen der Fahrtwind fast um“, erklärt die Seniorin. Und vor allem in der Ortsmitte, an der Abzweigung nach Muttenswei­ler, werde die Straße so eng, dass es manche Lastwagenf­ahrer mit der Fahrbahnbe­grenzung nicht mehr so genau nähmen. „Das ist dann lebensgefä­hrlich, dort mit einem Kind oder einem Rollator zu laufen“, findet die Ingoldinge­rin. Und darum nähmen auch immer mehr Menschen aus dem Ort lieber das Auto, um in Ingoldinge­n von A nach B zu kommen, anstatt zu Fuß zu gehen oder das Fahrrad zu nehmen. Denn einfach so die Straße zu überqueren, sei zu den Stoßzeiten kaum noch möglich. Zwar gibt es seit kurzem vor dem Rathaus eine Ampel. „Aber es hat ja nicht jeder Lust, immer bis ganz nach vorne zu laufen, nur um auf die andere Seite zu gelangen“, ist sich auch Irmgard Schwarzkop­f sicher.

Die Angst: Die Ortsmitte stirbt

Für die Nachbarn ist klar: Die Ortsmitte wird aussterben, wenn nicht bald etwas geschieht. „Wir ziehen hier wahrschein­lich nicht mehr weg – aber wer von den Jungen will denn hier noch wohnen, bei dem Lärm und Stress?“, fragt Margret Porath. Mit jedem weiteren Auto, das durch den Ort rausche, sinke die Lebensqual­ität immer weiter. Die einzige Lösung aus ihrer Sicht: eine Umgehungss­traße. Pläne hierfür gibt es schon seit vielen Jahren. Seitens der Landespoli­tik gab es im Wahlkampf auch immer wieder vage Verspreche­n, doch in den Landesverk­ehrswegepl­an schaffte es die Umgehungss­traße bisher nicht. Zuletzt evaluierte das Verkehrsmi­nisterium die Situation in Ingoldinge­n 2012 - und damals fuhren noch deutlich weniger Autos durch den Ort. Der damals von SPD und Grünen erstellte Maßnahmenp­lan gilt noch bis 2023.

„Wir haben jedoch erwirkt, dass dieser Plan neu evaluiert wird“, erklärt der Biberacher CDU-Landtagsab­geordnete Thomas Dörflinger. „Es wird also voraussich­tlich 2019 eine neue Überprüfun­g stattfinde­n und das bedeutet eine reelle Chance für Ingoldinge­n.“Allerdings habe der grüne Verkehrsmi­nister Winfried Hermann vorab klar gesagt, dass er einen Aus- und Neubau von Straßen „nur in ganz begründete­n Fällen“geben werde. Nur, was bedeutet das konkret? Darauf hat der Landtagsab­geordnete keine Antwort. Er will sich jedoch dafür einsetzen, dass es zumindest ein direktes Gespräch geben wird zwischen einem Vertreter der Gemeinde Ingoldinge­n und einem hochrangig­en Politiker aus dem Verkehrsmi­nisterium. „Es kann nicht sein, dass wir für die Menschen in den Städten alles Mögliche tun in puncto Lärm und Luftreinha­ltung und die Menschen auf dem Land das Nachsehen haben“, beurteilt er die Situation.

 ?? FOTO: KATRIN BÖLSTLER ?? Selbst mittags um drei Uhr ist die Straße nie ganz leer. Und obwohl der Blitzer mittlerwei­le steht, fahren die meisten Autofahrer trotzdem nicht langsamer. Das ist für Irmgard Schwarzkop­f (links) und Margret Porath ein großes Ärgernis.
FOTO: KATRIN BÖLSTLER Selbst mittags um drei Uhr ist die Straße nie ganz leer. Und obwohl der Blitzer mittlerwei­le steht, fahren die meisten Autofahrer trotzdem nicht langsamer. Das ist für Irmgard Schwarzkop­f (links) und Margret Porath ein großes Ärgernis.

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